Opern-Götz in schwächlicher Ruhmredigkeit

Feuilleton.
Hofoperntheater.
(»Götz von Berlichingen«. Oper in drei Akten und neun Bildern von
A. M. Willner. Musik von Karl Goldmark.)

Ein wahrer Blütenregen von Ehren strömt auf Karl Goldmark nieder. Und seinem ehrwürdigen Haupte steht der Lorbeer schön. Ein Wunsch mochte noch auf dem Grunde seiner Seele gebrannt haben, und auch der ist ihm nun erfüllt worden. Sein Lied vom braven Götz erklang im Hofoperntheater. Hier durfte es auch nicht fehlen, ohne den besonderen Anlaß der Verherrlichung eines achtzigsten Geburtstages. Eine Goldmark-Oper gehört in die Wiener Hofoper, mag ihr Kunstwert höher oder tiefer eingeschätzt werden. Wen könnte man ruhiger auf eigene Gefahr sich mit Publikum und Kritik auseinandersetzen lassen, als den Komponisten der »Königin von Saba, des »Merlin« und des »Heimchen«? Nicht ungünstig mag es sich allerdings für den endlichen Einzug des »Götz« in der Hofoper treffen, daß das »Wintermärchen« vorangegangen ist. Denn mit diesem Werke hatte ja Goldmark, um das heitere Wort zu wagen, die Talentprobe des hohen Alters mit besonderem Glanze bestanden. Auch wer gleich uns dieser letzten Oper des Meisters den Vorzug gibt vor der vorletzten, läßt nunmehr, Märchen und Historie des greisen Opernkomponisten unter gemeinsamem Gesichtspunkte betrachtend, seine »Götz«-Bilder mit Rührung an sich vorüberziehen. …

Seinerzeit, vor mehreren Jahren, fuhren wir dem »Götz« nach Budapest nach. Eine ausführliche Besprechung in diesen Blättern erörterte das Problematische einer »Götz«-Oper. Bedenken, die durch Goldmarks Musik sanft zurückgedrängt, nicht völlig besiegt werden. Goldmark hat mancherlei Vorläufer, soweit es Schauspielmusiken zu »Götz« anlangt, und hartnäckigen Berichten zufolge ist auch Josef Haydn unter ihnen. Dagegen geht nur eine einzige »Götz«-Oper voraus, die, von Peter Abraham Schulz herrührend, in Kopenhagen zur Welt kam und hier in aller Stille begraben wurde. Eine Oper nach Goethe scheint für jeden deutschen Komponisten ein Wagnis, eine nach »Götz« das allergrößte. Kein Zufall, daß der Dichter Okkupationsgelüsten fremdländischer Musiknachbarn überlassen blieb. Wo ist schon der Librettist, dem man das Recht zugestehen würde, ein Goethesches Schauspiel umzubauen? Unerläßlich aber ein solcher Umbau, wenn es die Musik wohnlich haben soll. Und ob »Götz von Berlichingen« überhaupt eine solche Adaptierung zulasse, ist sehr die Frage. Gleich der Titel von Willners Buch, wenigstens der, den es bis zur Wiener Aufführung führte, verrät die Not. »Szenen aus Götz von Berlichingen«, hieß er. Szenen aus einem Drama sind nicht dieses selbst und würden folgerichtig, in Musik gesetzt, auch keine Oper geben. Die Geschichte des Ritters Gottfried von Berlichingen sprengte mit ihrer epischen Fülle schon den Rahmen des Schauspiels; der Oper mußte sie vollends wesentliche Erfordernisse versagen: Einfachheit der Fabel, Geradlinigkeit des Verlaufes, Verrinnerlichung der Vorgänge. Man erinnere sich, wie Goethe selbst in mehrfachen Bearbeitungen mit dem Stoffe gerungen hat. In eine dieser Umgestaltungen, die von 1804, hat nun der Dichter allerdings, wie Gödeke hervorhebt, ein »opernartiges Element« hineingetragen. Ein trügerischer Wink für den Librettisten. Glaubte er aber schon nach der Oper im »Götz« suchen zu müssen, so hätte, er jener Teilung des Werkes durch den Dichter eingedenk sein sollen, die einen »Götz von Berlichingen« von einem »Adalbert von Weislingen« schied. Das »Weislingen«-Drama mit Adelheid, Maria und Franz ist das eigentliche Drama in »Götz«, und damit bestenfalls die eigentliche Oper. Liebe und Leidenschaft liefern der Musik günstigeren Nährstoff als Politik, Gesinnungsadel, kulturhistorische Zeitfarbe. Er habe Adelheid »nicht genug liebenswürdig« machen können, berichtet Goethe in »Dichtung und Wahrheit«; sie habe beinahe den Götz bei ihm ausgestochen. Beim Opernlibrettisten mußte sie das.

Willner formte aber »Szenen« für Adelheid und »Szenen« für Götz. Und nun : Ein singender Götz, Ritter Gottfried als Opernheld! Der Mann der knappen, wie aus schwerem Eichenholze geschnitzten Worte nach gefühlsmäßiger Aussprache haschend, Anlaß zu Ariosos suchend! »Gott ist mit mir, wo ich auch sei – Mein Herz ist rein, mein Sinn ist frei – Vertraue auf mein gutes Recht – Allzeit des Kaisers treuer Knecht« – läßt sich der Opern-Götz in schwächlicher Ruhmredigkeit vernehmen, Librettistenpoesie gegen die Kraft der herrlichen, markigen Prosa des Dichters eintauschend. Alles Knorrige, Gewaltige scheint glattgehobelt. Die Gestalt verarmt; ein braver Raubritter, ein sentimentaler Familienvater bleibt übrig …

Rühmen wir rasch die Gewandtheit des Buchdichters, seinen Blick für die Ansprüche der musikalischen Szene. Kein karges Lob in diesem schwierigen Falle. Diesen ersten Akt zu zimmern, war jedenfalls ein kleines Kunststück, wenn auch vielleicht ein überflüssiges. Eine Reihe von Familienszenen, die Versuchung Weislingens durch Franz, die Ladung des Götz vor das Gericht in Heilbronn sind hier zusammengedrängt, ineinandergeschoben. Und als wäre es noch an den Szenen des Schauspiels zu wenig, dichtet der Librettist überdies neue hinzu. Eine zarte Aufmerksamkeit für den Musiker, die aber, die Bildchen mehrend, das Bild verwirrt. Die Begegnung Georgs mit Weislingen zu Bamberg wird szenisch vorgeführt, und ein Auftritt exerzierender Pagen scheint nur ersonnen, um eine Szene im heiteren, graziösen Genre zu gewinnen: ein für den Komponisten aufgelegtes Separatcouvert. Freilich weniger eine »Szene aus Götz von Berlichingen« als eine Szene aus einer der zahlreichen Operetten des Textdichters … Der stärkere Teil des Buches, entscheidend für die Wirkung, beginnt mitt den Adelheid-Szenen. Hier wühlt dramatische Bewegtheit die Bilderreihe aus, hier fordern die Stimmen der Verführung, der Leidenschaft die Musik heraus, hier gibt Adelheids Hinrichtung Gelegenheit zu realistischer Untermalung. Zu Goethes Götz mag es den Menschen Goldmark gezogen haben; Adelheid aber mit ihrer schwülen Sinnlichkeit erwies sich als die rechte Heldin für den »Saba«-Musiker.

Ist es nicht merkwürdig, daß sich Goldmark und Verdi in ihren Spätwerken in einer realistischen Opernszene begegnen, die die Erdrosselung einer jungen Dame zum Gegenstand hat? Leicht ließen sich auch sonst fruchtbare Vergleiche ziehen zwischen »Götz« und »Othello«. Sie treffen in gewissen stilistischen Zügen zusammen, ein Zug zur Knappheit, zur musikalischen und dramatischen Oekonomie ist beiden Opern gemeinsam. Einfaches Rezitieren über durchsichtigster Orchesterbegleitung scheidet sich bewußt von der merklich gekürzten dramatischen Melodie, und die Charakteristik hat etwas Schrittweises. Wo die Situation Lyrik zuläßt, knospt ein Arioso auf: neben diesen Blumenbeetlein des Gesanges schaffen sich Sträuchergrüppchen orchestraler Vor- und. Zwischenspiele Raum. Goldmark hat schon im »Heimchen« seinen Stil vereinfacht; im »Götz« scheint oft der schlichte volkstümliche Ton des Schauspiels ein Spiegelbild finden zu wollen in einer schlichten, volkstümlicher Weise zugewendeten Musik. Zu eindringlich »Zeitfarbe« aufzutragen, hinderte ihn die Kraft seiner Individualität, und – das wurde schon angedeutet – die Königin von Saba scheint auch das mittelalterliche Deutschland im Inkognito einer Adelheid von Walldorf aufzusuchen. Gerade solche Stellen wirken wie Aufschreie aus Goldmarks innerster Musiknatur, die man freudig als »echten Goldmark« begrüßt, wie gewisse reale dramatische Aufschreie im abgeklärten »Othello« als »echten Verdi«. »Götz« bringt wenig neuen Goldmark; aber der Goldmark von ehemals erweist sich noch immer stark genug, Varianten zu vertragen. In den Adelheid-Szenen tritt er uns überdies beneidenswert jung entgegen. Hier weiß der Meister uns mit sicherem Griffe zu packen; hier ist er der Dramatiker mit der eisernen Hand geblieben.

Götzens eiserne Hand aber hört man gleich in der Ouvertüre an die Rüstung schlagen. Sein Es-dur-Thema, meinen wir, das, ähnlich rhythmisiert wie das Hauptthema der Penthesilea-Ouverture, gewichtig in einem marschartigen Dreivierteltakt daherschreitet. Das Kräftige, Tüchtige, Gutbürgerliche dieses Vorspiels erhält zum Schlusse jene Brillanz, mit der Goldmark so gerne das Signum unter seine Ouvertüren setzt. Eine kurze Liebesszene eröffnet die Handlung. Weislingen, auf Jaxthausen gefangen, hat sich mit Götzens Schwester Maria zusammengefunden. Ihr warmes Fis-moll-Arioso ist später im dritten Akte, bei Erinnerung an die von Weislingen Verratene, Götz in den Mund gelegt. In der Liebesszene wirft Knappe Georg schalkhaft seine volkstümlich gehaltenen Strophen vom »gefangenen Vöglein« hinein; im Schauspiel in die Belagerungsszene gehörig, sind sie hier gleichsam auf die Belagerung Marias durch Weislingen bezogen. Götz kehrt heim; es folgen die Familienszenen, die Werbung Weislingens, Mittagessen mit Gebet, politisierende Aussprache mit Weislingen. Zu all dem einfachste Dialogmusik; ein Thema, in weichen Terzen fortschreitend, volkstümlich geprägt, symbolisiert den Freundschaftsbund zwischen Götz und Weislingen; gemütlich zirpt das »Heimchen« im Hause des Götz. Nun erscheint Franz, um Weislingen nach Bamberg zu locken. Ein echtes Goldmark-Motiv verrät uns, daß Adelheid den Boten gebannt hält. Nichts fehlt, nicht die Triole, nicht die Synkope, nicht das sequenzartige Fortschreiten, nicht die schwüle, glitzernde, gleißende Färbung. Verführung, Lüge, Gift, Verderben sprechen aus diesen schlangenartig züngelnden Tönen. Und bald gibt Franz ein kleines Seitenstück zur Erzählung Assads, wenn er verzückt die Reize Adelheids schildert. Ein Oktett, wieder echt goldmarkisch eine Folge jäh modulierender Akkorde, beschließt das Bild mit gesättigtem Klange.

Die Gerichtsszene zu Heilbronn, mit der das zweite Bild einsetzt, ist mit Bewegungsmotiven bestritten, nach denen wir uns um so wohliger mittelst eines lyrischen Zwischenspiels nach Bamberg geleiten lassen. Hier lernen wir Adelheid kennen, die uns in der Musik zunächst nur liebenswürdig ohne besondere Kennzeichen, entgegentritt. Erst Franz gegenüber läßt sie ihr Verführungsmotiv spielen. Franzens Reime zu Ehren von Vetter Vanzenau und Sippe haben eine liebenswürdige Melodie erhalten; ein flott rhythmisiertes Strophenliedchen, das mit jeder Strophe um einen halben Ton steigt. Dann folgt die launig behandelte Pagenszene und der Kirchgang mit endgiltiger Einigung zwischen Adelheid und Weislingen, eine Szene, die der Komponist mit einer zarten Orchestermelodie vertieft und durchwärmt. Daß Georg, der tapfere Reitersjunge, über den Abfall Weislingens in Schluchzen ausbricht, darf wohl für eine Nuance der Regie gehalten werden. Einen weinenden Georg sehen wir weit fortgeschwemmt aus Goethes Schauspiel. …

Im zweiten Aufzuge läßt der Tondichter den Götz auf seinem Raubzuge weich werden. Aber der Musiker ist so stark, daß der warme, edle melodische G-dur-Gedanke, der hier aufblüht, unter allen Umständen zum kostbaren Geschenk wird. Töne solcher Art kommen tief aus Meister Goldmarks Seele, und, gefärbt von ihrem sanften Abendrot, berühren sich Werke wie »Götz« und »Wintermärchen. Ein neues Bild: Maskenfest am Hofe zu Augsburg. Adelheid erklärt in einem pikant rhythmisierten Arioso die Bedeutung der Masken. Das betreffende Originalgedicht des Schauspiels ist in der Oper umgestaltet: Goethe in der Maske des Librettisten. Nun steigt das Werk zu einem Höhepunkt empor, zu der mit dramatischer Kraft geführten Verführungs- und Liebesszene zwischen Adelheid und Franz. Ein drängender Fis-moll-Satz, eine leidenschaftliche Ges-dur Kantilene – alles hat Schwung, Fluß, dramatischen Nerv. Leben und Bewegtheit halten in der Bauernkriegsszene des vierten Aktes an, die kräftige, schallende, sich bis zum Tumult steigernde Chorsätze bringt. Zu den schwarzen Farben, mit denen die nächtliche Szene des Vehmgerichtes gemalt ist, trägt die Palette Wagners bei. Packenden dramatischen Aufbau bei vorwiegender Verwendung früherer Gedanken zeigt die große Szene der Adelheid. Ihr Ausruf: »Strahlt, Sterne!« lodert in den heißesten Flammen der Erotik, und das Erscheinen des Vehmrichters ist mit dem geziemenden musikalischen Schrecken ausgestattet. Weihevolle Goldmark-Harmonien begleiten den Tod Götzens ; das Werk klingt in poetischer Stimmung mit jener G-dur-Melodie aus, in der der Tondichter so schön das Gemütsleben seines Helden dem seinen nähert. Auch in »Götz« entzückt uns Goldmarks Orchester. Wie warm, wie wohltuend bleibt es bei allem Wechsel der Farbe, mit welchem Maß, welcher Sparsamkeit erzeugt es ferne Klangwirkungen! Eine Meisterschaft, die man zu bewundern nicht müde werden kann.

Das Hofoperntheater, das mit dieser Aufführung dem Achtzigjährigen huldigte, hat sich sichtlich bemüht, dem Abend festlichen Charakter zu verleihen. Am Pulte saß Herr Direktor Weingartner und lenkte mit Sorgfalt die musikalischen Ereignisse. Eine neue dekorative Ausstattung schien den wechselnden Bildern aus dem deutschen Mittelalter mehr gefällig als mit kräftiger Charakteristik zu dienen. In der Szene der aufständischen Bauern lobte das artige Feuerwerk eines Burgbrandes den Maschinisten. Herr Weidemann hätte so recht die kraftstrotzende Männlichkeit, das gerade, treue, hartknochige Wesen für den Götz. Leider hat sein mächtiges Organ an Fügsamkeit verloren. Bei jedem Aufstieg zu höheren Tönen zitterte man für Götz, den Starken. An bedeutenden Momenten ließ es der Künstler auch diesmal nicht fehlen. Er stellte sich den aufrührerischen Bauern gewaltig entgegen und entfaltete eine Hans Sachs-Innigkeit in der Waldszene. Adelheid war Frau Weidt. Sie überraschte durch eine wirksame Darstellung, die ohne den theaterüblichen Apparat der »Dämonik« auszukommen wußte. Das große Solo vor dem Sterben ist für einen Triumph ihrer hohen Lage wie geschaffen. Das Grauen der Kreatur vor der Vernichtung teilte sie unwiderstehlich mit. In das Feuer des Liebesduetts war als Franz Herr Leuer mit seiner naturalistischen Gesangsweise geschickt; und den schwankenden Weislingen konnte der viel zu früh auf wichtige Posten gestellte Herr Brand nicht vor neuen Schwankungen bewahren. Mit Erfolg sang Frau Kiurina den Georg; sie war frisch und liebenswürdig. In den kleinen Partien, deren es eine stattliche Zahl gibt in der Oper, wirkten die Damen Kittel und Windheuser, die Herren Mayr, Corvinus und Betetto. Herzlicher Beifall rief das achtzigjährige Geburtstagskind ungezählte Male vor die Rampe. Das Wiener Opernpublikum stattete seine Glückwünsche ab. Die unseren machte dankbare Verehrung vor dem Termin fällig, als sich in diesem Jahre von Konzert zu Konzert ein fröhlich Goldmark-Jubilieren fortspann. Und so erübrigt uns heute nichts, als uns vom Herzen über die neuen untrüglichen Zeichen einer Popularität zu freuen, die in Goldmark echter Künstlerschaft zufällt und mit den edelsten Mitteln erworben ist. Julius Korngold
(Neue Freie Presse vom 19. Mai 1910)