… die höchsten Ehrenbezeugungen
Die Goldmark-Feier der Hofoper.
Goldmarks musikalische Szenenreihe Götz von Berlichingen«, der Mahler aus übertriebenen Bedenken den Eintritt in das kaiserliche Opernhaus verwehrt hatte, ist gestern zehn Jahre nach der Budapest er Uraufführung, zum erstenmale über die Szene der Hofoper gegangen. Und zwar bei lebhaftestem Interesse eines festlich gestimmten Publikums, das dem 80jährigen Meister die höchsten Ehrenbezeugungen erwies. Künstlerische Einwände sind gewiß gegen die Oper, die gegen das später entstandene »Wintermärchen« in mehrfacher Hinsicht zurücksteht, zulässig. Schon das Libretto Willners, das aus dem Goetheschen Drama einzelne Momente herausholte, die auf der farbenreichen Opernbühne den Zwecken des Komponisten dienstbar gemacht werden sollten, stellt sich bei all seiner geschickten Reimkunst als eine Verfehlung gegen den Geist der klassischen Dichtung dar. Es bietet Stimmungsbilder aus einem »Götz«drama und einer »Adelheid«tragödie. Goldmark war im »Götz« vielfach nur zum Sprechgesang verurteilt. Aber des Meisters Melodienfreudigkeit verwandelte manche tote Stelle zu einem klangreichen Detail. Mag das Werk auch manche Altersrunzeln tragen, es vermag die geliebte und allverehrte Künstlerphysiognomie Goldmarks durchaus nicht zu verleugnen. Der Gesamteindruck zeigt uns eine tonschöpferische Kraft, über die im gleichen vorgerückten Alter nur noch Verdi verfügte. Welche Meisterschaft offenbart sich in Form und Satzkunst, welche Größe zeigt der dramatische Ausdruck! Es mag Manches im Götz nicht mehr Goldmark auf seiner sieggewohnten Höhe zeigen, aber nirgends gibt es ein etwas, das die Schönheitslinie überschreitet oder sich nicht wenigstens als eine bezwingende Geistesarbeit darstellt. Als Höhepunkte der Oper können die Ansprache des Götz, ein entzückendes Volkslied Georgs, Götz’ Klage über Weislingens Abfall, die Liebesszenen, der Pagenchor, die Vehmrichterszene, die Vollstreckung des Todesurteils an Adelheid, und Götzens Tod gelten. Die Hauptfiguren haben eine reiche musikalische Charakteristik durch Verwendung von Leitmotiven erhalten. Auch der Chor ist in dieser Oper nicht bloß auf den gewohnten Pflichtteil gesetzt. Er findet durchwegs in einer aparten und kunstvollen Form Anwendung in der Partitur.
Die Hofoper hat der Novität einen neuen, aber keineswegs kostbaren Rahmen gegeben. Nur einzelne Bilder, das den Hof des Bischofs von Bamberg zeigende, ferner jenes der Bauernrevolte, das des Vehmgerichtes und endlich das Schlußbild hatten Licht und Farbe. Der Regieapparat wollte auch noch nicht recht klappen. Im Orchester saß Weingartner, der sich mit großer Hingebung für das Werk einsetzte und das unvergleichliche Orchester zu einer seiner glänzendsten Leistungen begeisterte. Auf der Bühne war mancher nicht am rechten Ort. Herr Weidemann, dem die sehr hochgeschriebene Partie des Götz starke Ungelegenheiten bereitet, wäre besser durch den viel draufgängerischen Herrn Melms zu ersetzen gewesen, zumal er nicht die Wucht und Kraft für die Darstellung des klassischen Bauernführers aufbringt. Frau Weidt, eine bildschöne Adelheid von Walldorf, läßt das Dämonische der Figur ganz vermissen, ist aber wenigstens dem Gesangspart nichts schuldig geblieben. Die Rolle des Weislingen sang statt des erkrankten Herrn Schwarz Herr Brand, ein Anfänger, der größeren Partien noch nicht gewachsen ist. Entzückend sang Frau Kiurina den Knappen Georg. Herr Leuer wäre bei seinen glänzenden Mitteln als Franz erfolgreicher gewesen, wenn er öfter auf seine naturalistische Tongebung verzichtet hätte. In kleineren Partien waren die Damen Kittel, Windheuser und die Herren Mayr, Betetto, Kittel die denkbar besten Vertreter.
Die Vorstellung, der die Erzherzoge Rainer, Ferdinand Salvator und Franz Salvator beiwohnten, war eine Kette von Ehrungen für den Jubelgreis. Schon nach der Ouvertüre setzte jubelnder Beifall ein, der nach dem zweiten Akte in stürmische Begeisterung für Goldmark überging und unzähligemale mußte er den Hervorrufen Folge leisten.
Vor Beginn des letzten Aktes wurde auch Direktor Weingartner mit lauten Ovationen bedacht, doch mischten sich in diese störende Pfuirufe von den Galerien aus. Der Schluß der Vorstellung brachte den Höhepunkt der Ehrungen für den Jubilar. Ein Blumen- und Kranzarrangement wurde ihm auf die Bühne gereicht und zahllos waren die Hervorrufe, denen er, um seine Gemeinde zu befriedigen, Folge leisten mußte.
(Illustrierte Kronen-Zeitung vom 19. Mai 1910)