Karl Goldmark

Am 18. Mai feiert die musikalische Welt den achtzigsten Geburtstag des bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten, des letzten Epigonen Mozarts und Beethovens. Es ist heute nicht an der Zeit, sein Werk kritisch zu analysieren; es ist aber auch nicht notwendig, denn der Schöpfer der »Königin von Saba«, der »Sakuntala«-Ouvertüre und der »Ländlichen Hochzeit« lebt ebenso im Bewußtsein der Musikwelt, wie der feinsinnige Komponist, der der Kammermusik das KIavierquintett, die Violinsuite und zahlreiche Blüten der deutschen Liedkunst geschenkt hat. An dem Tage, an dem der Meister in ungebrochener Geistesfrische die Schwelle des Patriarchenalters überschreitet, sei nur dankbar anerkannt, daß uns seine Kunst im »Götz« noch eine späte Blüte schenkt. »Der Morgen« legt dankerfüllt und aufrichtig bewundernd einen bescheidenen Zweig zu den Lorbeeren, mit denen die Verehrer des Meisters dessen Jubeltag schmücken.

Hofoperndirektor Felix v. Weingartner über Goldmark.

Hofoperndirektor Felix v. Weingartner hatte die Freundlichkeit, sich auf unsere Bitte hin über die Persönlichkeit Goldmarks zu äußern:

»Es ist das erste Mal, daß ich die Freude habe, ein Werk des Meisters Goldmark neu einzustudieren. Goldmark ist eine außerordentlich anregende Persönlichkeit: man merkt ihm seine achtzig Jahre nicht an. Mit bewunderungswürdiger Frische folgt er den Proben, er fehlt bei keiner, und zeigt keine Spur von Ermüdung, auch wenn die Probe von Früh bis in den Nachmittag hinein dauert. Nichts entgeht ihm, seine Einwürfe sind stets treffend und er weiß sie in so liebenswürdiger Form vorzubringen, daß jedermann sie gern befolgt.

Einen Tonmeister in so hohem Alter noch in voller Schaffensfreudigkeit zu sehen, ist ein hocherfreulicher Anblick. Wie viel Bedeutendes ist schon ins Grab gesunken! Und so ist es erquickend, den Schöpfer der »Königin von Saba« und der »Ländlichen Hochzeit«-Sinfonie noch leibhaftig vor sich zu sehen.«

Wie der »Götz« entstand.

Karl Goldmark war so liebenswürdig,, unserer Bitte um einige Mitteilungen über die Entstehungsgeschichte des »Götz« mit nachfolgenden Zeilen zu entsprechen:

» … Als ich als Knabe aus meiner ungarischen Heimat nach Wien kam, gab mir mein Bruder Dr. Josef, der Achtundvierziger-Revolutionär, als erstes Buch den ›Götz‹ in die Hand. Der Eindruck war so stark, daß, als ich nach zwanzig Jahren an die Opernproduktion kam, mein erster Gedanke ›Götz‹ war. Allein es dauerte abermals zwanzig Jahre, bis ich das Buch von Doktor Willner erhielt. Es gefiel mir und ich komponierte es. Die weiteren Schicksale sind bekannt. Mahler lehnte es ab. Die erste Aufführung in ungarischer Sprache fand in Budapest statt, die erste deutsche in Frankfurt. Dann folgten Darmstadt, Köln, Brünn, Linz, Hannover usw. Mehr weiß ich nicht. Mit freundlichen Grüßen Ihr ergebener

(Der Morgen. Wiener Montagblatt vom 16. Mai 1910)