… geistvolle und interessante orchestrale Wirkungen

Vom landschaftl. Theater in Linz.
18. November 1904.

Wie schon in der letzten Nummer dieses Blattes erwähnt, erzielte die Opern-Novität »Götz von Berlichingen« (Text von A. M. Willner, Musik von Karl Goldmark) bei ihrer vorgestrigen hiesigen Erstaufführung einen starken und unbestrittenen Erfolg. Den Gang der Handlung habe ich bereits in der vorletzten Nummer dieses Blattes erzählt. Die Musik weist die Kriterien des modernen Stiles auf. Vorherrschend ist der deklamatorische Sprechgesang und die einfache musikalische Dialogform. Gleich die Familienszenen in Götzens Burg, die Werbung Weislingens um Mariens Hand, das politisch angehauchte Gespräch zwischen Götz und Weislingen, wie die Selbstcharakteristik des ersteren sind in diese Form gekleidet; denselben Stempel tragen auch z. B. die Gespräche Adelheids mit ihrer Zofe und mit Franz am bischöflichen Hofe zu Bamberg. Der weitaus größere Teil des Textes ist im musikalisch-deklamatorischen Stile komponiert; die Minorität bilden ein ab und zu ertönendes Arioso, eine hie und da erklingende Melodie oder auch nur ein Melodie-»Ansatz«, wie das volkstümlich gestimmte Liedchen vom »gefangenen Vöglein«, dessen Weiterführung sich jedoch bald verliert, sowie das Liebesduett zwischen Franz und Adelheid, das den ersten Akt wirksam abschließende, klangüppige Oktett und mehrere imposante Chöre. Von letzteren seien die herrlichen, wirkungsvollen Chorsätze des 2. Aktes und die kraftvollen, kernigen Chorstellen in der Bauernkriegszene hervorgehoben. Nicht unerwähnt sei das im 2. Teile des 2. Aktes enthaltene, mit jeder Strophe um einen halben Ton steigende Strophenliedchen des Franz (3/4-Takt, anfangs C-dur) mit seiner flotten Rhythmik; es liegt ein frischer Zug in diesem Liedchen; man fühlt sich da förmlich in eine Spieloper versetzt. Sprach ich vorhin von einigen wohlgelungenen, bei einigermaßen guter Ausführung ihrer Wirkung sicheren Chorsätzen, so ergänze ich noch, daß der Schlußchor des 4. Aktes zu stark aufgedonnert ist. Das Hauptwort im »,Götz« führt das Orchester. Die charakteristische, klangsatte und farbenprächtige Instrumentierung bekunden Goldmarks klugen Blick für geistvolle und interessante orchestrale Wirkungen. Schon die thematisch gehaltene Ouverture wirkt imponierend; in ihr begegnen uns ein Motiv aus Adelheids Soloszene im vorletzten Bilde, das Nachspiel zu Götzens Tischgebet im 2. Akte, einige Sätze aus dem Vorspiele zum 3. Akte, sodann die zarte und einschmeichelnde Orchestermelodie aus dem 2. Bilde des 2. Aktes and schließlich der lebhaft und stürmisch bewegte, vor dem Schlusse der Gerichtsszene vorkommende Satz. Auch die übrigen Orchester-Vorspiele, sowie die Orchester-Zwischenspiele sind teils interessant und geistvoll konzipiert, teils melodisch wirksam; ein in der Melodik reizvolles, liedartig gehaltenes Orchester-Zwischenspiel verbindet musikalisch die beiden Teile des 2. Aktes; ein fugiertes, das geschäftige Treiben der Wegelagerer gut und lebhaft charakterisierendes Vorspiel leitet den 3. Akt ein, ein mit dunklen Farben gemaltes, schaurig-düsteres, die Nachtszene des Femgerichtes; ein wild-bewegtes Orchesterspiel leitet von der Femrichterszene zu Adelheids Schlußszene über. Zu den schönsten Stellen der Oper gehören: Götzens Schmerz über den Verrat Weislingens, die Musik zum Gespräche Götzens mit Georg, da letzterer mit der Bitte um Gnade für einen gefangenen Wanderer zu Götz kommt, das hochdramatische Duett zwischen Adelheid und Franz, einige Momente auf dem bischöflichen Hofe zu Bamberg und das Melodram zu Götzens Tod. »Und Leitmotive?!« höre ich fragen. Nun – eigentliche »Leitmotive« im Richard Wagnerschen Sinne finden sich im »Götz« nicht; mehrere sich bei geeigneter Gelegenheit wiederholende Motive tragen eigentlich den Charakter von sogenannten »Erinnerungs-Motiven« und nicht das innere Wesen der »Leitmotive« im strengen Sinne des Wortes in sich; so findet man im 1. Akte ein in Terzen fortschreitendes, volkstümlich gehaltenes und sympathisch berührendes Thema, welches im l. und im 2. Bilde des 3. Aktes wiederkehrt; ebenso treffen wir die Fis-moll-Melodie der Maria (Liebesszene im 1. Akte!) im 1. Bilde des 3. Aktes bei Götzens Schmerz über Weislingens Verrat ein zweitesmal; auch ein Thema, das zuerst bei Franzens Erzählung von Adelheids Schönheit (1. Akt) erscheint, wiederholt sich im weiteren Verlaufe der Oper. Wenn nur mehr geschlossene Melodien und mehr echte Melodik im Gesange vorhanden wären! Goldmark hat ja doch schon in früheren Jahren den Beweis geliefert, daß er die Gabe besitzt, schöne und warmempfundene Melodien zu schreiben. Warum hat er also in seinem jüngsten Bühnenwerke dieses Talent so wenig entfaltet?!

Die vorgestrige Erstaufführung stellte dem guten Wollen und Können der Mitwirkenden ein schönes Zeugnis aus. Sie war für die hiesigen Verhältnisse wirklich bewundernswert gut; man kann hier kaum mehr erlangen. Herr Arnold sang den Titelheld mit großer Wärme und schönem Ausdruck; auch sein Spiel war charakteristisch, wohldurchdacht und dabei maßvoll. Herr Bara lieh dem Weislingen seine herrliche, wahrhaft blühend schöne Baritonstimme. Herr Krause entfaltete als Franz mächtig sein kraftvolles Organ und war mit Feuereifer bei der Sache. Das Gleiche läßt sich von Fräulein Dereani (Adelheid) sagen; ihre besten Momente hatte die Genannte in der Liebesszene mit Franz und in der großen Soloszene. Der große Personalstand der Novität machte die Kumulierung mehrerer Rollen in einer Hand notwendig. So war die Rolle des Bischofs und bes Bauernanführers Metzler in der Hand des Herrn Direktors Schramm vereint; Herr Direktor Schramm gab den Bischof mit der erforderlichen Würde, den Bauernanführer Metzler mit der richtigen Leidenschaft. Bei Herrn Vollmer waren die Partien des Selbitz und des ersten Femrichters gar wohl geborgen, wie ja vorauszusehen war. Die Herren Halper (erster Ratsherr und dritter Femrichter) und Deutsch (Lerse und zweiter Femrichter) wirkten ebenfalls sehr verdienstlich mit, wie auch die Damen Sondra (Maria), Martinez (Elisabeth) und Sauter (Georg) viel zum Gelingen des vorgestrigen Abends beitrugen. Ein ganz besonders großes Lob muß man Herrn Kapellmeister Sommer zollen; Herrn Sommer war als musikalischem Führer die allerschwierigste und verantwortungsvollste Aufgabe zugefallen; er hatte aber diese Aufgabe vorzüglich gelöst. Das Orchester bewältigte seine überaus anstrengende Arbeit staunenswert gut; die stürmisch akklamierte Ouverture machte der großen Leistungsfähigkeit unseres Orchesters alle Ehre. Die Chöre verrieten eingehendes Studium und klangen wahrhaft staunenswert voll, rein und frisch. Das in allen Räumen sehr zahlreich besuchte Hans jubelte den persönlich anwesenden Komponisten nach sämtlichen Aktschlüssen oftmals stürmisch hervor; an den Hervorrufen partizipierte auch mit vollem Rechte Herr Kapellmeister Sommer, wie auch die übrigend Mitwirkenden einen guten Teil des so reichlich gespendeten Applauses für sich in Anspruch nehmen dürfen. Fräulein Dereani wurde durch eine Blumenspende ausgezeichnet. Der Komponist hatte die Proben geleitet und die Inszenierung übernommen. Die Oper war geschickt und stimmungsvoll inszeniert; nur die Szenerie des 4. Aktes gab jenen, welche weder mit Textbuch noch mit Klavierauszug sich befaßt hatten, ein Rätsel auf. Die neue Dekoration in der 2. Abteilung des 3. Aktes (»Saal am kaiserlichen Hofe zu Augsburg«) ist recht malerisch und entstammt dem Atelier des Herrn Theatermalers Hadrigan. Es war ein Ehrenabend für alle Beteiligten. O. B.
(Linzer Volksblatt vom 20. November 1904)