… namentlich als Dramatiker hoch angesehen
Goldmarks »Götz von Berlichingen«
Zur bevorstehenden Erstaufführung in Linz.)
Gmunden, die liebliche, seeumspülte Stadt, birgt allsommerlich so manche Zelebrität in seinen gastlichen Mauern. Leuchtende Sterne der Kunst, wie Friedrich Hebbel, der Aesthetiker Vischer, La Roche, Friederike Goßniauu und die Lucca waren und sind dort angesiedelt und auch Karl Goldmark zieht sich beim Frühlingserwachen in den beliebten Kurort zurück, der die Annehmlichkeit des Land- und Stadtlebens vereint bietet. Dort ist seine zweite, die sogenannte »Gmundener Sinfonie« entstanden und manche Perle aus dem reichen Schaffen des Tonmeisters mag hier hervorgeholt und als Kleinod in die weite Welt gewandert sein. Goldmark hat sich in aller Art der musikalischen Kunst bewährt, keine Gattung blieb von ihm unversucht, er ist als Lieder- und Kammerkomponist, als Sinfoniker und namentlich
als Dramatiker hoch angesehen. Sein erstes Bühnenwerk: »Die Königin von Saba« war sein durchgreifendster Erfolg auf den Brettern. Das morgenländische Wesen des Stoffes, die Tempelgesänge, der blendende orchestrale Glanz, deren die Aufzüge bedürfen, fanden in Goldmark den geeigneten Vertreter. In dem der Artussage entnommenen »Merlin« schlägt er andere Klänge an, die dem orientalischem Kolorit entrückt, sich dem größten Bemeisterer der Sage in musikalischer Form, Richard Wagner unverkennbar nähern. Die gewiß mehr äußerliche Aehnlichkeit wurde dem Werke unverdient zum Schaden. Viel einfachere Mittel verwendet er hingegen im »Heimchen am Herd«, bei dem er sich vor aufregender Musik hütet und sich in einer musikalisch rückläufigen Bewegung ergeht. Seine leichtfaßlichen Melodien und das ausgesprochene Bestreben, den Volkston zu treffen, machten das englische Märchen eine Zeitlang zum beliebten Opernstück, für dessen Erhaltung im Repertoire erst kürzlich Dr. Kienzl sehr warm eintrat. Die vierte Oper: »Die Kriegsgefangene«, deren Stoff aus der Antike geholt ist, erhielt sich nicht. Es wurde darin ein anempfundener Gluck gewittert.
Die kurz erwähnten vier Bühnenwerke erlebten ihre Uraufführung im Wiener Hofoperntheater, das mithin zur Wiege von Goldmarks bisherigen dramatischen Schöpfungen geworden ist. Vor zwei Jahren hat er nach einem Helden des deutschen Volkstums gegriffen zum »Götz von Berlichingen«, dem rauhen, biederen Selbsthelfer in wilder, anarchischer Zeit, wie ihn Goethe charakterisiert. Goethe dramatisierte die Geschichte des edlen Deutschen, um das Andenken eines braven Mannes zu retten. Unsere Zeit hat ihre Anschauung über den Wert des geschichtlichen Götz wesentlich gemindert. Deshalb bewundern wir doch unveränderlich den Dichtergenius, der uns so wahrheitsgetreu in den Geist und Ton einer fern liegenden Zeit, in die Lebensanschauung und Ausdrucksweise verschiedener Stände versetzt. Das erste deutsche Ritterschauspiel wurde auf Goldmarks Wunsch von dem Textdichter A. A. Willner vorgenommen und zu einem Opernstoff umgearbeitet, der sich natürlich nicht des ganzen Inhaltes des Goetheschen Werkes, sondern nur mit Einschränkung und beträchtlichen Lizenzen desselben bemächtigen konnte. Willner betitelt darum seine Arbeit ganz bescheiden als »Szenen aus dem Götz«. Wie sich Goethe selbst wesentliche Veränderungen und Umgestaltungen in zwei Umarbeitungen gestattete, so konnte insbesondere Willner, der doch als obersten Zweck die musikalisch-dramatische Bearbeitung vor sich hatte, um so weniger bei der Urgestalt des Schauspieles bleiben. Er verfuhr dabei so schonungsvoll und geschickt, wie wir es noch an wenigen Nachbildungen erfahren haben. Es ist ein Opernbuch entstanden, das sich auch ohne musikalische Einkleidung ganz gut liest und uns vielfach die Sprache des Originals wiedergibt. Manche kostbare Stellen, deren Erhaltung ihm die Pietät gebot, wurden in breit ausladende Rezitative gegossen und dadurch für das musikalische Werk gerettet. Wie viel korrekter verhält sich da Willner als die Textdichter von Gounods »Margarete« und der »Mignon« von Thomas, deren Stoffe ebenfalls von Goethe stammen. Freier geht Willner mit der Szenenfolge um. Hier hat er sich den Erlaubnisschein vom Komponisten geholt, dessen Forderung im Sinne der Steigerung und des Effektes bei einem Opernentwurf schwer ins Gewicht fällt. Die Hauptgestalten sind in diesem Götz beibehalten, der Kaiser und Bruder Martin dagegen entfallen, Sicki[n]gen befreit wohl Götz aus den Händen des Heilbronner Rates, bleibt aber ein großer Schweiger. Ein paar Takte hätten wir dem mannhaften Recken bei so entscheidendem Anlasse doch gegönnt. Berlichingens drei Knappen sind auf einen, den Georg reduziert, ebenso die Bauernanführer auf Sievers und Metzler, die Zigeuner entfallen. Dafür ist aber eine Pagenszene eingeschoben, die aus Rücksicht auf unseren teilweise betagten Frauenchor gekürzt wird.
Bei Verfassung des Textbuches hat Willner beide Bearbeitung Goethes benützt. Die Handlung selbst hat in der Oper folgenden Inhalt:
1. Akt: Der gefangene Weislingen wirbt bei Götz um dessen Schwester Maria, die er auch erringt, aber Weislingen läßt sich von seinem Knappen Franz betören, der ihn nach Bamberg auf den Hof des Bischofs lockt.
2. Akt: Götz vor dem Heilbronner Rat, die berühmte Szene der Tragödie. Aus der gefährlichen Lage befreit ihn Sickingen. Auf dem Hofe in Bamberg zieht unterdessen die schöne, kokette Adelheid von Wallhof [!] den Weislingen in ihre Netze. Sein Knappe Franz erglüht für die schöne Frau. Götz sendet seinen Knappen Georg nach Bamberg, um Weislingen aus der Gefahr, die ihm durch Adelheid droht, zu retten, aber Weislingen verleugnet Georg und damit auch Götz und Maria vor dem Bamberger Hofe.
3. Akt: Georg findet den Ritter Götz auf einem Beutezuge gegen Nürnberger Kaufleute. Die Meldung des Knappen, daß Weislingen für Maria verloren ist, kostet beinahe den Kaufleuten ihr Leben, nur Georgs Fürbitte rettet sie. Unterdessen wurden Adelheid und Weislingen getraut. Erstere veranstaltet ein Schönbartfest, an dem sie mit Franz, der die Jugend darstellt, maskiert erscheint. Da Adelheid ihr kokettes Spiel nunmehr auch mit dem Sohne des Kaisers beginnt, befiehlt Weislingen unmutig seiner Frau, den Hof zu verlassen und ihm auf sein Schloß zu folgen. Die Nacht bringen sie aber noch am Hofe zu und in dieser verfällt Franz vollständig dem Einflusse der Buhlerin.
4. Akt: Die aufständigen Bauern wenden sich an Götz, er solle ihnen zum Rechte verhelfen. Nur widerstrebend läßt er sich bewegen, ihr Hauptmann zu werden. Während er forteilt, Schloß Miltenberg zu retten, brechen die tückischen Bauern auf, Götzens Schloß Jaxthausen zu plündern, wobei Georg erstochen wird.
5. Akt: Franz hat auf Geheiß Adelheids Weislingen vergiftet. Er stürzt sich aus Reue in das Wasser. Die Feme beschließt Adelheids Tod. Adelheid wird in ihrem Gemach vom Femrichter erdrosselt. Götz aber stirbt in Kerkerhaft, umgeben von seinem treuen Weibe und mehreren Getreuen.
Weitaus schwieriger zu ergründen als die Dichtung ist ihre musikalische Ausführung, bevor wir sie in ihrer Gänze vernommen haben. Das war uns beim »Götz« vorläufig unmöglich, denn er wurde bisher in ganz Oesterreich-Ungarn nur in Budapest aufgeführt, wo die Urpremiere am 16. Dezember 1902 mit hochbedeutendem Erfolge stattfand. Bei Karl Goldmark tritt man schon an den Klavierauszug mit Respekt heran, der uns zwar nicht vollauf den weltbekannten Instrumentationsluxus des Tonmeisters enthüllt, aber doch einen guten Einblick in die künstlerische Absicht und die formelle Virtuostät desselben.
In erster Hinsicht gewähren die häufig verwendeten Doppelnotensysteme die Mittel sich einen Begriff von dem Prachtgewande zu bilden, in das Goldmark auch sein neuestes Bühnenwerk wieder gekleidet. Ueber einem Orgelpunkt auf Es baut sich die formell abgeschlossene Einleitung auf, die uns eine Reihe von Motiven vorführt, aus denen sich das kraftvoll kriegerisch gestimmte Götzenthema besonders abhebt. Dem Sprechgesang ist im ganzen Werke ein ausgiebiges Feld eingeräumt, doch ist die Ermüdung ausgeschlossen, weil er sich häufig zum ariosen Gesang steigert. Das und die sinfonisch behandelte orchestrale Grundlage stempeln das neue Werk zu einem durchaus modernen. Den Volkston anzuschlagen, wie er im »Götz« geboten ist, gelingt Goldmark in den hübschen Liedern des Georg und Franz, die stärkste Seite des »Götz« zeigen diese nicht. Sein gewichtigstes Moment liegt vielmehr in der Darstellung schwüler Leidenschaftlichkeit, die sich in den Figuren des Franz und der Adelheid äußert. Im ersten Akt nimmt besonders die Werbeszene durch ihren Wohllaut für sich ein, und Götzens Abgang nach Heilbronn begleitet ein prachtvolles Oktett-Ensemble. Im zweiten Akt fesselt der Kirchgang, die Szene am bischöflichen Hof, der Huldigungsgesang eines Soloquartetts mit unterlegtem vierstimmigen Chorsatz der sich in einem gebeteten Kyrie auflöst. Die Gefangennahme der Kaufleute im dritten Akt drückt sich in einem mehrstimmigen gelehrten Fugato aus, ergreifend wirkt Götzens Klage um Maria (B-Moll) und angreifend Götzens Wut (B-Dur) und zurückkehrende Besinnung. Im Schönbartfest deutet Franz das Gruppenbild in einem hübschen Arioso aus. Der Akt schließt mit dem von breitem, lyrisch-melodischen Fluße getragenen Liebesduett. Der vierte Akt schildert in geistvoller Weise die gärende Stimmung der aufgewiegelten Bauern, denen die Rauflust die Kehle öffnet zu choristischer Kraftäußerung. Wer denkt da nicht an den zweiten Akt der »Meistersinger«? Im fünften Akt folgt der Dichter und der Komponist den drei letzten Szenen des Goetheschen »Götz«. Mit einer düster bangen Einleitung großen Stils führt sich die unheimliche Feme ein, der höchst raffinierte Liebesruf der Buhlerin bildet sich vor der Erdrosselung in starres Entsetzen um, das erst mit der milden, erlösenden Sterbeszene des »Götz« von dem beschwerten Gemüte des Zuschauers weicht. Das kann schon vorausgesagt werden, daß wir am Vorabende eines bedeutsamen Theater-Ereignisses stehen. Unsere Bühne ist die erste unter den zisleithanischen, die dieses Spätwerk des greisen, österreichischenTonmeisters, der jetzt hier weilt und es selbst anordnet, hoffentlich mit aller verfügbaren Kraft und Hingabe aufführt. Ae. P.
(Linzer Tages-Post vom 15. November 1904)