Wieder am heimischen Herd
Bei Karl Goldmark
Ein schöner kleiner Herr. Ein Musikantenkopf, silberweiß das lange feine Haar, und die Augen goldig braun und sonnig heiter. Das Zimmer, das Karl Goldmark am Neubau bewohnt, ist bürgerlich und traut; man kann darin bald heimisch werden. Ueber dem Bett eine schöne Radirung: Beethoven. Auf dem Flügel stand vorgestern ein breitbuschiger, geschmückter Tannenbaum. Und deswegen waren auch die Thüren abgesperrt: in des Meisters Zimmer bereiteten sich die Ueberraschungen für seine kleinen Enkel vor.
Goldmark ist erst in diesen Tagen aus Budapest zurückgekehrt, wo seine neue Oper »Scenen aus Götz« die Uraufführung erlebte. –
»Es war ein schöner und doch großer Erfolg,« sagt er, »aber es war auch eine Riesenmühe für mich. Vierzehn Tage lang die Proben, die oft bis 11 Uhr Nachts währten. Immer auf den Beinen sein, bald im Orchester, bald auf der Bühne! Nicht gleich ein Junger hätte mir das nachgemacht; und dennoch schreiben die Zeitungen: »der greise Componist «. Greis, das ist doch »hinfällig«, nicht wahr? Dagegen möcht’ ich protestiren. Man ist so alt, wie man sich fühlt. Ich fühle mich Gott sei Dank noch ganz rüstig, sehen Sie. Und den »Götz« hätte ein greiser Componist wohl auch nicht mehr geschrieben. Wenn auch nicht alle Bilder gleich gefallen haben, so war es doch ein schöner Erfolg. Es geht nicht anders, unter neun Bildern muß es auch schwächere geben. Uebrigens gibt man am ersten Abend viel zu sehr auf den äußeren Beifall des Publikums. Ein endgiltiges Urtheil scheint mir unmöglich zu sein. Man steht dem Werke mit Fremdheit gegenüber, kann das Ganze nicht übersehen. Dann ist man bei mir stets wieder überrascht durch die unerwartete Stoffwahl. Man kann nicht vergessen, daß ich die »Königin von Saba« geschrieben habe. Man erwartet wieder etwas »Orientalisches«. Aber ich liebe es nicht, alte Terrains wieder aufzusuchen. Mich reizen und locken immer nur neue Milieus. Aus ihnen empfange ich Anregungen. So kam ich von der »Königin« auf »Merlin«, auf das »Heimchen am Herd«, auf die »,Kriegsgefangene«, auf den «Götz«. Sie sehen: nur kein Verharren in einem bestimmten Kreise.
Diesmal kamen die Leute wahrhaftig mit einem Vorurtheil ins Theater, mit einem recht ungünstigen nämlich. Infolge des Gerüchtes, der »Götz« wäre von der Wiener Oper abgelehnt worden. So etwas verfehlt niemals, Stimmung zu machen. Es ist also unrichtig und verdreht, wenn ein Berichterstatter schrieb, der erwartete Erfo[l]g sei es nicht gewesen. Es war vielmehr ein unerwarteter Erfolg. Und nun wandert der »Götz« nach Deutschland, zuerst nach Frankfurt, wo ich ihn selbst dirigiren will, weil es doch die erste Ausführung in deutscher Sprache sein wird. Wann und ob er überhaupt an unsere Oper kommt, ist vorderhand noch nicht entschieden. Budapest wollte die gleichzeitige Aufführung mit Wien haben. Wissen Sie, in meinem Alter kann man nicht mehr allzu lange zuwarten; so entschloß ich mich, Budapest die Uraufführung zu überlassen.
Und in Ungarn holte ich mir zugleich die Anregung zu einer neuen Arbeit. Eine Oper wird es zwar nicht, aber eine symphonische Dichtung: »Zriny«. Ein wenig hält sie sich an das Körner’sche Drama, doch nur ganz lose. Es wird nur ein Satz sein und recht magyarischen Charakter tragen. Zur Feier des fünfzigjährigen Bestandes der ungarischen Philharmonie im nächsten Frühjahr will ich mit »Zriny« herausrücken.
An eine neue Oper denke ich wohl wieder, aber es geht langsam bei mir, bevor sch alles gestaltet und fügt. Die Idee zu »Götz« beschäftigte mich an fünfzehn Jahre. Ich finde noch keinen Text, mit dem mich Beziehungen verbinden, die ich immer brauche. Auch habe ich in Wien nicht die nötige Ruhe und Sammlung. Im Frühling kehre ich nach meinem Gmunden zurück und dort kann ich wieder arbeiten. Dort kann ich mich in meiner Klause einspinnen und einzig meiner stillen Contemplation leben.«
Karl Goldmark, der Siebziger, sitzt da, Bein über Bein geschlagen, mit gefalteten Händen, sicher und zufrieden lächelnd, und seine Augen leuchten heller, wenn er wie ein Junger von geplanter Arbeit spricht. Der Streich, den Director Mahler dem einheimischen Meister gespielt, indem er die Aufführung des »Götz« seit Beginn der Saison verschiebt. um interessante Experimente mit fremdländischen Componisten zu wagen, dürfte Goldmark an die Schicksale seiner »Königin von Saba« erinnern . – »Vier Jahre lang habe ich sie in der Schublade liegen gehabt, trotz aller Anstrengungen. Es kam die Weltausstellung 1873, auf welcher Verdi’s »Aida« aufgeführt wurde. Das war ein furchtbarer Schlag für mich. Denn ich wußte, der Platz, den »Aida« einnahm, hätte von rechtswegen meiner »Königin« gehört. Und in »Aida« waren jene orientalischen Elemente meiner früher geschriebenen »Königin«, die man nun für Nachempfindungen hätte halten können. Es ist eine lange, traurige Geschichte, die ich heute leider noch nicht erzählen kann. Es spielen da ein paar Leute, die noch leben, peinliche Rollen. Aber damit das alles der Welt nicht ganz verloren geht, will ich es vielleicht einmal aufschreiben. Eine Selbstbiographie wird es wohl nicht werden, aber doch ganz schöne Erinnerungen. Ich hatte ja auch Beziehungen zu Brahms, Liszt, Wagner und anderen großen Männern, die die Oeffentlichkeit interessiren werden.«
Die Augen des Meisters werden versonnener, sein Lächeln ein wenig schwermütiger. »Ein Componistenleben,« sagt er, »das ist immer eine eigenthümliche Geschichte. Man entdeckt seine Bestimmung gewöhnlich erst recht spät. Ich war schon Siebenundzwanzig, als ich auf mich selbst kam. – Componirt habe ich freilich als Bub von zehn Jahren, ohne je ein Instrument gesehen zu haben. Dann sollte ich eigentlich Geiger werden; als solcher durchwanderte ich manches Orchester in den größeren ungarischen Städten. Damals schmierte ich schon viel, wenn auch ganz wild und ohne Theorie. Gedruckt ist nichts davon worden. Bis ich endlich beim Carl-Theater in Wien landete. Und hatte es immer nur in mir gegohren [!], so brach es sich hier durch. Ich warf mich auf die Theorie, und was ich hier bereits schrieb, davon ist manches bekannt geworden. Die ersten Erfolge hatte ich mit Kammermusikstücken, die Hellmesberger, allerdings auch erst nach bedenklichem Zaudern, spielte. Dann schlug die »Sakuntala« ein. Und ich dachte gleich an eine Oper. Nur keinen Text hab’ ich gehabt. Der Stoff zur »Königin von Saba« beschäftigte mich zwar und ich schrieb ihn auch nieder; aber schließlich mißfiel er mir und ich verwarf ihn. Bis ich ihn eines Tages zufällig Mosenthal erzähle, den ich auf der Straße treffe. Mosenthal war gleich dabei, ihn durchzuarbeiten. Es gab noch später manches Für und Wider und ich mußte selber nachhelfen, wie fast bei allen späteren Texten. Und als des Ding fix und fertig war – nun, wie gesagt, das ist eine eigene Geschichte für sich, die ich noch einmal aufschreiben will, in Gmunden, bei Zeit und Ruh.« Hnn.
(Die Zeit vom 25. Dezember 1902)