Nichts von der früheren Farbenpracht …

K.k. Hofoper. Ueber Goldmark’s jüngstes Bühnenwerk, »Die Kriegsgefangene«, welches am 17. v. M. erstmalig an der Wiener Hofoper aufgeführt wurde, kann man sich recht kurz fassen. Seit Jahren ist nichts Impotenteres über diese Bühne geschritten. Nichts von der früheren Farbenpracht des Goldmark’schen Orchesters, nichts von der oft blühenden Melodik des »Merlin« und der »Königin von Saba«, und nichts von der so oft gerühmten Harmonisation ist hier zu finden. Sogar die Chöre klingen dünn; der moderne Sprechton hat einer Art Psalmodiren Platz gemacht, oder besser gesagt, er nähert sich verdächtig dem alten Recitativ. Der erste Act ist von geradezu erschreckender Sterilität. Im zweiten Acte erzielte die Meisterleistung Hesch’s als Priamos, mit dessen Bitte, den meisten Erfolg, ebenso das relativ am meisten gelungene Liebesduo. Wohlanständig und gut gemacht ist diese Musik, das lässt sich nicht leugnen; über die Langweiligkeit derselben mag eine Stimme herrschen. Und die Wiener Kritik? Selbstverständlich war ein Theil derselben – wie immer, wenn es sich um ein Werk von Brahms, Goldmark u. s. w. handelt – allen Lobes voll! Die Träger der Hauptrollen Hr. Reichmann (Achilles) und Frl. Renard (Brieseïs) waren gesanglich noch so ziemlich entsprechend, schauspielerisch weniger. Das Buch von Emil Schlicht ist nicht ärger als andere Opernbücher; das Bestreben, die Schuld an dem misslungenen Werke auf das Libretto zu überwälzen, ist allzu durchsichtig. Durch Aufführung der »Kriegsgefangenen« hat Director Mahler sich kein besonderes Verdienst erworben; wie in diesen Blättern schon oft dargethan wurde, harren der Wiener Hofoper seit Jahren würdigere Aufgaben. B. Lvovsky.
(Österreichische Musik- und Theaterzeitung, 1899 Heft 11)