…welch gewaltige Metamorphose im Styl

»Heimchen am Herde.«
Oper in drei Abtheilungen, frei nach Dickens’ gleichnamiger Erzählung von A. M. Willner, Musik von Karl Goldmark. Zum ersten Male aufgeführt im kön. Opernhause am 4. Oktober 1896.

Als vor zwei Jahren die knappe Notiz in den Tagesblättern erschien, Karl Goldmark habe die Komposition einer neuen Oper begonnen, welche Charles Dickens’ Erzählung »Das Heimchen am Herde« zum Inhalte hat, da ging ein großes Verwundern durch die musikalische Welt. Wie? derselbe Goldmark, den wir bisher als Vollblutdramatiker gekannt, der sich nur im hohen tragischen Pathos, in der gährenden, jäh aufflammenden Leidenschaft, in den brennenden erotischen Farben wohl zu fühlen schien, er greift so ganz unvermittelt zu dem zarten, beschaulichen, harmlosen Hausmärchen des englischen Romanciers ! Wie seltsam! Und doch ist das »Heimchen« keine Ueberraschung für jenen engeren Kreis, zu dem sich Goldmark über fernere Pläne und Absichten gern aussprach. Es sind wohl an die acht Jahre her, als wir einmal an den Meister die Frage richteten, ob er nicht an eine dritte Oper denke. Da blitzte es hell in seinen Augen auf und er erwiderte sehr lebhaft: »Glauben Sie mir, ich beschäftige mich unablässig mit dieser Idee. Mit Begeisterung und größter Arbeitslust würde ich mich an einen Stoff wenden, wie er mir so ungefähr in meiner Phantasie vorschwebt. An Textbüchern fehlt es mir nicht. Aus allen Weltgegenden flattern mir die Libretti und Skizzen zu, sie häufen sich stoßweise auf meinem Schreibtische. Das Alles will gelesen, geprüft, erwogen und – wie er mit launiger Resignation hinzufügte – auch brieflich erledigt werden. Und da gibt es mitunter recht nervöse Dränger, die nicht geduldig genug ihr »Nein« abwarten können. Aber ich habe bisher das Richtige nicht gefunden und werde mir wohl noch an so manchem Manuskript die Augen wund lesen.« Auf die weitere Frage, wie er sich sein nächstes Libretto wünschen möchte, antwortete er, und das war zu einer Zeit, als weder die »Cavalleria«, geschweige denn »Hänsel und Gretel« noch das Licht der Rampen erblickt hatten: »Vorläufig nichts mehr vom hohen Kothurn, von der großen, hochdramatischen, der ›dicken Oper‹. Ich möchte einmal einen anderen Ton anschlagen, mich auf einem friedlicheren Schauplatz tummeln. Ich denke mir etwa eine lyrische Oper, ein intimeres Genrebild mit volksthümlichem Leben, mit einer einfachen Handlung, mit einer anmuthigen Herzensgeschichte, der auch der Humor nicht fremd ist . Seither vergingen wieder Jahre vergeblichen Suchens, bis ihn plötzlich ein Titel magisch anzog: »Das Heimchen am Herde«. Hatte nicht der Meister selbst ein stilles Heim, einen trauten Herd gefunden an seinem leise herandämmernden Lebensabend? Der liebenswürdige Zauber des Weihnachtsmärchens rührte da an nahe verwandte Saiten und wohlvertraut klang ihm auch das Zirpen des lieben Hausgrillchens im Ohre. So wandelte sich ihm das freundliche Familienbild gleichsam über Nacht in tönende Form. Binnen knapper elf Monate hatte Goldmark die ganze dreiaktige Oper bis zur Bühnenreife fix und fertig. Das war die eigentliche Ueberraschung. So flink und flott war Goldmark, der strenge Selbstkritiker, der immer und immer wieder mit peinlichster Gewissenhaftigkeit an seinen Kompositionen bosselt und nachfeilt, noch nie bei der Arbeit gewesen wie bei diesem »Heimchen«, welches Dr. Willner, frei und doch treu, aus dem Buch aus die Bühne hüpfen ließ.

Und welch gewaltige Metamorphose im Styl, welch weiter Weg von dem glänzenden Königspalast zu Jerusalem, von der ritterlichen Tafelrunde am Artushofe zu der bescheidenen Wohnstube des wackeren, vierschrötigen Postkutschers John Peer[y]bingle! Hier waltet die kleine, die niedliche, die schelmische Frau Dot als resolute, treue Hausfrau, blühende, lachende Jugend, die sich dem angegrauten, ernsten Manne zu eigen gab. Aber Frau Peer[y]bingle liebt ihren Postillon echt und innig, kost ihm nach schwerem Dienste die Falten von der Stirne, betreut ihn mit herzlicher Geschäftigkeit. Zu all dem stillen Eheglück fehlt wirklich nur eine Kleinigkeit – ein John Peer[y]bingle junior, eine putzige Fortsetzung des alten, der da in der wackeligen Postkutsche durch Wind und Wetter vom Dorf zur Stadt rumpelt. Doch kündigt das Heimchen, die anmuthige Grillenelfe, alsbald einen kleinen Postillon an und gleich darauf verräth auch Frau Dot in einem reizenden Lied ihr süßes Geheimniß, das sie selbst erst leise ahnt und noch vor dem Gatten behütet. Auch ihre Freundin May darf nichts erfahren. Das arme Mädchen kommt wieder, wie so oft, mit rothgeweinten Augen. Kümmerlich verdient sie für sich und ihren blinden Pflegevater den Lebensunterhalt. In der Werkstatt des alten reichen Geizhalses Tackleton näht sie sich für geringen Lohn die Finger wund an zierlichen Puppen. Ihr Brodherr verfolgte sie mit Heirathsanträgen, schon hat sie sich ihm versprochen, um aller Noth ein Ende zn machen. Aber ihre Gedanken weilen bei dem fernen Geliebten, dem Matrosen Edward Plummer, der vor sieben Jahren in die weite Welt gegangen und seither verschollen ist. Da fährt der Postwagen vor und der ungeduldig erwartete John tritt mit Packeten beladen in die Stube. Er bringt einen Passagier mir, einen Greis mit Silberhaar, dem er Herberge für die Nacht zugesagt hat. Der Gast ist Edward, der in dieser Verkleidung in die Heimath zurückkehrt, klopfenden Herzens, ob ihm wohl sein Lieb’ noch die Treue bewahrt. Er fährt zusammen, als man von der bevorstehenden Hochzeit May’s spricht. Er flüstert Dot, seiner ehemaligen Jugendgespielin, seinen Namen zu und ein Blick des klugen Weibchens sagt ihm, daß sie zu ihm hält und Alles noch zum Guten wenden will. Als aber der Fremde viel kostbare Juwelen vorzeigt und die beiden Freundin[n]en reich beschenken will, da schöpft der alte Puppenhändler Verdacht, er macht auch den guten, ehrlichen John argwöhnisch und legt sich mit ihm auf die Lauer, Dot aber, welche die beiden Lauscher bemerkt hat, beschließt, ihrem eifersüchtigen Postillon eine kleine Lektion zun geben. Was nun der arme John da erschaut, macht ihm das Blut erstarren. Dot, seine süße Dot, in vertrautem Geflüster mit dem geheimnißvollen Fremden, dieser selbst redet ihr immer dringlicher zu (wegen seiner geliebten May), sie lächelt, sie nickt, sie ergreift seine Hand und ach! sie duldet seine (dankbare) Umarmung. Mit höhnischem Gelächter verläßt Tackleton den niedergeschmetterten John. Weibes Liebe, Weibes Treue, Alles eitler Wahn, käuflich für einen glitzernden Schmuck! In einem furchtbaren Wuthausbruche schwört John dem vermeintlichen Räuber seines Glückes blutige Rache. Tragische Sturmwolken ballen sich da drohend über dem sonst so friedlichen Schauplatz. Aber das Heimchen, der liebliche Hausgeist, treibt sie alsbald zu Paaren. Mit seinem traulichen Gezirpe wiegt es den Verzweifelten in wohlthätigen Schlummer. Bald umfängt ihn ein holder Traum. Er sieht einen stillen, mondbeglänzten Waldweiher, Eisen umschweben ihn, ein Rosenstrauch taucht empor, der sich zu einem zierlichen Nest entfaltet und mitten drin steht ein kleiner John Peer[y]bingle mit Horn, Peitsche und Rößlein – der zukünftige Stammhalter, den Frau Dot ihrem geliebten Postillon schenken wird.

Marie Wein-Abrány (»Dot«)

Und der nächste Morgen bringt vollends die schönsten Ueberraschungen. Die gute May erscheint bräutlich geschmückt, die Myrthe im Haar, das Leid im Herzen. Da klingt ein frisches, kräftiges Seemannslied vor dem Fenster, sie lauscht ergriffen. Schon winkt Dot dem Sänger und im nächsten Augenblicke umarmt Edward, der Bart und Perücke abgeworfen, sein geliebtes Mädchen, Nun gilt es, dem verhaßten Freier, der schmunzelnd hereintrippelt, das Bräutchen abzujagen. Das besorgen prompt die Burschen und Dirnen des Dorfes, die Edward herbeigerufen. Die ungebetenen Hochzeitsgäste umtanzen den verblüfften Tackleton in lustigem Reigen, immer dichter schließt sich die Kette, immer toller wirbelt der Schwärm, Indeß entführt Edward die Braut in Tackleton’s eigener Galakutsche zur Kirche, wo sie – Noth kennt kein Aufgebot – schnell getraut werden. Nun merkt auch der gute, schwerfällige John den wahren Zusammenhang, und nachdem ihm gar Frau Dot etwas Süßes ins Ohr geraunt, das er schon im Traum gesehen, fällt der Vorhang über zwei glücklichen Paaren, während das Heimchen graziös seinen Segen dazu zirpt.

Herr Willner hat da dem Komponisten ein recht wirksames Textbuch in die Hand gegeben. Sein Libretto ist geschickt gemacht, es verräth überall den denkenden, bühnenkundigen Theatermann, der den Tondichter und das Publikum zugleich vor Augen hat. Jenem bietet er eine Menge dankbarer musikalischer Situationen in farbigem Wechsel, diesem eine gut geführte, leicht verständliche Handlung, dabei immer etwas für’s Herz, für’s Auge und wohl auch für die Lachmuskeln. Den gesunden Kern des Originals hat er geschickt herausgeschält und mit sinnigen Versen umkleidet, die ihm glatt aus der Feder fließen, Sie klingen auch in der sorgfältigen Uebersetzung Emil Abrányi’s. Die Hauptfiguren treten auch aus der Bühne klar und plastisch hervor: der derbe, gutmüthige John, sein munteres Weibchen Mary, die er scherzend Dot (Punkt, Klecks) nennt, der geckenhafte Tackleton, Edward, der stramme Seemann und die empfindsame May. Allerlei Veränderungen der Dickens’schen Erzählung waren beim Sprung auf die Bretter nicht zu umgehen. Die wichtigste betrifft das Heimchen. Die liebe Hausgrille mußte personifizirt werden und so hat sie der Textdichter kurz entschlossen in eine nette Elfe mit phantastischem Grillenkostüm umgeformt, die bald hinter dem Ofenloch, bald aus einer Rosenhecke hervorhüpft und als theilnahmsvoller Schutzgeist über dem Ehefrieden wacht. So wurde auch der anmuthige Sinn des Hausmärchens glücklich gewahrt. Einige Schwierigkeit gab es mit Peer[y]bingle dem Jüngeren. Mit dem keinen Schreihals war vor den Coulissen schlechterdings nichts Vernünftiges anzufangen. Aus einer Verlegenheit wurde ein interessanter Umstand: der hoffnungsvolle Junge ist statt in der Wiege, erst auf dem – Wege.

Mit der Musik zum »Heimchen« liefert Karl Goldmark wieder einmal eine volle Probe seiner genialen Vielseitigkeit. Seine künstlerische Elastizität ist in der That staunenswerth. Wie keinem zweiten Meister der Gegenwart ist ihm die Gabe eigen, sich in jede Kunstform zn vertiefen, auf jedem Gebiete musikalischer Komposition Bedeutendes zu schaffen. Bisher ist ihm kein Genre, etwa das große Oratorium ausgenommen, fremd geblieben. Die Symphonie, die Ouvertüre, Lied, Kammermusik und Oper weisen Meisterwerke von seiner Hand auf. Im »Heimchen« zeigt er wieder eine neue Facette seines glänzenden Talents, es ist wieder etwas Besonderes, von seinen früheren Opern Grundverschiedenes. In der »Saba« die große extatische Leidenschaft, heißer dramatischer Puls, die strahlenden Farben des Orients, im »Merlin« schwungvoll-ritterliches Pathos, erhabener, eihevoller Ernst. Und nun, nach jenen großen, figurenreichen, dramatischen Gemälden ein gemüthliches, anheimelndes Genrebild, ein heiterbeschauliches Märchen mit zarter Lyrll, mit intimer Kleinmalerei. Goldmark hat sich da merkwürdig in den neuen, ihm bisher ganz ungewohnten Styl hineingelebt. Er greift fast durchgehends zu den Formen der älteren Spieloper. Gesunde, volksthümliche Melodik durchzieht das Werk, der einfache Singspielton herrscht vor. In den vielen geschlossenen Stücken begegnet man zumeist der knappen, schlichten Liedform, dem Strophengesang, wohllautenden Ensembles, flotten populären Chören. Man denkt da an Smetana und weiter zurück an Lortzing und an die Singspiel-Literatur der vierziger Jahre. Ueber einem liebenswürdigen Grundton wechseln bunt die Stimmungen, Gemüthliches und Heiteres, innige Empfindnng, Melancholie, Sentimentalität, volksthümliche Derbheit und zarte Elfenmusik. Dazu in scharfem Kontrast ein bischen tragischer Sturm, wie in John’s Verzweiflungsszene, wo Goldmark plötzlich mit dem Donnerkeil dreinfährt, wenn auch nur auf wenige Minuten. Das volksthümliche Element lärmt lustig in den Chören und Tänzen der Dorfleute; bekannte Volksweisen schlingen sich durch und auch ein Strauß’scher Blutstropfen fehlt nicht. Trotz einem, man könnte fast sagen, altmodischen Zug, der sich in der knappen Fassung der Gesänge, in der einfachen Melodik äußert, kann doch die Oper nur von einem modernsten Meister geschrieben worden sein. Da glänzt auf jeder Seite der Partitur Goldmark’s geniale Kunst, seine geistvolle, pikante, oft kühn ausschreitende Harmonik und ein Orchester, welches in den entzückendsten, reizvollsten Farben schwelgt, bald in blendendem Glanz aufsprüht und noch öfter in duftigster Detailmalerei sich ergeht.

Sehr glücklich führt das Vorspiel mit seiner munteren, ländlichen Stimmung und dem neckischen Elfenspuk in die Oper ein. Alsbald meldet sich das Heimchen mit freundlichem Gezirp, welches wie ein Leitmotiv durch die drei Akte geht. Mit seinem Ohr hat Goldmark der Hausgrille ihre Naturtöne abgelauscht. Sie zirpt wirklich in der zweigestrichenen Sekunde cis-d mit rasch folgender höherer Oktave, die sie schon leiser, wie schüchtern anschlägt. Ungemein charakteristisch theilen sich Oboe und Flöte in die Noten. Ein zart abgetönter Elfenchor von ganz eigenem poetischen Reiz erklingt hinter der Szene und sorgt gleich anfangs für Märchenstimmung. Nun verräth uns Frau Dot ihr »Geheimniß wundersüß« in einem Lied von keuschem, herzlichem Ausdruck. Sie stimmt diesen tiefempfundenen Gesang beziehungsvoll wieder bei der Versöhnung mit dem Gatten an. May führt sich mit einem madrigalartigen Liede von sanfter Schwermnth ein. Nun kommt John daher mit einem frischen, burschikosen Postillonlied, in welches eine alte Posthornfanfare humoristisch dreinredet. Durch einfachen, melodiösen Zug zeichnen sich die verschiedenen Seemannsliedcr Edward’s aus, besonders das von schöner Melancholie erfüllte »Die Ferne wirkt, die Ferne zieht«. Der Briefchor der Landleute, eine heitere Zimmer-Revolution, bildet den wirksamen Abschluß der ersten Abtheilung.

Im zweiten Akte sei gleich das Entréelied Tackleton’s erwähnt, ein Couplet, das mit seiner zopfig-gespreizten, in behäbigem Polkarhythmus daherstelzenden Melodie den aufgeblasenen alten Gecken mit gelungener Komik pbotographirt. Ein feines Wiener Lüftchen weht durch den Schmuckwalzer, eine der dankbarsten Nummern Dot’s. Man trägt ihn, so wie manch anderes Lied, gleich beim ersten Hören nach hause. Ein Juwel von klarstem Schliff ist das Quintett, ein edles, von einem Wohllaut durchtränktes Ensemble, über dem die beiden Sopranstimmen in anmuthigem Wechsel aufleuchten. Die eigentliche Pièce de résistance ist aber das Orchestervorspiel zum dritten Akte. Man kann sich der elektrisirenden Wirkung dieses rauschenden, mit zwingendster Rhythmik daherfliegenden Tonstückes schwerlich entziehen. Es verwendet in geistreicher Weise die [unleserlich in der Vorlage] des dritten Aktes. Ueber einem Fugato, welches sich mit ferner eigenen Gelehrsamkeit neckt, und über einem graziös variirten Volkslied stürzt es sich kopfüber in einen ausgelassenen 2/4-Takt. Er bekommt immer flinkere Beine, plötzlich mengt sich eine echt ungarische Figura in den tollen Wirbel und führt das Stück in feurigster Csardasstimmung mit Glanz zu Ende. Der dritte Akt bringt das Liebesduo May-Edward: schwärmerische Gluth liegt darüber und zärtlich umschlingen sich die beiden Stimmen zum Schluß. Das Ganze ein wirklicher Zweigesang, unter dem sich viel vornehme Kunst bescheiden verbirgt. Nun kommen die übermüthigen Spottlieder und Tänze des Landvolkes, das mit seiner derb zufahrenden Lustigkeit Leben und Laune auf die Bühne bringt. Poetisch klingt die Oper mit einem fein gestimmten Elfenchor aus.

Desider Arányi (»Edward«)

Die Novität fand in dem ausverkauften, von der vornehmsten Gesellschaft dicht besetzten Hause eine überaus warme, stellenweise enthusiastische Aufnahme. Nach dem ersten Akte erscholl lebhafter Beifall, für den die Mitwirkenden wiederholt dankten. Aber bald ertönten von allen Seiten laute Rufe nach dem Kompositeur, bis endlich Goldmark vor der Rampe erschien. Der Meister wurde von dem ganzen Hause mit hellem Jubel begrüßt und sechsmal stürmisch hervorgerufen. Den größten Erfolg hatte der zweite Akt, Goldmark mußte immer wieder, wohl ein Dutzendmal und darüber erscheinen. Nach Schluß der Vorstellung blieb das Publikum – ein seltener Fall bei uns – wie festgebannt auf den Plätzen und bereitete ihm die herzlichsten Ovationen. Gewissenhafte Rechner haben 25 Hervorrufe gezählt. Einen glänzenden Separaterfolg hatte das Vorspiel zum dritten Akte. Das prächtige Stück entfesselte einen minutenlangen tosenden Beifallssturm, der sich nicht eher legte, bis der famose Allegrosatz wiederholt wurde. So hat Meister Goldmark heute einen persönlichen Triumph und einen künstlerischen Sieg zu verzeichnen trotz einer recht mittelmäßigen Aufführung. Weder Orchester noch Sänger standen auf der vollen Höhe ihrer Aufgabe und auch die Ausstattung der lebenden Bilder, für die manch’ altes Dekorationsstück herhalten mußte, ließ an Geschmack und poetischer Illusion zu wünschen übrig. Kapellmeister Erkel dirigirte mit seiner bekannten Umsicht, ohne doch die zarte, geistreiche Filigranarbeit dieses oldmark-Orchesters überall ins rechte Licht zu setzen. Frau Abrány spielte die Frau Dot mit anheimelnder Anmuth und Schelmerei, war aber im Gesang auffallend matt. Eine empfindsame May war Frau Pevny, ihr Madrigal, nett vorgetragen, fand viel Beifall. Im Quintett hätte sie jedoch die Stimmführung energischer behaupten sollen: dieses schöne Ensemble litt überhaupt sehr unter der Schwäche der beiden Frauenstimmen. Falsch besetzt war die Rolle des Heimchens. Die Grillenelfe verlangt eine graziöse Erscheinung und einen leichten, niedlichen Sopran: Eigenschaften, die Frl. Kaczer nun einmal nicht besitzt. Herr Arányi als Edward wirkte recht angenehm, so lange er nicht ins Forciren kam. Viel ehrliches Streben wandte Herr Beck an den Postillon, aber der richtige John Peer[y]bingle, Herr Takács, saß oben in der Theaterlog«. Herr Hegedűs gab den alten Tackleton mit gelungener Komik; die Partie verlangt freilich einen kernigeren Baß. Auf einen besonders glänzenden Aufführungserfolg konnte sich also die Novität gewiß nicht stützen. Sie braucht zum Glück diese Stütze nicht. Das liebliche »Heimchen« Goldmark’s wird trotzdem noch oft und oft über die Bretter hüpfen. August Beer.
(Pester Lloyd vom 5. Oktober 1896)
*