… die österreichisch-ungarischen Monarchie im Volksliede
Vom deutschen Landestheater. Wir durften gelegentlich der fünfzigsten Aufführung der »Königin von Saba« mit Recht auf das Urtheil eines der größten Musikforscher des Jahrhunderts, unseres vaterländischen Gelehrten A. W. Ambros, verweisen, der Goldmark’s Werk für die bedeutendste dramatisch musikalische Schöpfung der letzten zwanzig Jahre erklärte und ihr sowohl an Tiefe des Gehalts wie an Kühnheit des Aufbaues den Vorrang außerhalb der Werke Bayreuths zuerkannte. Vielleicht kann es geschehen, daß, wenn wir zum fünfzigstenmale John junior im blauen Frack mit gelben Hosen und blinkendem Postillonshorn aus der leuchtenden Rosenhecke emporsteigen sehen, wir uns auf eine andere Autorität berufen werden, welche dem »Heimchen am Herd« einen gleichen Vorrang einräumt. Inzwischen ist gestern wieder, da zum zweitenmal Frau Dot ihr unaussprechlich süßes Geheimniß enthüllt bat, jedes Herz in dem gedrängt vollen Hause in Verzückung gerathen. Man ließ sich das vom reizvollst harmonischen Leben erfüllte intime Traumbild John’s zweimal zeigen und das Vorspiel zum dritten Act wiederholen. Dieses Vorspiel, das »Makart der Musik«, wie man Goldmark nach seiner »Königin von Saba« genannt hat, soll uns die Nationalitäten der österreichisch-ungarischen Monarchie im Volksliede vorführen. Der Tondichter, dessen Heim Wien und dessen Heimat das Ungarland ist, beginnt mit einer graziös Wienerischen Variation des deutschen Volksliedes »So viel Stern am Himmel stehen«, dem ein die deutsche Gründlichkeit gewissermaßen neckendes Fugato vorangeht, dann hören wir ein böhmisches Volkslied, das seinen Gruß an Smetana herüber sendet, bis die Fluten des mächtigen Ungarstromes wirbelnd heranstürmen und das Ganze im wilden Czardas ausklingt. In den Spottchören der Dorfleute im letzten Act wiederholen sich dann dieselben Elemente des Vorspiels wieder.
(Prager Abendblatt vom 22. Oktober 1896)