Das Heimchen und die Königin

Brünner Theaterbrief.
Sehr geehrter Herr Redacteur!
Brünn,
am 17. Oktober 1896.

Die verflossene Decade hatte einigermaßen unter dem gewaltigen Eindruck der Goldmark’schen Oper »Das Heimchen am Herd« zu leiden. Solche Erfolge lassen sich eben nicht leicht erreichen und noch schwerer überbieten. Trotzdem wußte Herr Director Aman durch ein an Abwechslung reiches Repertoir und durch einen gelungenen Coup der letzten Decade ein interessantes Gepräge zu verleihen. Es war ein sehr geschickter Schachzug, und ein ausverkauftes Haus lohnte das künstlerische Streben, nach Goldmark’s »Heimchen« des Meisters »Königin von Saba« zur Aufführung bringen zu lassen. Wenngleich sich in diesen beiden Werken nicht der Entwicklungsgang des erfindungs- und empfindungsreichen Componisten offenbart, so zeigen sie doch die große Wandlungsfähigkeit des Tonkünstlers, zeigen, wie sich Goldmark im »Heimchen am Herd« von seiner bisherigen Art entfernte. Die Brünner hatten so Gelegenheit, in einer Woche die leidenschaftsgesättigte Musik der »Königin von Saba« und die vom volksthümlichen Geiste durchwehten Töne des jüngsten Werkes Goldmark’s zu hören und diese Gelegenheit, die einer gewissen Pikanterie nicht entbehrte, wurde vom Publicum mit Freuden ergriffen. Das war ein kluger Zug des Direktors, eine gesunde und ehrliche Speculation, bei der sowohl die Theatercassa als die Kunstfreunde profitirten.

[…]

Sophie Kollar (»Königin«)

Josip Karol Tertnik (1867-1897) (»Assad«)

Vorhin habe ich bereits über die Aufführung von Goldmark’s »Königin von Saba« gesprochen; dieselbe verdient es wahrlich, daß man sich eingehend mit ihr befaßt, denn sie gehört gleich jener des »Heimchen« den glänzendsten Darbietungen unserer Bühne. Das Publicum freute sich aber auch über das treffliche Opernensemble, das nur einen Wunsch übrig läßt und zwar den, es möge dem Director gelingen, es zusammenzuhalten. Wenngleich die Oper nur eine Neubesetzung auswies, jene der »Astaroth« durch Frl. Raabe, so gewährt mir doch der Umstand, wieder einmal so recht vom Herzen loben zu können, derartige Befriedigung, daß ich die Einzelleistungen besprechen will. Frl. Kollar hat in der vorigen Saison die Königin wiederholt gesungen, aber nie schien mir die Stimme so schön, nie ihr Vortrag so durchglüht von orientalischer Leidenschaft, wie diesmal. Herr Tertnik hat als Assad Fortschritte gezeigt, die von dem Kunsteifer zeugen, der den jungen Künstler beseelt. Seine Stimme, ein üppig quellender Tenor, klang sieghaft schön, sein Vortrag war dramatisch beseelt und sein Spiel maßvoll und jeder Situation angemessen. Wer die Erzählung vom Traum so hinreißend schön zu singen vermag, wie Herr Tertnik, darf auf eine ehrenvolle Zukunft mit voller Zuversicht rechnen. Herr Tertnik und Frl. Kollar waren wiederholt im Laufe des Abends Gegenstand schmeichelhaftester Ovationen seitens des Publicums. Ein wahrhaftes Vergnügen bereitete Frl. Kuhnenfeld als Sulamith; sie erfreute das Publicum durch ein hübsch gesungenes Piano und setzte die Töne leicht und ungezwungen an. Herr Kiefer sang den König Salomo tadellos und Herr Shukowsky als »Hohepriester« befriedigte selbst die strengsten Anforderungen. Frl. Raabe (Astaroth) hat den Lockruf sehr hübsch gesungen. Die Oper war von Herrn Chlumetzky sehr sorgsam inscenirt und wurde von Herrn Capellmeister Thieme mit Umsicht und Temperament dirigirt. Auch das Ballet machte sich um die Vorstellung verdient. […] M. V… h.
(Der Humorist vom 20. Oktober 1896)