… ein Fest für das Prager Publikum

Oper.
(Premiere von »Das Heimchen am Herd« von Karl Goldmarck.)

Unter den lebenden Componisten muß Carl Goldmarck in erster Reihe genannt werden; in seinen dramatischen Schöpfungen, seinen Symphonien und Kammermusikwerken, wie endlich in seinen Liedern bewundern wir die originale vornehme Erfindungskraft in der Melodik, die staunenswerthe Kunst des Contrapunktikers, die meisterhafte Behandlung des Orchesters. Dabei ist Goldmarck’s musikalische Individualität eine so reiche, vielseitige, daß ihm die Ausdrucksfähigkeit für das Innige, Liebliche und Einfache nicht minder eigen ist, wie für das Erhabene, Leidenschaftliche und Prächtige. Seine beiden Opern »Die Königin von Saba« und »Marta« [!] tragen in ihren glänzenden Massenwirkungen, in ihren farbenprächtigen Tonschilderungen von Aufzügen und Festlichkeiten, in ihrer gluthvollen Darstellung aufgewühlter Leidenschaften fast nur den Zug ins Grandiose zur Schau, allein in seinen Liedern und symphonischen Werken, namentlich in der »Ländlichen Hochzeit« sind Perlen einfacher, gemüthvoller und gemüthlicher Musik enthalten.

Max Dawison (»John«)

Diese andere bescheidenere und doch ebenso beglückende Seite seiner Schöpfungskraft wollte Goldmarck offenbar zur Geltung bringen, als er den von Hrn. A. M. Willner der Boz’schen Erzählung »Das Heimchen am Herd« nachgebildeten gleichnamigen Operntext zu componiren beschloß. In der Wahl des Stoffes war der Textdichter diesmal entschieden glücklicher als bei der auch von ihm herrührenden– für unser Repertoire, wie es scheint, schon zerschmolzenen – »Schneeflocke«. Das Heimchen am Herd ist eine Grillenelfe, der gute Hausgeist in dem Heim des alternden Postillons John und seiner jungen Frau Dot, dessen trauliches Zirpen in der Oper von Zeit zu Zeit sich zu verständlichen Worten und Tönen verdichtet. So erzählt uns das Heimchen gleich zu Beginn der Oper – eine Art Prologus – daß Frau Dot ihrem geliebtem Gatten noch das einzige, was dem Paare zu vollem Glücke mangelt, ein Kind schenken wird. Auch das Frauchen selbst macht uns mit ihrem keimenden Glücksgefühl bekannt, da tritt ihre Freundin May bei ihr ein, die einst von ihrem Jugendgeliebten Edward verlassen wurde und jetzt den reichen, aber geizigen und alten Thackleton ihrem armen Pflegevater, dem Vater Edwards, zu Liebe heirathen soll.

Gisela von Ruttersheim (»Dot«)

Frau Dot spricht ihrer Freundin Trost zu, da ertönt das Posthorn und John stürmt, beladen mit Packeten und Briefen, in die Stube. Er hat einen Gast mitgebracht, den zurückgekehrten Edward, der jedoch in der Maske eines alten Seefahrers wieder sein Heimatsdorf betritt, um unerkannt die Echtheit der Gefühle seiner noch immer geliebten May prüfen zu können. Indessen kommen die Dorfbewohner, um sich die für sie bestimmten Poststücke zu beheben und während das Heimchen vor dem Lärm hinaus in die Rosenhecke des Gartens flüchtet, schließt sich der Vorhang über dem ersten Bilde.

Das zweite Bild führt uns in den Garten, wo ein behagliches Dämmerstündchen die Ehegatten John und Dot in traulichem Gespräche vereint. Dem schelmischen Frauchen macht es Vergnügen, durch ihre Rede eifersüchtige Regungen in ihrem Manne wachzurufen. Indeß kommt May zu ihrer Freundin zu Besuch und bald darauf naht der alte Tackleton, um mit seinem Bräutchen zu schäkern. Edward, der als Gast des Postillons auch anwesend ist, gibt sich im Laufe des Abends insgeheim Frau Dot zu erkennen, welche ihre Bewegung kaum bemeistern kann und dadurch die auch von Tackleton angestachelte Eifersucht ihres John um so heller entfachen macht. Er schützt noch einen abendlichen Ausgang mit Tackleton vor, kehrt jedoch bald zurück, um seine Frau in einer Umarmung mit ihrem Jugendfreund Edward zu treffen. Er bleibt allein und sinkt in Verzweiflung über die vermeintliche Untreue seiner Dot schluchzend nieder. Da erscheint das Heimchen, senkt Schlummer auf die Seele des braven Fuhrmanns und erfüllt sein Herz mit tröstlichen Worten. Elfen und Heimchen erfüllen die Bühne, in trautem Reigen schlingen sie sich um den schlummernden John, dem sich zuletzt die glückverheißende Zukunft in dem Bilde eines von einem Rosennest umgebenen dreijährigen Postillönchens, des kleinen John, zeigt.

Die III. Abtheilung bringt die rasche Lösung des ohnedies nicht sehr verwickelten Knotens. May schreckt im letzten Augenblicke doch von der Verbindung mit Tackleton zurück und Edward, gerührt über ihre Treue, läßt seine Maske fallen, und führt sie zum Altar an Stelle des Alten, der von den Burschen des Dorfes umringt und zurückgehalten, zusehen muß, wie ihm sein Bräutchen vor der Nase weggeschnappt wird. Indessen hat auch Frau Tot ihrem Gatten das Mißverständnis des vorigen Abends aufgeklärt und ihn nach gegenseitiger Aussprache versöhnt. Der Schluß der Oper vereinigt die beiden Paare in liebendem Umfangen, während das Heimchen den Epilog zu diesem duftigen »Märchen von Menschenglück, von Treue und junger Liebe« hält.

Der gemüthvoll anheimelnde Text, dessen Verse in praktischer und doch zwangsloser Diction munter dahinfließen, kam durch das Element der Elfen und die eingestreuten Traumbilder doch zugleich den phantastischen Neigungen Goldmarcks entgegen, und bot ihm volle Gelegenheit, eine musikalische Schöpfung voller Innigkeit und Zartheit einerseits und derber Gemüthlichkeit andererseits zu schaffen.

Durch die Benützung von volksliedartigen Melodien und das wiederholte Auftreten von Tanzrythmen erfüllt die Musik einen volksthümlichen Charakter, der Dank der echt künstlerischen thematischen und orchestralen Durcharbeitung der einzelnen Motive nie zur Seichtigkeit oder Frivolität herabsinkt. Man muß dieses jüngste Werk Meister Goldmarcks nicht an seiner »Königin von Saba« messen, deren Größe, Fülle an schöpferischer Kraft und gewaltiger Wirkung es schon zufolge seines bescheideneren Inhaltes und kleinbürgerlichen Milieus nicht erreichen kann, aber absolut beurtheilt bleibt das »Heimchen am Herd« ein Werk von entzückender Liebenswürdigkeit und von unvergänglichen musikalischem Reiz.

Daß die Premiere einer solchen Oper ein Fest für das Prager Publikum bedeuten mußte, war vorauszusehen. Mit wahrem Jubel nahm denn auch das in allen Räumen dichtgefüllte Haus die Novität auf und wurde nicht müde, den anwesenden Componisten, unter dessen Auspicium die letzte Feile an die Wiedergabe des Werkes gelegt wurde, vor die Rampen zu rufen und ihm seinen Dank für die herzerquickende Gabe kundzugeben. Ueber die Aufführung sei für heute nur soviel gesagt, daß sie in allen Theilen ausgezeichnet vorbereitet war und einen Ehrenabend für die Prager Oper bildete. Vor allem glänzte das Orchester unter Hrn. Kapellmeisters Schalk Leitung durch eine wirklich hervorragende Bewältigung seiner Aufgabe; Schönheit der Klangfarbe, hinreißender Schwung, Zartheit in der Nuancirung der Pianostellen haben wir in dieser Vollendung schon lange nicht von unserem Theaterorchester gehört. Den Solisten Frl. Islar in der Titelrolle, Frl. v. Ruttersheim als Dot, Frl. Alföldy als May, Hr. Davison als John, Hr. Elsner als Edward und Hr. Sieglitz als Tackleton, auf deren Leistungen wir noch zurückzukommen Gelegenheit haben werden, sei für heute nur ein summarisches wohlverdientes Wort des Lobes zugesagt ebenso wieder stimmungsvollen Inscenirung, an der den Hrn. Ehrl und de Vry das Verdienst gebührt. Der Beifall im Verlaufe des Abends war ein enthusiastischer und erzwang nicht nur zahllose Hervorrufe des Componisten und der Mitwirkenden sondern sogar die Wiederholung des in seiner Frische mit sich fortreißenden Vorspieles zum dritten Acte.Dr. B.
(Montags-Revue aus Böhmen vom 19. Oktober 1896)