Dieses Heimchen benahm sich recht ungeschickt …

Budapest, den 7. October 1896.

Um mit dem jüngsten, aber bedeutsamsten Ereignisse zu beginnen, erwähne ich in erster Linie die vor einigen Tagen im königl. ungar. Op[e]rnhause stattgefundene Premiere von Meister Goldmark’s neuestem Werke »Das Heimchen am Herd.« Ueber die Bedeutung dieser neuesten Oper Näheres zu schreiben, wäre heute, und an dieser Stelle, nachdem das Werk in Wien das Lampenlicht erblickte, ein müßiges Beginnen. Man weiß bereits, daß sich das herrliche Genie des Meisters auch in diesem jüngsten Kinde seiner Muse nicht verleugnete, und dass das rein lyrische Genre ihm ebenso »liegt«, wie das hochdramatische in der »Königin von Saba« und das pathetisch-visionäre in »Merlin«. Entgegen aller Erwartung feierte Goldmark einen vollen Triumph mit dem »Heimchen« und derselbe war umso vollgiltiger, als er wirklich nur dem Werke selbst zuzuschreiben ist und die Darstellung wenig davon für sich in Anspruch nehmen darf. Auch die mis-en-scène hätte eine würdigere Ausstattung verdient, und so trugen sozusagen alle Factoren ihr Schärflein dazu bei, für das Gelingen so wenig als möglich zu thun. Ausgezeichnet aber war das Orchester, welches speziell das schon berühmte Vorspiel zum dritten Act mit hinreißendem Schwunge spielte.

Die Rollenvertheilung war nicht in allen Stücken glücklich zu nennen. Frau Abrányi , unsere Renard, ist die denkbar beste, poesiereichste Dot, Frau Pewny eine ausgezeichnete May und Beck ein ganz vortrefflicher John, dessen Stimme ebenso schön, wie sein Spiel characteristisch ist. Herr Arányi sang den Eduard mit viel Geschmack und der bei ihm bekannten schönen Empfindung. Aber der alte Geck Tackleton (Hegedüs) hätte eine derbere Komik vertragen, denn die discrete, oder bester gesagt, ausdruckslose Darstellung nahm der Partie viel von ihrer Bedeutung. Am schwächsten war das Heimchen vertreten. Dieses Heimchen benahm sich recht ungeschickt, konnte weder stehen, noch gehen, und entbehrte jedweder Grazie und Anmuth. Um wie vieles besser wäre Frl. Bianchi dieser schönen Partie gerecht geworden!

Der äußere Erfolg war trotz mancher Mängel in der Vorstellung ein colossaler. Der Name Goldmark wirkt wie belebender Zauber auf die schwer zu erwärmenden Gemüther unseres vornehmen Opernpublicums. Es steckt gewiß ein gut Stück Chauvinismus in der Verehrung, die dem Meister hier jedesmal zu Theil wird, so oft, oder so selten er zu uns kommt. Aber es ist nicht zu verwundern, wenn man bei uns stolz ist auf den Mann, der heute neben Verdi der größte lebende Componist ist. Man bereitete ihm stürmische Ovationen, die er bescheiden auf das Orchester und die Darsteller zu wälzen trachtete. Und am nächsten Tage ließ er es sich nicht nehmen, während der »Aida«-Vorstellung auf die Bühne hinunterzugehen und dem versammelten Chor, diesen namenlosen Künstlern, seinen wärmsten Dank für ihre ausgezeichnete Mitwirkung auszusprechen. […] Nadir
(Der Humorist vom 10. Oktober 1896)