… gehört zu den Festen des brünner Stadttheaters

Brünner Theaterbrief.

 

Sehr geehrter Herr Redacteur!
Brünn, am 7. October 1896.

Director Aman hat eine künstlerische That vollbracht, die ihm die dankbare Anerkennung der Kunstfreunde Brünns sichert. Die Erstaufführung von Goldmark’s »Heimchen am Herd«, auf die ich noch ausführlich zu sprechen komme, gehört zu den Festen des brünner Stadttheaters; dieser Leistung gegenüber, deren Wert umso höher anzuschlagen ist, als das Ensemble mühevoll für diese schwierige Aufgabe erst gedrillt werden mußte, schweigt selbst die kleinliche, böswillige Kritik, die hier schon häufig das Gute in den Koth gezerrt hat. Ich habe zu häufig dem berechtigten Tadel an der Wirksamkeit des Directors ungeschminkten Ausdruck verliehen, als daß es mir nicht zu großem Vergnügen gereichen würde, Herrn Director Aman zu seinem mächtigen Erfolge zu beglückwünschen.

Die Aufführung der neuen Oper Goldmark’s zwingt mich, den übrigen Ereignissen der abgelaufenen Dekade nur kurze Besprechungen zu widmen. Anzengruber’s Trauerspiel »Hand und Herz«, das schon in meinem letzten Briefe Besprechung hätte finden sollen, Raummangels halber aber für diesen Brief vorbehalten blieb, hat hier bei seiner Erstaufführung am 25. v. M. einen nachhaltigen äußeren Erfolg erzielt. Das Schicksal der Bäuerin Katharine Weller, die zwei Männer besitzt und ihre Schuld mit dem Tode büßt, hat auch auf das hiesige Publicum einen mächtigen Eindruck gemacht. Die Darstellung war zum größten Theile vorzüglich, und ihr gebührt ein Hauptantheil an dem Erfolge. Vor Allem muß Frl. Bauer genannt werden, die als Katharine eine in jeder Beziehung treffliche Leistung geschaffen hat. Mit dieser Rolle hat die Künstlerin auch für Jene, die noch nicht an sie glaubten, den Beweis erbracht, daß sie mehr kann, als capriciöse Frauen verkörpern. Herr Lind spielte den ersten Gatten Friedner, der nach kurzer Ehe mit Katharine den Platz an ihrer Seite mit dem Zuchthaus vertauschte und nun so grausam in ihr Leben einbricht. Herrn Lind gebricht es sicherlich nicht an Talent; wenn seine Darbietungen nichtsdestoweniger keinen harmonischen Eindruck hervorrufen, so liegt der Grund in einem fühlbaren Mangel an Repräsentation einerseits, sowie an einem Ueberfluß von Düftelei und Nuancenhascherei. Vortrefflich charakterisirte Herr Räder den zweiten Gatten Katharinens. Lobenswerte Leistungen boten die Herren Pohler (Laienbruder), Waßmuth (Mönch Augustin) und Müller als vertrottelter Hans. Die Regie lag in den bewährten Händen Pohler’s.

Eine an sich nichtssagende Aufführung der unserem Empfinden fremden norddeutschen Posse »Der Mann im Monde« glaube ich übergehen zu dürfen. Umso größeren Anspruch auf Beachtung hat dagegen die Darstellung, welche Grillparzer’s »Sappho« gefunden. Vorstellungen solcher Güte sind im Stande, das Interesse des Publicums für die Classiker wieder zu erwecken. Im Mittelpunkte der Darstellung stand Frl. Bleibtreu als Sappho. Die Künstlerin rückte mit dieser Leistung in die erste Reihe unserer hervorragenden Tragödinnen. Das Publicum wurde nicht müde, Frl. Bleibtreu durch stürmischen Applaus auszuzeichnen. Neben der bedeutenden Künstlerschaft des Frl. Bleibtreu hatte das liebenswürdige Talent des Frl. Liesenberg einen schweren Stand, doch behauptete sie sich nicht ohne Erfolg. Herr Waßmuth, der den »Phaon« bereits im vorigen Jahr gespielt har, hat unleugbare Fortschritte gemacht, allein noch fehlt ihm die künstlerische Ruhe, noch trüben unschöne, überhastete Bewegungen den Eindruck seiner Leistung. Herr Lind sprach den »Rhamnes« wirkungsvoll.

Leo Slezak (»Edward«)

Und nun zur Oper Goldmark’s. Zehn Jahre vergingen, ehe uns der Meister ein neues Werk schenkte. Am 19. November 1886 wurde »Merlin« zum ersten Male in der wiener Hofoper aufgeführt, und erst am 21. März d. J. erschien »Das Heimchen am Herd« auf den Brettern der Hofbühne. »Merlin« fand bei uns überhaupt nicht Eingang; die kurze Lebensdauer der Oper in Wien wirkte abschreckend, der große Apparat, der erforderlich war, die bedeutenden Ausstattungskosten ließen eine Ausführung nicht rathsam erscheinen. Umso dankbarer empfindet man hier, daß Herr Director Aman die Aufführung des »Heimchen« so rasch durchsetzte. Den Stoff der neuen Oper brauchte man eigentlich nicht zu erzählen, Dickens gleichnamige Erzählung gehört ja zum Gemeingut aller Gebildeten. Herr Willner hat einige Figuren der Erzählung für das Textbuch eliminirt und zwei zusammengezogen. Auch in anderer Weise hat Willner die Erzählung bühnengerecht gemacht. Während bei Dickens die Ehe Johns und seiner Frau Dot durch die Geburt eines Kindes gesegnet wird, deutet Herr Willner den Zustand der jungen Frau zart an und erst am Schlusse gesteht sic denselben ihrem Gatten. Willners Textbuch ist geschickt gemacht und nicht ohne poetischen Wert. Goldmark, der Schöpfer der »Königin von Saba« und des »Merlin«, ist in seinem jüngsten Werke nicht zu erkennen. Er schlägt mit vielem Glück volksthümliche Töne an, selbstverständlich ohne seine Eigenart gänzlich zu unterdrücken. Diese kommt in dem leidenschaftlichen Duett May’s und Eduard’s, sowie in dem Seemannslied Eduard’s zum Ausdruck. Die Instrumentation der Oper verrieth durchaus den Meister, wie denn überhaupt die Behandlung des Orchesters, die Farbengluth der Töne höchste Bewunderung verdient.

Die Aufführung habe ich bereits charakterisirt. Kapellmeister Thieme leitete dieselbe meisterhaft, Director Aman als Regisseur der Vorstellung sorgte für Bühnenbilder eigenartigen Reizes, und das Orchester übertraf sich selbst, ja selbst der Chor fand Beifall auf offener Scene. Frl. Kusmitsch schuf mit der Dot eine reizende Gestalt und sang hinreißend schön. Frl. Dehm hätte als »Heimchen« einen noch größeren Erfolg gehabt, wenn sie sich von gewissen Operettenbewegungen ferngehalten hätte. Recht brav war Frl. Raabe als May; sie brachte wirkliche Gemüthstöne hervor. Herr Slezak darf den Eduard zu seinen guten Partien zählen. Leider war seine Stimme im Quintett zu schwach, und man vermißte vielfach die führende Tenorstimme. Herr Kiefer und Herr Clumetzky hatten bedeutenden Antheil am Erfolg. Die Aufnahme der Novität war die denkbar beste. Das Intermezzo vor dem dritten Act weckte stürmischen Beifall. Sämmtliche Darsteller, Director Aman und der Kapellmeister wurden wiederholt gerufen. M. V…h.
(Der Humorist vom 10. Oktober 1896)