… überreich an musikalischen Schönheiten
Ein neues Werk von Goldmark.
Fast ein Jahrzehnt ist verstrichen, seit Goldmark mit seinem »Merlin« die Opernwelt beglückte, nachdem er zehn Jahre vorher mit großem Erfolge seine »Königin von Saba« gebracht hatte. Der Meister, dem man den unbedingt ersten Platz unter den lebenden Opern-Componisten einräumen darf, hat mit seinem jüngsten Werke »Heimchen am Herd« ein ganz neues und eigenartiges Gebiet betreten, das der Märchenoper, zu der seltsamerweise der Verismus Jungitaliens die deutsche Oper gelenkt hat. Wer hätte es dem Tondichter der »Königin von Saba«, mit ihrer gluthvollen orientalischen Musik, wer dem Schöpfer des »Merlin«, dieses mystischen Sängers aus grauer Heldenzeit, zugemuthet, daß er nunmehr zu dem zarten, sinnigen Idyll übergehen werde, daß er – Boz Dickens, diesen Poeten des Gemüths und feinabgetönter Seelenstimmung, in Musik setzen werde! Und dieser Uebergang ist glänzend gelungen, wie er eben nur einem Meister vom Range Goldmark’s gelingen konnte, der die Löwenhaut abgestreift und als zarter, zierlicher Hausgeist seinen Hörern erschienen.
»Heimchen am Herd« – wer kennt nicht das entzückende Idyll Dickens’, wer hat nicht über Frau Perrybingle Thränen des Mitleids und der Rührung vergossen; A. M. Willner hat die Erzählung mit bühnenkundiger Hand zu einem Opernbuch gestaltet, indem er aus dem Idyll ein veritables Märchen machte, das Gelegenheit bot, in Traumbildern und Visionen musikalische Stimmungsbilder zu schaffen, während die realen Scenen des Stückes in einen wahren Hochquell warmblütiger, volksthümlicher Musik getaucht sind. Goldmark hat ganz seinen früheren Styl verleugnet und doch wieder einen so eigenartigen neuen Styl ureigenster Factur geschaffen, daß die neue Oper eines großen Erfolges gewiß fein mußte: zeigt doch jede Note die Hand des großen Meisters, dessen Werke Musik sind von jener höheren Art, wie sie eben nur der Genius einzugeben vermag.
»Heimchen am Herd« ist überreich an musikalischen Schönheiten, gleich die Ouvertüre bringt in dem zirpenden Ton der Geigen die bezaubernde Heimchenstimmnng hervor, die sich wie ein duftiges Spitzengewebe um die Sinne schmeichelt. Das Heimchen erscheint zu einem Prolog, dann beginnt das eigentliche Stück, in dem sich eine Perle an die andere reiht. Frau Dot’s Lied »Ein süßes Geheimniß« malt die glückselige Stimmung der jungen,werdenden Mutter in poesievoller Schönheit und entzückendem Klangreiz; ihres Gatten, des Postillons, Auftrittslied ist ein prächtiger Sang, der, von Posthorngetön begleitet, recht volksthümlich anmuthet. Der komische Alte, Tackleton, hat ein Auftrittslied, das in seiner altmodischen contrapunktischen Begleitung ganz eigenartig anmuthet. Ein herrliches Seemannslied ist Edward zugetheilt, der mit May überdies ein großes Duo hat, welches ganz außerordentlich wirkte. Ein prächtiges Quintett im zweiten Act bildet den scenischen Höhepunkt des Werkes, das weiters noch, einen reizenden Walzer (Frl. Renard), das prächtige Polterlied »Ob Alt und Jung« (Herr Ritter), sowie dessen großen dramatischen Monolog bringt; die Chöre sind ganz meisterlich, namentlich die feingestimmten Elfenchöre, der Chor auf dem Postamte, das Lied »Guten Morgen, Herr Tackleton«.
Ueber Allem jedoch steht die orchestrale Behandlung des Werkes, in der Goldmark ein König ist. Der ganze Zauber seiner Kunst scheint nur im Orchester zu liegen, dem auch der größte Part an dem Erfolge zugehört und der in dem »Intermezzo«, dem Vorspiel zum dritten Acte, seinen Höhepunkt erreichte.
Die Aufführung an der Wiener Hofoper war die glänzendste und des Meisters würdig. Die sechs Darsteller, Chor und Orchester boten ihr Bestes, und das sagt wohl das höchste Lob. Allen voran stand Marie Renard (Frau Dot), welche der Gestalt derselben den ganzen Zauber ihrer gesanglichen und schauspielerischen Kunst verlieh und die mit inniger Natürlichkeit ihre Rolle verkörperte. Zart und stimmungsvoll war Ellen Forster als Heimchen, in Erscheinung und Gesang die zarteste Poesie; auch Irene Abendroth stattete die May mit allen Vorzügen ihrer jugendfrischen Stimme aus. Fritz Schrödter gab als Edward das Beste, was er vermag, er sang so froh und frisch wie eine Lerche und schmetterte herzerfreuend seine Lieder; von bedeutender dramatischer Kraft zeigte Josef Ritter’s Leistung, der den gemüthsvollen Postillon stimmkräftig und schauspielerisch glänzend wiedergab. Franz von Reichenberg’s Tackleton war wieder ein Cabinetsstück dieses trefflichen Künstlers von vornehmstem und discretem Humor. Nicht minder verdienten Chor und Orchester Anerkennung, die unter Jahn’s begeisternder Leitung standen und die alle mit dazu beitrugen, Goldmark’s »Heimchen« zu glänzendem Sieg zu führen.
Wiener Bilder vom 29. März 1896