… theater-, aber nicht lebenswahr gezeichnet
K. k. Hof-Operntheater. Ein musikalisch hervorragendes Ereigniß spielte sich vorigen Samstag in den Räumen der Hofoper ab. Carl Goldmark trat – nach zehnjähriger Pause – mit einem neuen Bühnenwerke, der Oper: »Das Heimchen am Herd«, vor das Publicum der Residenz. Die neue Oper erzielte einen großen Erfolg. – Mit glücklichem Griff hat der Textdichter Herr A. M. Willner aus dem poetischen Schatzkästlein des alten Boz die Erzählung vom »Heimchen am Herd« herausgehoben und daraus ein anregendes und tüchtiges Textbuch geschaffen. Dieses reizende Hausmärchen von Boz ist zwar in der Bühnenbearbeitung arg entstellt und seines poetischen Zaubers allzusehr entkleidet worden. Die auftretenden Personen sind wohl theater-, aber nicht lebenswahr gezeichnet und die sich ergebenden scenischen Situationen sind oft von störender Unwahrscheinlichkeit. Dem Orchester, welches Goldmark mit vollendeter Meisterschaft beherrscht, fällt ein wesentlicher Antheil an den Vorgängen auf der Bühne zu. Das fabelhafte Zwischenreich der Elfen und Geisterwesen, die Gestalten der fantastischen Welt, illustrirt er bewunderungswürdig. Sein orchestrales Colorit hiefür ist von entzückendem Klangreize. — Wollte man alle Schönheiten der Partitur aufzählen: man müßte fast jede Nummer derselben verzeichnen! Die Aufführung der Novität, welche Director Jahn mit Schwung leitete, war eine sorgfältig vorbereitete und glänzend durchgeführte. Fräulein Renard, die Herren Schrödter und Ritter boten Glanzleistungen; ihnen schlossen sich Frau Forster, Fräulein Abendroth und Herr Reichenberg würdig an. Der Chor war brillant, das Orchester unübertrefflich und die Ausstattung wohl nicht styl- aber effectvoll. – Der Erfolg der Novität war ein von Act zu Act sich steigernder. Goldmark, stürmisch acclamirt, mußte – im Vereine mit den Künstlern – oft und oft vor der Rampe erscheinen. Ist.
Jörgel Briefe vom 28. März 1896