… den rechten, sanft reibenden Klageton gefunden
K. k. Hofoperntheater:<> »Das Heimchen am Herd«,
Oper in drei Abtheilungen von A. M. Willner. Musik von
Karl Goldmark.
Als Dickens mit Schaudern berichtete, daß der böse Tackleton die Heimchen seiner Stube zu zertreten pflegte, mochte er nicht ahnen, daß einmal noch grausamere Menschen kommen werden. Die Heimchen des bösen Tackleton waren doch todt und hatten nicht mehr zu leiden. Der böse A. M. Willner fing sich aber das Heimchen vom Herde des Dickens, spießte es auf allerlei Reime, riß ihm der Reihe nach die zierlichen Beinchen aus, betäubte es langsam in einer Art von selbsterzeugtem Spiritus, bis es ganz dumm wurde, und steckte es schließlich in ein Libretto, wo er’s zu einer unförmlichen Masse zerquetschte. Kluge Frauen, so versichert derselbe Dickens, wittern einen Hochzeitskuchen, selbst wenn er in einer Theekiste oder in einem Bettgestell oder in einem Lachsfäßchen versteckt sein sollte. Ein ganzer Verein für erweiterte Frauenbildung würde sich aber vergebens bemühen, aus Willners Libretto das Heimchen des englischen Dichters herauszuspüren, uud selbst der bekannte Ungar, welcher noch klüger ist als ein ganzer Verein für erweiterte Frauenbildung, derselbe wahrscheinlich, welchem Goldmark den Csárdás in seinem Zwischenspiel zum dritten Act gewidmet hat, würde ausrufen: »Armes
Heimchen, wie hast du dich verändert!«
Die Fremdtheile des Libretto’s überwuchern die Poesie des Originals. Es war ganz eigen zu bemerken, daß alle Stücke der Oper, welche bei der Erstaufführung »Effect« machten, nichts eigentlich mit Dickens Heimchen am Herd zu schaffen haben. Das mag für die »Selbstständigkeit« des Libretto-Geistes sprechen; doch eine feinere Zuleitung von Poesie aus dem Urstück wäre besser gewesen. Gleich das »süße Geheimniß« der rundlichen Dot, welchem Goldmark die entsprechend süßen Töne gab, ist Erfindung Willners; denn bei Dickens ist das »Geheimniß« längst schreiend an den Tag gekommen. In englischen Dörfern schreibt man übrigens dem Storch nicht die bewußten Eingriffe in das Familien-Leben zu. Der »Storch am Dach«, wie Dot singt, scheint aber völlig Wiener Herkunft, da man in grammatikalisch günstigeren Gegenden »auf dem Dache« zu sagen pflegt. … Der taube Gast bei Dickens hat sich zu einem Tenor verkehrt, welcher, als alter Seemann verkleidet, in unbewachten, aber leider auch in bewachten Augenblicken die schönsten Seemannslieder mit schmetternder Jungkraft zum Besten giebt. Die holde May hat sich aber, offenbar in längerem Verkehre mit Librettisten, so viel Tact erworben, daß sie ihren Edward auch bei dem letzten Liede, welches er ihr ganz nahe in die Ohren bohrt, noch immer nur für den fliegenden Holländer hält. Der erste Actschluß entfernt sich nicht nur von Dickens, sondern auch von der Opernhandlung, da er uns lediglich die strafbar leichtsinnige Abwicklung des Postverkehres im Hause des Fuhrmannes verräth. Die prächtige, frisch aufstürmende Musik heilte diesen dramatischen Riß. … Willners Tackleton bringt Operettenluft auf die Bühne; man denkt eher an Blasel als an Dickens. Zum Schlusse der Abtheilung wird die Logik, welche John sofort ins Haus führen müßte, wieder durch ein lebendes Bild verklebt. Die Elfen, vom Heimchen commandirt, zeigen dem eifersüchtigen John den vielbesprochenen künftigen Sprößling. Die Mütter des Parketts schöpfen aus dem Bilde die tröstliche Gewißheit, daß es ein Bube wird. Mit Dickens hat diese bildhafte Vorausnahme wieder gar nichts zu thun. So wird die Handlung außen um Dickens’ liebliche Erzählung herumgeführt. Tackletons Couplet, das sich der zweiten Strophe zu schämen scheint und darum die unverständlichen Puppen zubringt, ist »Einlage« wie der reizende Schmuckwalzer der herzigen Dot. Nachdem Tackleton von Edward geprellt worden, May und Edward sich vereinigt, Dot und John sich wieder versöhnt haben, zeigt uns das vielbeschäftigte Heimchen dieses Doppelresultat der Dickens-Verschneidung in einem lebenden Schlußtableau – wie zur Besiegelung, daß Alles, was bei Dickens uns tief innerlich berührte, hier in die Aeußerlichkeiten der Ballettpraxis verkehrt worden ist.
Endlich allein – bei Goldmark! An wahrer, nicht bloß »Tanzpoemen« herausgelockter Poesie fehlt es der Grillenoper. Die Musik Goldmarks hat aber das Deficit reichlich gedeckt; sie hebt uns mit all ihren Scherzen und keck zugreifenden Melodien doch zu reinster, edelster Kunst. Selbst Walzer und Couplet führt eine fühlige Meisterhand. Die regsame Ouvertüre, ein hübscher Aufmarsch musikalischer Dickens-Charaktere, giebt den Hörern hinlänglich Zeit, sich von der großen Ueberraschung, daß Goldmark eine kleine Oper geschrieben hat, zu erholen. Nach dem Wüstensturm in der »Königin von Saba« das Summen des Theekessels, nach Merlins Harfe das Zirpen der Hausgrille, nach dem tragischen Kothurn der kleine Punktschuh der Frau Dot! Prächtig ist Goldmark dieses Diminuendo seiner Kunstgefühle geglückt. Für Naturstimmen hatte Goldmark immer fein zuhorchenden Sinn; das Murmeln, das Rieseln, das Weben des Frühlings versteht er; seiner Musik blieb Allerlei Vogellaut nicht fern, in ihr klingt selbst das Blätterrascheln; wir meinen das Schleichen des Mondes zu vernehmen. So hat er auch für das Heimchen den rechten, sanft reibenden Klageton gefunden. Unnachahmlich ist diese Nachahmung geworden. Von den Heimlichkeiten des Hausmärchens bis zum athemraubenden Wirbeltanz übertoller Bauern, vom glatten Elfenglück bis zum Wüthen der Eifersucht, vom Zwitschern im Schwalbenrest bis zum Sturmgebraus des Seemannsliedes führen uns Goldmarks Klänge mit dem Eifer der Wahrheit durch die Schönheit derForm. Exotische Reizungen, deren Goldmark nicht minder fähig ist, sind hübsch beiseite geblieben, die Thematik der Oper ist volksthümlich und springt auch über Hals und Kopf ins Volkslied hinein. Die Harmonien fließen, wenn’s nicht gerade einen besonderen Witz gilt, ruhig durch die geschlossenen Nummern. Die sonnige Heiterkeit und Anmuth der Gesänge läßt die kunstreiche Fügung und im Grunde ernste Gestaltung kaum ahnen. Das Orchester rauscht in maßvoller Dynamik, aber mit sprudelnder Lebendigkeit neben den Singstimmen. Wenn auch Motive und Stimmungen und Färbungen sich hier und da hinter nachbarliche, vielgenannte Operngestalten neckisch zu verbergen scheinen, so steht doch über dem Ganzen in seiner Vollkommenheit und künstlerischen Aufrichtigkeit das sichere Meisterzeichen Goldmarks. Reizend ist das »süße Geheimniß« Dots in Töne gefaßt. Die empfindsamen Gesänge der armen May, die zieltreffenden Lieder Edwards, eines schöner, frischer als das andere; der kecke Postchor; in der zweiten Abtheilung gleich das Zankduett zwischen John und Dot; das humoristische Orchesterspiel bei dem Auftreten Tackletons; der graziöse, Wien nach England zaubernde Schmuckwalzer Dots; das herrliche Quintett; dann das fugirte Scherzando im Zwischenspiele mit dem übermüthig wirbelnden Spottgalopp und Schelmenchor – das ist noch lange nicht die Summe des Schönen und Erfreuenden in dem frohen, freien und harmonisch gegen Goldmarks Gewohnheit auch frommen Werke. Das Werthvollste bleiben die poetischen Beziehungen, welche, wie die gewissen Strahlen, durch die trennende, starre Schichte des Librettisten von Dickens zu Goldmark hinüberspielen.
Von Goldmark hüpfte alles Dichterische gleich lebendigen Funken wieder zu Director Jahn über, welcher die Heimchenkraft besitzt, Poesien glücklich weiter zu leiten. So mußte die Aufführung gelingen. Das Heimchen der Frau Forster hatte allerdings zu viel vom Ballett genascht, war aber allerliebst. Fräulein Renard entzückte als Frau Dot, war auch ganz wieder in ihrem Element. Die im Zankduett reizvoll parodirte Leidenschaft steht besser zu ihrer Natur als jene tragischen Leidenschaften, zu welchen man sie hinaufzwingen will. Herr Schrödter stattete den großen Unbekannten mit seinen bekannten Vorzügen, Spieltalent und Prachtstimme, aus. Genau nach Vorschrift des Regiebuches war der John des Herrn Ritter »bieder, einfachen Sinnes, markig-schwerfällig und sehr sympathisch«. Frl. Abendroth litt unter der Ungunst ihrer Partie wie wir bei der Ungunst ihres Talentes. Herr von Reichenberg war sehr, sehr komisch. Der Geiz des Tackleton gestattete ihm überdies, bei den einfachsten Verzierungen des Gesanges mit der Kunst zu sparen. Die Regie ließ sich in den Schlußscenen der ersten und letzten Abtheilung von den Massen majorisiren, die »Bilder« aber waren hübsch gestellt, und die schönen Nebelschleier erregten den Neid der Wagner-Opern. Alles Schöne bannte das Orchester in seinen Künstlerkreis. dr. h. p.
(Wiener Zeitung vom 23. März 1896