… seit Jahren kein so glänzendes Zugstück …
Theater, Kunst und Literatur.
Erstaufführung des »Heimchen am Herd«.
Wien, 21. März.
Gestatten Sie, daß ich über die Premiere des neuesten Meisterwerkes Goldmark’s und auch über die Oper selbst noch einige Details nachtrage. Da ist zunächst der kunstvollen Ouvertüre zu gedenken, die, wie auch das große Orchestervorspiel zum dritten Akt, in dem provisorisch ausgegebenen Klavierauszug noch nicht enthalten waren. Beides scheint also erst später hinzukomponirt. Die Ouvertüre bringt bereits einen Hauptgedanken der Oper, der – an das Volkslied »Wenn ich ein Vöglein wär’« anknüpfend, Manche vielleicht auch an »God save the king« erinnernd – später besonders bei dem »Hurrah Herr Bräutigam!« in dem Spottchor des dritten Aktes seine wirksamste, launigste Ausführung findet. Den ersten größeren Applaus aus offener Szene erzielte Dot’s Lied (oder Ariette) »Ein Geheimniß wundersüß«, von Frl. Renard auch wirklich wundersüß gesungen. Die innig zarte, zwischen Moll und Dur schwankende Hauptmelodie dieses Gesanges, welchen nur ein echter Gemüthsmensch schreiben konnte, taucht an allen auf die zu erwartenden Mutterfreuden der jungen Postillonsgattin hindeutenden Stellen der Oper immer wieder auf, besonders sinnig bei dem reizenden Schlußbilde des zweiten Aktes (»Mit dem kleinen Postillon«) und bei dem rührenden lebenden Gruppenbilde am Ausgange des ganzen Werkes. In die das überraschende Erscheinen des Kindes lieblich begleitende Musik tönt nicht nur, wie bereits gemeldet, das altösterreichische, noch jetzt häufig zu vernehmende Posthornsolo, sondern schon früher auch eine allbekannte herzige Kindermelodie hinein »Kukuk, Kukuk – ruft’s aus dem Wald«.
Diese musikalischen Zitate lokalisiren aus das glücklichste das szenische Bild und entsprechen so recht dem Zuge der Zeit, welche unter dem poetischen Eindruck der Märchenkinder Hänsel und Gretel nun für das dramatisirte Kindermärchen überhaupt wieder zu schwärmen beginnt. Allgemein bewundert wurde, wie reizend fein Goldmark das lauschige Zirpen der Grille in Töne zu übersetzen wußte. Mein nach der Generalprobe geschriebenes Feuilleton wieder durchlesend, finde ich, daß mir bei Schilderung dieser höchst eigenartigen Tonmalerei unliebsamerweise das Wort »Pizzicato« in der Feder geblieben. Ein aus die kleine Sekunde Cis-D zwischen den Geigen nachschlagend vertheiltes Pizzicato ist es, welches (stellenweise noch verbunden mit zwei Violin-Soli und zartesten Flötentönen) den frappant naturwahren und zugleich so anheimelnd poetischen Grillen-Effekt hervorbringt. Freilich muß das auch mit der außerordentlichen Delikatesse gespielt werden, wie von den Künstlern unseres philharmonischen Orchesters in Wien. An Virtuosität übertrafen sich die Philharmoniker (die heuer schon mit der Frühlings-Ouverture Goldmarks einen wahren Triumph gefeiert haben) mit der faszinirenden Wiedergabe des großen Orchestervorspiels zum dritten Akt des »Heimchen«. Noch mehr als in der Generalprobe trat diesmal bei der bacchantisch aufwirbelnden Schluß-Stretta der csárdás-ähnliche Charakter der Musik hervor: Ihre treffliche Frau Margit Ábrányi (von einer Loge des zweiten Ranges aus der Vorstellung folgend) wiegte bei den elektrisirenden heimathlichen Klängen unwillkürlich das anmuthige Haupt, und manchem im Hause anwesenden Ungar mochte die schneidige, immer feurigere Rhythmik in die Füße gegangen sein. Das ganze Intermezzo wurde aus den frenetischen Beifallssturm hin wiederholt, welches da capo aber eine kleine Abschwächung in der Wirkung des Spottchores herbeiführte. Das Beste an zündender, elementarer Kraft hatte eben das Orchester den Choristen, die keine rechte Ueberraschung mehr bieten konnten, schon vorweg genommen. In der Generalprobe war’s gerade umgekehrt: da gipfelte der Effekt der ungarisch überschäumenden Musik erst durch Zutreten der Choristin[n]en in der großen Spottszene. Aus letzterer wird jetzt der noch im Klavierauszug angegebene theils gemüthliche, theils pikante Walzer ausgelassen, dessen Melodie – sie könnte in »Carmen« stehen – man übrigens schon früher im zweiten Akte, allerliebst gesungen von Frl. Renard, vernahm. Frl. Renard hat überhaupt ihr reiches, für unsere Oper unschätzbares Talent nie liebenswürdiger entfaltet, als in dieser sensationellen Premiere. Trotzdem errang nicht sie, sondern Herr Schrödter mit dem Liede: »Die Ferne winkt« im zweiten Akt den größten Sänger-Erfolg des Abends. Man war um so angenehmer überrascht, wie glänzend er bei den Schlußzeilen dieses ihm gleichsam aus den Leib geschriebenen seelenvollen Liedes seinen köstlichen Tenor herausließ, da er sich im ersten Akt von seiner Unpäßlichkeit noch nicht vollständig erholt zu haben schien. Das prächtige Vokalquintett im zweiten Akt, wie auch das zärtliche Liebesduett im dritten bedürften zur vollen Wirkung eines stimmkräftigeren Soprans, als ihn Fräulein Abendroth besitzt.
Daß Frau Forster durch ihre graziöse Erscheinung als Grillenfee viel zu dem poetischen Gesammteindruck der Novität beitragen würde, haben wir schon in der Generalprobe vorausgesehen. Alles in Allem war es ein Erfolg, auf den sowohl Ihr genialer Landsmann Karl Goldmark, als unser Direktor Jahn und überhaupt die ganze Wiener Hofoper stolz sein können. Ein Erfolg, der ohne Zweifel weit über diese Saison hinaus vorhalten wird. Außer »Hänsel und Gretchen« [sic!] und dem »Evangelimann« (dessen Dichterkomponist Dr. Kienzl zu den eifrigst applaudirenden Zuhörern der gestrigen Premiere gehörte!) hat die Wiener Oper wohl seit Jahren kein so glänzendes Zugstück gewonnen, als das Goldmark’sche »Heimchen«. Dr. Theodor Helm.
(Pester Lloyd vom 23. März 1896)