Naturmalerei, Elfenzauber und derbste Volksthümlichkeit

Das Heimchen am Herd.
Oper in drei Abtheilungen (frei nach Dickens) von A. M. Willner. Musik von Carl Goldmark
Zum erstenmale aufgeführt im k. k. Hofoperntheater am 21. März 1896.

»Der Kessel war’s, der anfing, bevor das Heimchen auch nur ein Zirpen von sich gab.« So beginnt die berühmte, heute allerdings wunderlich anmuthende Novelle von Boz. So beginnt auch die Ouvertüre zur Musik Goldmark’s. Die Naturmalerei ist ja seine starke Seite, auch in diesem neuen Werk, besten einfaches Grundthema der Naturlaut der zirpenden Hausgrille bildet. Dies orginelle Motiv mag ihn zu solch sonderbarem Stoff gereizt haben. Der Inhalt der Novelle ist allbekannt, ein älterer Fuhrmann wird auf sein junges Weib eifersüchtig aus einem puren Mißverständniß. Der Liebhaber einer anderen Dorfschönen ist nämlich verkleidet zurückgekehrt, um seine Jugendflamme zu prüfen. Er hat sich der Kärrnerin entdeckt; die haben nun ihr harmloses Geheimniß miteinander, das von dem eifersüchtigcn Ehemann so schlimm gedeutet wird. Zum Glücke klärt sich Alles höchst einfach auf. Das Ehvolk schließt Frieden, der Liebhaber bekommt die Braut, ein alberner alter Mitbewerber muß geprellt abziehen. Das wäre nun keine besondere Geschichte. Sie ist aber von Boz mit köstlichem Humor, mit reicher Realistik erzählt und wie von poetischen Chorgesängen ist das Ganze vom Zirpen des Heimchens durchzogen. Dies Heimchen ist gleichsam ein guter Haus- und Herdgeist, der Alles gutmacht. Der Bearbeiter des Textbuches läßt es nicht nur als braunes Insect zirpen, sondern als glänzende Elfe die Reime des Prologs, des Epilogs und der Parabasen an die Zuschauer richten. Die Bearbeitung ist nicht ungeschickt, freilich ist schon im Originale wenig dramatischer Kern, und der eigentliche Reiz des Kunstwerkes, der im Detail liegt, muß wie bei allen ähnlichen Versuchen verloren gehen. Eine minder geschmackvolle Neuerung des Textdichters ist es, daß das Baby, das bei Boz schon im Lichte der Welt gedeiht, in der Oper als noch ungeborenes Traumbild mithelfen muß, den dramatischen Knoten zu lösen.

Goldmark’s Musik ist fast immer interessant, pikant, wirkungsvoll instrumentirt, voll von Abwechslung. Sie vereinigt mehrere Style. Sie gibt Recitative und liedmäßige Arien nicht auf, sie hat aber auch von Wagner gelernt. Naturmalerei, Elfenzauber und derbste Volksthümlichkeit ist diesem Werke vor Allem eigen. Zahlreiche Anklänge an das Volkslied fallen auf. Es ist durchaus gute Musik, abgesehen von einigen Anklängen an die Operette. Es fehlt nur Eins: die Einheitlichkeit des Styles. Die Kunst unserer Zeit sucht ja eben überall den ihr angemessenen Styl, es wird ihr aber so unendlich schwer, das zu finden, was anderen Zeiten von selber zufiel.

Ueber die Ausstattung der Oper ist das Lobendste zu sagen. Das Auge kann sich an vollendeten Kunstgenüssen weiden. Englische Landschaft und englische Bauernstube, altenglische Typen illustriren die musikalische Novelle ebenso treffend, wie die Elfenlandschaft das musikalische Märchen illustrirt. Man glaubt eines der reizenden englischen Bilderbücher von Walter Crane oder Caldecott zu sehen.

Die Darsteller waren con amore bei der Sache. Herr Ritter als Postillon wurde dem männlichen Charakter der Rolle in jeder Weise gerecht. Fräulein Renard fand als sein Weib die gemüthvollsten Töne. Fräulein Abendroth tauchte ganz in die Schwermuth der May Fiedling unter. Herr Schrödter gab in der Gestalt des Edward das lichtere Gegenstück eines fliegenden Holländers. Herr v. Reichenberg machte die beste Miene zur derben Komik des Tackleton. Frau Förster als Heimchen gab das Ideal dieses naturgeschichtlichen Wesens. Das Publicum war in bester Stimmung. Besonders gefielen die leutseligen, etwas operettenhaften Weisen des Vorspieles zum dritten Act. Es mußte wiederholt werden. Der Componist und die Darsteller konnten kaum oft genug hervorkommen. Warum durfte, nicht auch der kleine Postillon mit dem Kinderwägelchen, offenbar die Hauptperson des Stückes, vor der Rampe erscheinen? K.
(Das Vaterland vom 22. März 1896)