… den poetischen Schmetterlingsstaub abgewischt
»Das Heimchen am Herd.«
Oper in drei Abtheilungen« (frei nach Dickens’ gleichnamiger Erzählung) von A. M. Willner . Musik von Karl Goldmark.
Erste Aufführung in der k. k. Hofoper am 2l. März 1898.
Wie über Verdi ist nun auch über Goldmark der musikalische Johannistrieb gekommen; wie jener die hochtragischen Gestalten eines Manrico, einer Traviata, einer Aida und Othello’s verließ, um die derben Späße eines Sir John Falstaff in Tönen zu illustriren, so sagte dieser dem hocherhabenen Kreise seiner »Königin von Saba« und »König Arthurs Tafelrunde« Adieu, und faßte die zierliche Frau Dot, den biederen John Peerybingle und noch einige der Gestalten aus Dickens’ reizender, wenn auch für einen modernen Geschmack übermäßig weitschweifiger Erzählung »Das Heimchen am Herd« bei den Händen, um mit ihnen vor unseren erstaunten Augen einen lustigen Kinderreigen aufzuführen. Immerhin ist es eine gewagte Sache, in einem Alter, wo einem der starke Reif des Lebens schon auf dem Haupte liegt, den Jungen und naiv Fröhlichen spielen zu wollen; denn dem Humor, den sich das Alter aus dem Lebenstrank oft destillirt, ist immer ein gut Theil von resignirter Bitterkeit und weltverachtendem Pessimismus beigemischt, und die ganz ursprüngliche und urgesunde Fröhlichkeit der Jugend, die sich Selbstzweck ist und sich gedanken- und skrupellos des Daseins freut, sie kann naturgemäß der gealterte Mensch nie und nimmer mehr besitzen. Darum hat Verdi nach seinen vielen dramatischen Haupttreffern mit seinem »Falstaff« eine Niete gezogen, und darum kann ich auch der neuen heiteren Spieloper Goldmark’s, wenn sie auch in ihrer hübschen Harmlosigkeit dem Publicum gefallen, keinen dauernden Werth beimessen. Der Componisi hat sich nach altem Muster seinen Text von einem anderen schreiben lassen; und Willner, als Balletstofferfinder bereits bekannt, hat sich der Aufgabe mit bühnenkundiger Routine unterzogen. Der Dickens’schen Erzählung, die im Grunde genommen so undramatisch wie nur möglich ist, hat er allerdings mit derben Fingern den poetischen Schmetterlingsstaub abgewischt und um des lieben äußeren Effectes willen wesentliche Veränderungen an ihr vorgenommen. Das harmlos zirpende Heimchen machte er zu einer mächtigen Balletfee, welche den Zauberstab fleißig schwingt, das rührende Paar des alten Kaleb und seiner blinden Tochter Bertha brachte er kaltblütig um, der mit echt Dickens’scher Schärfe gezeichnete, in Geiz und Lieblosigkeit verknöcherte »Gruff und Tackleton« wurde zu einem harmlosen, liebestollen Gecken und der zwei Monate und drei Tage alte Sprößling des Peerybingle’schen Ehepaares verschwand in der Versenkung, um ans derselben gelegentlich als kleiner Zukunftspostillon mit einer Anzahl von Balletengeln effectvoll zu erscheinen. Sehr wenig geschmackvoll war es vom Librettozusammenschneider, daß er diesen noch nicht vorhandenen kleinen John als »wundersüßes Geheimnis« durch die ganze Oper spuken läßt, eine ebenso altmodische als alberne Idee. Sowohl das zuerst erscheinende Heimchen als Frau Dot singen gleich zu Beginn über dieses »Geheimnis« lange Arien, bis May, die arme Braut Tackleton’s kommt (Willner machte sie an Stelle Bertha’s zur Puppenanfertigerin und gab ihr einen blinden Pflegevater, um dessenwillen sie den reichen Kaufmann heiratet) und ein Klagelied über den seit sieben Jahren verschollenen Matrosen Edward singt. John, hier ein schmucker Postillon, kein Fuhrmann, kehrt von seiner Fahrt heim und bringt einen alten Seemann – es ist der verkleidete Edward – mit, der natürlich nichts Eiligeres zu thun hat, als ein Lied an die »theure Heimat« anzustimmen. Ein lustiger Chor der Dorfbewohner, die ihre Postsachen abholen kommen, beschließt die in der Stube des Peerybingle’schen Paares spielende erste Abtheilung. Die zweite – es ist nicht Winter wie bei Dickens, sondern Sommer – entwickelt sich im Garten vor dem Hause. John und Dot singen ein Ehe- und Liebesduett, der alte Tackleton macht May den Hof, Edward sieht es mit Eifersucht, entdeckt sich Dot, diese verspricht ihm ihren Beistand; John bemerkt die zusammen flüsternden Beiden, wird ganz überflüssig rasend eifersüchtig und wettert eine lächerlich wirkende Othelloarie herunter, die ihn selbst so langweilt, daß er einschläft. Das Heimchen, das diesmal nicht hinterm Herd, sondern hinter einem Rosenbusch wohnt, zaubert ihm zum Trost »treuer Liebe Pfand« in Gestalt eines schmucken kleinen Postillons aus dem Podium hervor. In der dritten Abtheilung preist zunächst Edward in einem Seemannslied als sein »Liebchen die blaue See«; May ist vor Sehnsucht und Liebe so dumm geworden, daß sie das ruhig mit anhört und sogar zum Schlusse mitsingt, ohne den Geliebten zu erkennen; bis er endlich die Perrücke [!] und den falschen Bart weg- und sich selbst in die Arme May’s wirft. Sie singen nun zusammen ein Duett im Stile der »Königin von Saba« und schließen mit den Lebkuchenversen: »Liebe sei des Lebens Lauf – soll im Herzen glüh’n!« Mister Tackleton kommt als Bräutigam aufgeputzt und singt ein regelrechtes Operettencouplet; der Chor der Dorfbewohner, von Edward herbeigerufen, verspottet ihn, und als er dem mit May davon und zur Küche zur Trauung eilenden Edward nachlaufen will, hält ihn der Chor auf. John und Dot allein geblieben, sprechen, resp. singen sich aus und versöhnen sich; Dot läßt wieder ihre Arie vom »wundersüßen Geheimnis«, das doch schon längst für alle Welt keines mehr ist, erschallen, was John so rührt, daß er mit ihr, vom Heimchengezirp eingelullt, einschläft, welchen ergreifenden und für ein Stück etwas sonderbaren Schluß das Heimchen, resp. Herr Willner sofort benützt, um nach einer Weile beide Paare inmitten einer Rosengruppe bei bengalischem Lichte als Schlußapotheose, von dem unsichtbaren Elfenchor besungen, der sich auch schon früher zweimal hören ließ, erscheinen zu lassen.
Zu diesem niedlichen, aber seichten Ballettext – denn er könnte auch stumm getanzt und gemimt werden! – hat Goldmark, dessen dramatische Muse zehn volle Jahre lang ausruhte, eine sich wohl im allgemeinen hübsch und gefällig gebende Musik geschrieben, die gut ins Ohr geht, aber auch ebenso leicht wieder aus demselben. Die schon oben gelegentlich der Inhaltserzählung genannten Arien und Duette bieten musikalisch gar nichts Bemerkcnswerthes dar, es sind das ziemlich erfindungsarme Gesänge, wie sie schon hundertmal dagewesen sind, ihnen merkt man es am meisten an, daß sic nur reflectirt und einem schon etwas senilen Empfinden entsprungen sind; sie kommen mir vor, wie wenn ein noch strammer und rüstiger Alter sich die fröhlichen Lieder der fernen Jugend behaglich vorsummt. Das Beste an der Oper sind die Chöre der Dorfleute in der ersten Abtheilung und die der Hochzeitsleute in der dritten; da ist frisches jugendliches Leben darin und ein köstlicher Humor. Zu dem letzteren Chor hat Goldmark den Anfang des Volksliedes »Weißt Du wie viel Sterne steh’n« benützt und äußerst geschickt und melodiös dann weiter ausgesponnen. Dieses Chormotiv bildet auch den Haupttheil des die dritte Abtheilung einleitenden Vorspieles, das mit all der glänzenden Virtuosität gemacht ist, über die Goldmark als Orchestercomponist verfügt. Ueberhaupt ist das ganze Werk sehr fein und anziehend instrumentirt, zu der erwähnten Chorscene des ersten Actes, die voll dramatischer Beweglichkeit ist, hat ihm augenscheinlich die Prügelscene aus den »Meistersingern« als Muster vorgeschwebt.
Frl. Renard und Herr Ritter als Dot und John gaben ein prächtiges Paar ab, erstere zierlich und anmuthig, mit einem reizenden Zug von Schalkhaftigkeit, letzterer ein biederer Ehren- und Ehemann, ganz geeignet, trotz seiner nicht mehr blonden Haare von der jungen Frau Dot geliebt zu werden. Die Rachearie sang er wohl in der Manier des Alberich, aber daran trug weniger er die Schuld, als der Componist. der das schwerfällige Gesangsstück nicht hätte einschieben sollen. Frl. Abendroth als May war in den sentimentalen Stellen sehr gut, zu dem »Königin von Saba-Duett« reichten aber Stimme und Talent nicht aus. Dagegen war Herr Schrödter seinem Matrosen Edward vollauf gewachsen, er kann die Partie zu seinen Glanzrollen zählen. Frau Förster sah allerliebst als Heimchen aus und tänzelte die Rolle mehr, als daß sie sie sang. Herr v. Reichenberg war ein köstlicher Tackleton. Herr Director Jahn leitete die Oper und hatte die Genugthuung, die großartig gespielte Einleitung zum dritten Act mit seinen Philharmonikern auf den stürmischen Applaus hin wiederholen zu müssen. Ueberhaupt kargte das Publicum, von der aufdringlichen Claque allerdings sehr ermuntert, mit dem Beifall nicht und rief nach den beiden letzten Acten mit den Darstellern auch den Componisten mehrfach vor die Rampe. O. v. Kapff.
(Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung 1896, Heft 7)