… eine ausserordentlich schöne Musik …
THEATER.
AUS DER WOCHE.
In der Hofoper findet, während diese Zeilen unter die Presse gehen, die erste Aufführung von »Das Heimchen am Herd«, Oper in drei Abtheilungen von A. M. Willner, Musik von Carl Goldmark, statt. Das der gleichnamigen Erzählung von Dickens nachgebildete Buch ist recht geschickt gemacht. Die Handlung beginnt in dem Hause des 50jährigen Postillons John, der sehr glücklich mit seiner halb so alten Frau Dot lebt, nur ein Umstand trübt die Freude der Beiden: sie haben keine Kinder, oder besser gesagt, sie haben noch kein Kind, denn gleich zu Beginn der Oper theilt uns Frau Dot das süsse Geheimniss mit, dass die kinderlose, die schreckliche Zeit bald vorüber sein wird. May kommt mit verweinten Augen, denn sie soll, um ihren armen blinden flegevater zu retten, den alten, reichen Puppenfabrikanten Tackleton heiraten, liebt aber natürlich (denn wo käme sonst die Verwicklung her) einen Jugendgespielen, Edward. Derselbe ist seit sieben Jahren abwesend und hat auch nicht geschrieben, ob er gesund geblieben, wird aber bald kommen und uns das bekannte Auftrittslied vorsingen. Nachdem May für ihren Pflegevater einen Topf Suppe und für sich eine Einladung zum Nachtmahl herausgeschnorrt hat, geht sie und überlässt das Feld dem guten John, der den als alten graubärtigen Seemann verkleideten Edward mitbringt. Er lässt den Mann zuerst vor der Thüre warten, bis er selbst sein Auftrittslied gesungen hat, ruft ihn aber dann gleich herein und gibt so auch ihm Gelegenheit, uns anzusingen. Die zweite Abtheilung spielt in John’s Garten. John und Dot singen ein Duett, dann kommt May und nach ihr der alte Tackleton, der ihr den Hof macht. Edward tritt auf und gibt sich der Frau Dot zu erkennen, aber nur ihr allein, warum, muss Herr Willner wissen. Es folgt ein ziemlich langes Quintett, in dem der alte Tackleton den auch nicht jungen John mit Erfolg zur Eifersucht reizt und dann zum Biere fortführt. Das ist zwar nicht sehr natürlich, denn man sollte doch meinen, dass ein eifersüchtiger Mann seine Frau nicht gerade verlassen wird, wenn der von ihm Gefürchtete da ist, aber – wir haben ja ein Opernbuch vor uns. May geht auch fort – gegessen hat sie ja – und Dot bleibt mit Edward allein. John kommt zurück, wird rasend eifersüchtig, will Jemanden mit der Hacke erschlagen (ob seine Frau oder den vermeintlichen Liebhaber, weiss ich nicht), aber das Heimchen kommt mit einer ganzen Schaar Elfen und singt dem guten John ein Lied vor, welches so schön ist, dass er sofort einschläft. »Süsse Musik ertönt wiegenliedartig. Aus dem mondbeglänzten Weiher taucht langsam ein Strauch von rosenrothen Rosenknospen herauf, der sich dann allmälig zu einem reizenden Nest entfaltet. In der Mitte erblickt man ein etwa dreijähriges Kind(damals kamen die Kinder also mit drei Jahren auf die Welt) – der künftige John junior « Die dritte Abtheilung spielt wieder in John’s Hause. May ist zur Hochzeit mit Tackleton angezogen – Edward kommt – Wiedererkennen – grosses Liebesduett! Tackleton tritt auf, wird verhöhnt und hinausgeworfen – Edward kriegt seine May – John sein Kind – das heisst nein! – seine Frau bekommt das Kind, aber erst ein paar Monate später, und das Heimchen hat das Schlusswort, Das Buch zeichnet sich nicht durch Originalität aus, bringt auch keine dramatische Handlung, aber es gibt dem Componisten durch musikalische Situationen und leicht fliessende, sangbare Verse eine dankbare Aufgabe, und das ist auch ein Verdienst. –
Zu diesem Buch hat Goldmark eine ausserordentlich schöne Musik geschrieben, die – besonders was Stimmung anbelangt – zu den hervorragendsten Erscheinungen der letzten Jahre gehört. Die gesammte Opernliteratur dürfte nicht viele Werke aufzuweisen haben, in denen gerade die »Stimmung« so glücklich getroffen und von Anfang bis zu Ende so einheitlich und consequent festgehalten ist. Schon die überaus kunstvoll gemachte Introduction gibt die leichte, ich möchte sagen tändelnde Stimmung für die ganze Oper. Mit besonderem Geschick und ungemein wirkungsvoll ist in dieser Einleitung das Zirpen der Heimchen orchestral gemalt. Wenn der Vorhang aufgeht, ist die Bühne durch Schleier verhüllt, welche sich langsam erheben, während der Chor der Elfen ertönt. Das Heimchen tritt hinter dem Ofen hervor und spricht oder singt den »Prolog«. Dieses Stück ist ganz eigenthümlich gearbeitet, es ist eigentlich eine Vereinigung von Recitativ, Gesang und Declamation und wird von Frau Förster sehr wirksam gebracht. Das nun folgende Lied der jungen Frau, in dem sie ihr süsses Geheimniss andeutet, ist zart und duftig empfunden und dürfte der erste »Schlager« des Abends sein. Die nächste Nummer ist das Auftrittslied des Postillons, dem sofort – zweiter »Schlager« – das Entree des heimkehrenden Edward folgt. Mit dieser Nummer dürfte Herr Schrötter einen grossen Erfolg erzielen. Das Finale ist ein »Postchor«, der mit seltener Meisterschaft gemacht ist. Der zweite Act bringt ein humoristisch gehaltenes Auftrittslied Tackleton’s und als dritten »Schlager« eine Arie Edwards »Die Ferne winkt« (Ges-dur). Grossen Beifall dürfte dann das Schmuckwalzerlied (Fräulein Renard) hervorrufen, und auch das darauf folgende Quintett wird wohl seine Wirkung nicht verfehlen. Eine hochdramatische Scene des Postillons und ein Elfenchor beschlossen den Act. Eine Glanznummer ist die wunderschön instrumentirte, ausserordentlich melodiöse Zwischenactsmusik, welche zum dritten Act hinüberleitet. Derselbe bringt gleich zwei »Schlager« hintereinander, das Seemannslied Edwards und ein Duett zwischen Edward und May. Namentlich das letztere ist sehr formschön aufgebaut und mit feinstem Kunstgefühl instrumentirt. Einem coupletartigen humoristischen Liede Tackleton’s folgt ein grosses Ensemble mit Spottchor, in dem wir das Motiv des Entreactes wiederfinden, und dann das Lied vom Geheimniss, welches ich für die schönste und wirkungsvollste Nummer der Partitur halte. Ein kurzes Finale zu dem lebenden Bilde, welches die glücklich vereinten Paare zeigt, bildet den Schluss der Oper. Ueber die Instrumentation ist wenig zu sagen, sie ist von Goldmark, der in dieser Beziehung wohl keinen lebenden Rivalen zu fürchten hat. Vornehm und mit feinem künstlerischen Geschmack ausgestattet, ausgezeichnet scenirt und in einer Art und Weise gespielt und gesungen (und zwar von Allen, Solisten, Chor und Orchester), wie es nur unsere Hofoper leisten kann, wird das in jeder Beziehung hervorragende Werk gewiss grossen Erfolg haben. Darüber berichte ich in nächster Nummer. Eine komisch-romantische Oper von – Goldmark! Wie Mancher hat da gelächelt und gefragt: »Ja, kann denn der Elephant Polka tanzen?« Goldmark hat bewiesen, dass er auch »leichte« Musik machen kann.
(Allgemeine Sport-Zeitung vom 22. März 1896)