… für’s erste Mal Hören etwas schwer faßlich …

Vor Allem erwähnenswerth erscheint das heute (Sonntag) veranstaltete dritte philharmonische Konzert, welches zwischen zwei Lieblings-Symphonien der Wiener (der unvollendeten in H-moll von Schubert und der sogenannten italienischen in A-dur von Mendelssohn) Goldmark’s neueste (Manuskript)-Ouvertüre zu »Sappho« auf dem Programm hatte. Ein höchst interessantes Werk, wohl zu dem Geistvollsten und Kühnsten gehörend, das Goldmark schuf. Der Schwerpunkt liegt freilich noch mehr aus Seile des energischen Stimmungsausdruckes und der glänzenden Instrumentation, als der Erfindung. Beide Harfenakkorde (Moderato alla breve), seltsam zwischen Es-moll und Ges-dur schwankend, leiten ein. Bald singt hiezu die Oboë eine eindringliche, echt Goldmark’sche Sechsviertelmelodie, deren Reiz sich später wesentlich erhöht, wenn sie der Solovioline anvertraut wird. Ob mit dieser Melodie, wie Dr. Hirschfeld, der geistreiche Erklärer der Novität, und die heuer zum ersten Male von der Philharmonischen Gesellschaft ausgegebenen Programmbücher wissen wollen, wirklich das eigentliche Sappho-Thema gemeint, könnte nur der Komponist selbst entscheiden. Der spannenden Einleitung folgt ein Allegrosatz (4/4 con fuoco, Ges-dur), zuerst wie aufjubelnd, dann vergrämt und leidenschaftlich drängend; dem aus Triolen und kühnen Sprüngen zusammengesetzten Hauptthema wird ein trotziger Seitensatz in Gis-moll gegenübergestellt, wie ein selbstständiges Adagio ertönt in B-moll die wehmüthige Gesangsgruppe (Oboë und Horn über Harfenarpeggien), nach Dr. Hirschfeld’s Meinung das »Liebesmotiv«, welches alsbald durch eine Reihe furchtbar schrill einschneidender Dissonanzen der Holzbläser (das »Schmerzensmotiv?«) unterbrochen wird. Es entwickelt sich nun aus den zitirten Elementen eine hochdramatische, im Verlauf eine wahre Instrumentalschlacht entfesselnde Durchführung (süß beschwichtigt die schon erwähnte zweimalige Wiederkehr des Sappho-Theums als Violinsolo), zuletzt imponirt eine Steigerung, welche jäh abbricht – vielleicht den tragischen Meeressturz der lesbischen Dichterin andeutend. Nach einem wundervollen Entschweben des Sappho-Themas in der Solovioline rauscht das Orchester noch einmal mächtig aus zu einem triumphirenden, von Bläserfanfaren begleiteten Schlußsatz: die Apotheose des unsterblichen Dichtergeistes. Obwohl das Werk (durchaus nicht eine gewöhnliche Theater-Ouverture, etwa als solche vor Grillparzer’s Tragödie zu spielen, vielmehr eine großartige sclbstständige symphonische Dichtung) für’s erste Mal Hören etwas schwer faßlich erscheint, errang es doch, vom Orchester unübertrefflich virtuos gespielt, einen ganzen Erfolg: Meister Goldmark mußte dreimal vor dem Publikum dankend erscheinen.