… mit großer Kunst gearbeitet
Philharmonisches Concert. Das fünfte Abonnementconcert hat nach keiner Richtung hin Neues gebracht, doch mag die Klage darüber angesichts des Umstandes unterdrückt werden, daß man sich wieder einmal unseres viel zu selten berücksichtigten Bruckner’s erinnert hat. Richter und seine Heerschaar wählten die Wagner gewidmete D-moll-Symphonie, welche nebst der hellstrahlenden »Siebenten« und der ungemein poetischen »Vierten« bisher die größte Verbreitung erlangt hat. Es ward dem großen Tondichter schon bei Lebzeiten eben nicht leicht gemacht, seinem Wirken und seinen Werken Geltung zu verschaffen und die böse Saat, die seine starren Gegner gestreut haben, läßt auch nach des Meisters Tod noch schlimmen Samen aufgehen. Manches gestern erlauschte Urtheil liefert den traurigen Beweis, daß es selbst oft ständigen Concertbesuchern nicht gelingt, sich unbeeinflußt zu erhalten und eigener Anschauung zu huldigen. Zum Glück ist die Zahl jener Kurzsichtigen, die in Bruckner einen bösen »Antisemiten« statt eines gewaltigen Genies erblicken, im Schwinden begriffen, und zur Ehre der Hörer sei es gesagt, daß während der gestrigen Aufführung eine heilige Ruhe wie in einem Gotteshause herrschte, die für die Antheilnahme des Publikums nicht minder sprach als der voll Begeisterung gespendete, brausende Beifall, den namentlich das dämonische Scherzo weckte. Es scheint doch die Zeit nicht allzuferne, in welcher man den Symphoniker Bruckner fast mit Einstimmigkeit als den würdigsten Nachfolger Beethoven’s erklären wird. Wer unter den Tondichtern der letzten Zeit könnte es denn wagen, mit Bruckner in die Schranken zu treten? Wer unter ihnen darf sich gleich genialer, überquellender Erfindung, gleicher Meisterschaft in Harmonie, Contrapunkt und Instrumentation rühmen? Wem außer Bruckner ist nach Beethoven noch der »große Wurf gelungen«, kolossale, echt symphonische Gedanken in Riesenformen einzukleiden ? Solche und ähnliche Gedanken mochten sich wohl jedem Verehrer des großen Todten neuerdings aufdrängen, als die kühnen, herrlichen Klänge der Symphonie an ihm vorüberrauschten. Und für eine sehr schöne, würdige Aufführung wußten auch unsere Philharmoniker zu sorgen. Völlig einwandfrei kann dieselbe wohl nicht genannt werden, denn das idyllische Trio verlangt zufolge seiner ganzen Anlage ein gemäßigteres Tempo als das wildhinstürmende Scherzo; auch hätte bei anderen, besonders polyphon gehaltenen Stellen ein ruhigeres Zeitmaß oder schärferes Hervortreten einzelner Instrumente die Verständlichkeit noch fördern können, doch vermochten diese kleinen Mängel dem plastischen Vortrage im Allgemeinen keinen wesentlichen Eintrag zu thun und man durfte sich an dem in gar prächtigen Farben leuchtenden virtuosen Orchester herzlich erfteuen. – Noch eine» zweiten großen Genuß bot das gestrige Concert. Der in Wien schon bestens bekannte Pianist Ernst von Dohnányi spielte Beethoven’s G-dur-Concert. Sein edler, weicher Anschlag, die Poesie und Grazie seines Vortrages standen im vollsten Einklange zu Beethoven’s anmuthsreicher »Schöpfung« und erwirkten dem wahrhaft begnadeten jugendlichen Künstler die lebhafteste Anerkennung. Den Gipfelpunkt seiner Leistung bildete das Andante. — Dem philharmonischen Concerte diente als Einleitung Goldmarck’s [!] hier bereits gehörte Ouvertüre zum »„Gefesselten Prometheus«. Das Publikum fühlte sich von dem mit großer Kunst gearbeiteten und ebenso wiedergegebenen Werk nur wenig gefesselt. H.