… eine der besten, reifsten Compositionen Goldmark’s
Ed. H. Karl Goldmark hat im Laufe von drei Monaten zwei große Erfolge errungen: zuerst mit seiner »Frühlings-Ouvertüre« und jetzt mit der »„Ouvertüre zum Gefesselten Prometheus des Aeschylos«. Letztere wurde im Philharmonischen Concert unübertrefflich gespielt und mit lautem, einstimmigem Beifall aufgenommen. Die Ouvertüre, eine der besten, reifsten Compositionen Goldmark’s, reizt nicht blos durch die heiße Energie des Ausdrucks, sie hat auch musikalischen Gehalt und übersichtliche Form. Es geht darin wirklich etwas vor, in musikalischem Sinn, nicht in dem mißverständlichen einer dramatischen Nachmalerei. Die Ouvertüre beginnt wie feierliche Meeresstille mit einem Adagio in C-moll; dasselbe drängt allmälig zu der heftigeren Bewegung, die in dem Allegro-Satz (gleichfalls C-moll) in vollen Fluß geräth. Auf das trotzige, scharf markirte Hauptthcma folgt ein zweites in G-dur von auffallend sanftem, fast idyllischem Ausdruck; eine einzelne Oboë, dann eine Clarinette intonirt diese, von leisen Accorden getragene Melodie. Mancher soll Anstoß genommen haben an dem friedlichen Ton dieses Seitenmotivs. Ob es die Erinnerung an früheres Glück oder die Hoffnung auf Erlösung andeute, überlasse ich den Auslegekünstlern. Mir aber scheint cs geradezu ein Verdienst des Componisten, daß er die Folterqualen des angeschmiedeten Prometheus vorübergehend unterbricht und beschwichtigt, ihn und uns gleichsam Athem schöpfen läßt. Dieser Contrast war musikalisch nothwendig; in einem Orchesterstück verlangen wir zuerst Musik und dann erst Tragödie, so weit sie in ersterer lösbar ist. Bald bricht die Energie des ersten Themas wieder hervor und steigert sich zu stürmischer Empörung. Man bemerke die von vier Posaunen durch eine Octave chromatisch herausgeführten verminderten Septimen-Accorde. Ein von allen Streichinstrumenten in stärkstem Fortissimo ausgeführtes anhaltendes Tremolo – der Höhepunkt der tragischen Situation – schwächt sich allmälig ab; immer langsamer und leiser nähert sich das Ende: ein ruhiges Ausathmen auf einem langen, verhallenden C=dur-Accord. Die Prometheus-Ouvertüre bedeutet eine weitere bewußte Klärung von Goldmark’s starkem, aber turbulenten Talent; erfreuliche Anzeichen wären schon in der »Frühlings-Ouvertüre“, sowie in den neuesten Liedern wahrzunehmen, welche von dem declamatorischen Princip der modernen Liederkunst sehr merklich wieder zum Melodischen einlenken. Man weiß, daß Goldmark vorzugsweise tragische Stoffe, leidenschaftliches, unversöhntes Ringen liebt und daß er im Ausdruck dieser Liebe nicht schüchtern ist. Ich konnte mich deßhalb einiger Besorgniß nicht erwehren, als Goldmark sich gerade den »gefesselten Prometheus« aussuchte. Wird der scheußliche Geier, der an Prometheus‘ Leber hackt, sich nicht zugleich in unsere Ohren verbeißen? Wird nicht statt des Helden unversehens sein Bruder Epimetheus auftauchen und aus der berüchtigten Büchse der Pandora Alles auffliegen machen, was die Musik an bösen Stechfliegen besitzt? Nichts von alledem ist geschehen. Trotz der einschneidenden, im Feuer des stärksten Orchesters heißgeglühten Tragik dieser Komposition habe ich geradezu Abstoßendes, Häßliches nicht darin bemerkt. Mit reinen Dreiklängen läßt sich freilich ein Prometheus ebensowenig machen, wie eine Rcvolution mit Rosenwasser. Aber Goldmark’s Verdienst ist es, daß er sich nicht in kleinlich ausmalendes Detail verloren, sondern stets das große Ganze im Auge behalten und aus seinem gefährlichen Stoffe ein musikalisches Kunstwerk geschaffen hat. Um vollkommen zu verstehen, was mit diesen Worten gemeint ist, brauchte man im Philharmonischen Concert nur noch ein Weilchen nach Goldmark’s Ouvertüre sitzen zu bleiben und sich die »Dante-Symphonie« von Liszt anzuhören.