Da habt Ihr den Frühling
Mit noch größerem Beifall als die Nicode’schen Variationen wurde die für Wien ebenfalls neue Ouvertüre »Im Frühling« von Karl Goldmark aufgenommen. Diese jugendlich frische, gesundes Naturgefühl und freudige Bethätigung des Daseins aussprechende Verherrlichung des Lenzes ist keine langweilige Stubenmusik. Heine behauptet zwar, daß die besten Frühlingslieder hinter dem Ofen gedichtet werden, aber er will in seiner humoristischen Weise damit nur sagen, daß die Sehnsucht die fruchtbarste Muse des Dichters sei. Goldmark bereitet uns nicht lange auf den anmuthigen Wechsel der Jahreszeit vor, er öffnet gleichsam nur das Fenster und sagt: Da habt Ihr den Frühling, ich schenke ihn Euch. Wie Mendelssohn’s A-dur-Symphonie beginnt die Ouvertüre Goldmark’s mit dem Accompagnement lebhaft pulsirender Achtel und gesellt ihnen im zweiten Tacte ein feurig aufjauchzendes Thema zu – unwillkürlich denken wir dabei an Mörike’s »Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte«. Ein zweiter, in der Durdominant von A stehender Gesang löst das Hauptthema ab – der empfindende Mensch tritt hinaus in die Natur, die sich für ihn geschmückt hat, um Zwiesprache zu halten mit Hain und Flur und deren gefiederten Bewohnern. Die Lerchen trillern und überfliegen einander in verschiedenen Tonarten, wie Lenau’sche Singraketen, die munteren Quellen hüpfen murmelnd durch das grüne Wiesenfeld, und die neubelaubten Zweige des nahen Waldes rauschen zustimmend dazwischen. Mit einer Umbildung des ersten Themas verläßt das Allegro moderato den Dreivierteltact und geht in den Sechsachteltact des abschließenden Vivace über, um durch rhythmische, dynamische und harmonische Steigerungen den Gipfel des Werkes zu erreichen. Ein chromatischer Hagelschauer körnigen Eises will uns daran erinnern, daß wir auch dem heitersten Frühlingstage Goldmark’s nicht unbedingt vertrauen dürfen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn der Componist auf diesen naturalistischen Effect verzichtet hätte. In der Kunst, die von elementaren Unglücksfällen nicht abhängt, lassen wir den Regenschirm gern zu Hause.