… eine kleine Vorprobe des Weltunterganges
Ed. H. »Im Frühling« betitelt Goldmark die neue Ouvertüre, welche jüngst im Philharmonischen Concert ihre erste Aufführung erlebte. Die Aufschrift hat uns hoffnungsvoll und doch zugleich etwas ängstlich gestimmt. Freuen mußten wir uns, daß Goldmark, diese höchst pathetische Natur, einen Stoff gewählt habe, welcher alle verschneiten Wonnen des Gemüthes und der Sinne lebendig macht. Freilich gibt es Schwarzseher und Schwarzfühler, die ihre Lieblingsfarbe als Byron’scher Weltschmerz oder Schopenhauer’sche Galligkeit auch in den Frühling hineintragen. Wird Goldmark, der gewaltige Dissonanzen-König, es über sich gewinnen, dem Mai zuliebe seine schneidendsten Accorde zu verabschieden? Wird er den Frühling verherrlichen, ohne ihm zugleich Opposition zu machen? Wird er uns nicht giftflammende Blüthen aus dem Orient herüberbringen und Nachtigallen aus Bayreuth? So ungefähr flüsterten unsere Besorgnisse. Goldmark hat sie auf das liebenswürdigste und beinahe vollständig besiegt. Ohne alles Präludiren setzt seine »Frühlings-Ouvertüre« mit einem jubelnden Thema in A-dur ein, das nach einigen beschwichtigenden Tacten sich in As-dur, dann mit aller Kraft in C-dur wiederholt, um endlich in ein zweites Thema von idyllischer Harmlosigkeit einzulenken. Beide Themen bieten günstige und geistreich verwendete Motive für die ziemlich umfangreiche Durchführung; Finkenschlag und Lerchentriller, wie man sie natürlicher nicht wünschen kann, liefern dazu den lieblichsten Aufputz. Ganz und gar ohne Besuch in »Wahnfried« geht es freilich nicht ab: Wagnerische Harmonien, anfangs schüchtern und vereinzelt, stürzen später als wilde Jagd von den Bergesgipfeln hernieder; synkopirte chromatische Sext=Akkorde der Geigen und Holzbläser, gegen welche Bässe und Posaunen eine schauerliche Procession von aufsteigenden verminderten Septim-Accorden ins Feld führen. Das ist nicht das obligate Frühlingsgewitter, auf das man gerechnet hatte; eher eine kleine Vorprobe des Weltunterganges, wobei Flüsse Wälder, Gebirge durcheinanderpurzeln und alles Eingeweide des Erdballes zu platzen droht. Zum Glück geht die Episode schnell vorüber; noch einmal, jetzt etwas ausführlicher und bequemer, erschallt das herzige Vogel-Concert, und jauchzend fliegt in stürmischem Allegro das Ganze zum Schlusse. Wir zählen die »Frühlings-Ouvertüre« zu Goldmarks erfreulichsten Orchester-Compositionen; nicht als ob dir einzelnen Themen gerade bedeutend wären, aber sie sind so lebendig in Fluß gebracht. Alles so warm empfunden und so frisch gemalt, daß die Wirkung nirgends versagen wird. Die unter Hanns Richter’s Leitung glanzvoll ausgeführte Novität wurde durch stürmischen Beifall und wiederholten Hervorruf des Componisten ausgezeichnet.