… viel Schwungvolles und Fortreißendes

Zwei Novitäten von einem und demselben Componisten in einem und demselben Gewandhausconcerte – das ist uns in unsrer langen Reporter-Praxis nur ein Mal vorgekommen, und zwar damals, als Brahms seine Akademische Fest-Ouverture und seine Tragische Ouvertüre an einem und demselben Abend dem hiesigen Publicum vorführte.

Sieht man sich überhaupt das oben verzeichnete Programm des 7. Gewandhausconcertes etwas näher an, so wird man finden, daß die Zweiheit bei beregter Gelegenheit eine Hauptrolle spielte; denn abgesehen von dem Vorkommen der zwei Ouvertüren, sangen zwei Damen zu zweien Malen Zweistimmiges und producirte sich der Instrumental-Solist ebenfalls zu zweien Malen. Rechnet man nun ferner noch hinzu, daß an Vocalistischem nicht weniger als sieben und an Instrumental-Solistischem drei Nummern (darunter ein ganzes Violinconcert) geboten wurden, sowie daß schließlich noch eine ganze Symphonie (wenn auch keine eben lange) hinzukam, so wird man das diesjährige 7. Gewandhausconcert nicht anders denn als einen Musikabend von ungewöhnlicher Corpulenz bezeichnen können – einer Corpulenz, die sicherlich nicht nach Jedermanns Geschmack ist und welcher wohl durch einige Auslassungen hätte vorgebeugt werden können.

Nachdem wir im Gesagten uns mit dem Programm und dessen Ueberbürdung (um nicht zu sagen: Ueberfettung) abgefunden haben, wenden wir uns nunmehr zu den Einzelbestandtheilen desselben, und zwar zunächst zu den beiden Ouverturen-Neuheiten. Dieselben bieten in reichem Maße alles dasjenige, was man von ihrem Verfasser Carl Goldmark erwarten durfte: von eminentem Kunstverstande Eingegebenes und von souveräner Beherrschung der Darstellungsmittel Getragenes, ferner geistreich Intentionirtes und demgemäß Realisirtes, hochinteressante harmonische wie melodische und instrumentale Wendungen und Effecte, endlich im Großen und Ganzen (bei allerdings hin und wieder vorkommenden Längen und Breiten) viel Schwungvolles und Fortreißendes. Wie es in der Natur der Sache liegt, ist die Frühlings-Ouverture leichter gewogen und eingänglicher als die zu »Prometheus«, welche letztere dafür tiefer berührt und mehr zu denken giebt. Die Ausführung der beiden nicht eben leichten Werke durch das Orchester wird den dirigirenden Componisten wohl befriedigt haben, welcher letztere durch Applaus und Hervorrufe nach jeder der Ouvertüren sich belohnt und geehrt sah.
E. Bernsdorf