… die Themen athmen lebensfreudige Behaglichkeit
Ed. H. – In dem Philharmonischen Concert vom letzten Sonntag bekamen wir die neue Es-dur Symphonie (Nr. 2) von Karl Goldmark zu hören. Der große Erfolg, der sie bereits durch viele Städte des Auslandes begleitet hat, ist ihr auch in Wien treu geblieben. Der Componist wurde nach jedem der vier Sätze stürmisch gerufen. In glänzender effectvoller Behandlung aller Kunstmittel, insbesondere der Orchestrirung, bezeichnet dieses Werk einen Fortschritt über Goldmark’s »Ländliche Hochzeit« betitelte Erste Symphonie. Welches von beiden Werken an Reiz der Erfindung voranstehe und einen befriedigenderen Total-Eindruck zurücklasse, dürfte getheilten Ansichten begegnen. Wenn die ganze Es-dur=Symphonie sich auf der Höhe ihres ersten Satzes erhielte, so würden wir keinen Augenblick anstehen, sie hoch über die »Ländliche Hochzeit« und in die Reihe der besten neueren Orchesterwerke zu stellen. Nach seiner freundlichen, idyllischen Stimmung und seinem klaren Fluß dürfte dieser Satz allenfalls auch zu den Illustrationen einer ländlichen Hochzeit passen. Goldmark scheint darin von der Mystik und dem glühenden Pathos seines »Merlin« auszuruhen, sich zu erholen; die Themen athmen lebensfreudige Behaglichkeit, ja unverkennbar Schubert’sche Luft. Ihre Entwicklung geschieht natürlicher, einheitlicher, maßvoller, als wir von Goldmark’s Leidenschaftlichkeit erwartet hätten. Nur vorübergehend, im Durchführungssatz, sehen wir die Stimmung in einen von dröhnenden Posaunen angefeuerten Aufruhr umschlagen, dessen Nothwendigkeit wir nicht verstehen. Jedenfalls gehört dieser Allegrosatz zu dem Vorzüglichsten, was Goldmark geschrieben hat; er ist überall des lebhaftesten Anklanges und reiner Wirkung sicher. Dieser Geist der Einheitlichkeit und schönen Consequenz verläßt den Componisten leider im folgenden Satz, einem Andante in As-moll, dessen sanft melancholischer Gesang gleich nach dem 12. Tact einem wilden Reißen und Fegen von abgebrochenen Zweiunddreißigstel=Figuren, untermischt mit drohenden Posaunenstößen, Platz macht. Ebenso unerwartet übergeht dieser rabbiate Anfall wieder in ein sanftes Seitenthema in der Dur=Tonart, welches nach kurzer Zeit sich zu einem »quasi Allegretto« beschleunigt. Noch ein- bis zweimal wechselt das Tempo; wieder beginnt das wilde Schleifen und Reißen der Violinen, um ebenso schnell wie das erstemal zu verschwinden. Der Satz schließt leise ausklingend. Auch dieses Andante ist reich an einzelnen geistreichen Zügen und Orchester=Effecten, entläßt uns aber schließlich unklar und unbefriedigt, weil cs eben kein organisches Ganzes ist. Man möchte es fast einer Opernscene vergleichen, zu welcher uns der Text fehlt. Das Scherzo, ein fliegend rascher Sechsachleltact (E-dur), ist das Effectstück pur excellence in dieser Symphonie. Es pflegt überall da capo gespielt zu werden; man schien auch hier durch stürmischen Beifall seine Wiederholung erzwingen zu wollen. Ein glitzerndes, flimmerndes Bravourstück, bei dessen Glanz uns förmlich die Augen übergehen, ein Orchester-Feuerwerk von blendendem Effect und äußerstem Raffinement. Aus diesem Gesichtspunkte mag man das Scherzo bewunderungswürdig finden. Sein eigenster musikalischer Gehalt scheint uns trotzdem nicht schwerwiegend: es sind die wohlbekannten Elfen Mendelssohn’s und Berlioz’, die hier in noch viel reicherem und wunderlicherem Instrumentalgewand (natürlich mit Triangel in den Händen und Sordinen auf dem Nacken) vor uns im Wirbeltanze kreisen. Das langsamere Trio klingt nach der raffinirten Phantastik des Scherzosatzes recht spießbürgerlich: ein populärer liedmäßiger Satz, von der Solotrompete geblasen! Spielt die Goldmark’sche Symphonie in Säkkingen? Ein kurzes, schwermüthiges Andante, das uns flüchtig den chromatischen Jammer von Tristan und Isolde ins Gedächtniß ruft, leitet rasch in das eigentliche Es-dur-Finale. Auch dieser Zusammenhang will uns durchaus nicht klar werden. Das Hauptmotiv des Finales – drei vom ganzen Orchester gehämmerte Es-Viertelnoten, die ein flatterndes Band von Geigentriolen nach sich ziehen – ist rhythmisch sehr glücklich erfunden. Es scheint eine ähnliche lebensfrohe Stimmung, wie der erste Satz, anzukündigen, nur gesteigerter, enthusiastischer. Dieser energische Frohsinn überschlägt aber bald in eine zornig verbissene Heftigkeit, die uns in dem Maße abkühlt, als sie sich selber erhitzt. Im Ganzen ist die Wirkung dieses wasserfallartig hinabstürzenden und weislich kurz gehaltenen Finales eine recht kräftige, äußerlich packende. Als Symphoniker ist Goldmark mehr anregend als überzeugend, mehr blendend als schöpferisch; auf dramatischem Gebiet erscheint er echter und reicher. Das Philharmonische Orchester hat unter Hanns Richter’s Leitung mit der glänzenden Ausführung der Symphonie nicht nur Herrn Goldmark, sondern ebensosehr sich selbst einen Triumph bereitet.