Er ist eine aparte Erscheinung

Karl Goldmark.
(Siehe Porträt auf Seite 129 [Seite 1].)

Mehr als zehn Jahre sind es her, daß der Name Karl Goldmark dem großen Publikum zuerst geläufig ward. Im Jahre 1875 war es, daß seine erste große Oper: »Die Königin von Saba«, auf den Brettern des Wiener Hofoperntheaters erschien. Ihr Erfolg war stark und nachhaltig: Goldmark hatte bewiesen, daß er nicht blos ein feiner Kammermusiker, ein Beherrscher des Orchesters sei – denn als solchen hatten ihn bereits seine früheren Compositionen gezeigt – daß auch ein echter, dramatischer Componist in ihm stecke. Seither erschien keine neue Oper von ihm, bis endlich am 19. November d. J. sein »Merlin» aufgeführt wurde. Goldmark hatte einen neuen Erfolg errungen: über die Bedeutung seines jüngsten Werkes spricht unser Musikreferent an anderer Stelle: wir haben hier blos den Lebenslauf des Künstlers und das zu skizziren, worin vornehmlich seine Eigenart ruht.

Carl Goldmark
auf der Titelseite

Karl Goldmark ist armer Leute Kind. Am 18. Mai 1832 [recte: 1830] wurde er seinem Vater, einem Cantor zu Keszthely in Ungarn geboren. Ein frühreifer, musikalischer Trieb regte sich in dem Knaben: erst fünfzehnjährig finden wir ihn schon in Wien, wo er in Jansa einen tüchtigen Violinlehrer fand. Dann trat er in das Conservatorium ein, da dieses aber in Folge der Ereignisse des Jahres 1848 aus drei Jahre geschlossen wurde, sah er sich für seine Weiterbildung bald wieder einzig auf seinen eigenen Fleiß und sein eigenes Streben angewiesen. Unermüdlich arbeitete er an sich, so daß er bald säst alle Instrumente beherrschte. Dabei componirte er rastlos: aber eigentliche Compositionslehre konnte er erst mit 27 Jahren, als Musiker im Carltheater, zu treiben beginnen. Sorgfältig verbarg er, was er hervorgebracht hatte: ihm genügte es nicht. Endlich erschien sein Streichquartett: es war sein erster Erfolg und hat seinen Weg durch alle Concertsäle gemacht. Was nun folgte, das war nur
noch geeignet, in der Meinung zu bestärken, daß man es hier endlich einmal mit einem bedeutenden, originalen Componisten zu thun habe. Wir nennen davon die prächtige »Sakuntala -Ouvertüre, der später bekanntlich die zu »Penthesilea« folgte. Ein lebendiges, dramatisches Talent pulst darin und steigerte die Erwartungen auf’s Höchste. Es ist ein Zeichen von Goldmark’s Bedeutung, daß die »Königin von Saba«, daß nun »Merlin«, der so lange Erwartete, so hoch gestellten Ansprüchen gegenüber Stand hielten und befriedigten.

Was Karl Goldmark als Componisten in erster Reihe auszeichnet, das ist seine unglaubliche, künstlerische Gewissenhaftigkeit. Nicht leicht hat ein Mensch höhere Anforderuugen an sich selbst gestellt: darum schreiten auch seine Arbeiten so unendlich langsam fort. In Strenge gegen sein Schaffen ist nur Johannes Brahms mit ihm zu vergleichen. Daß er trotzdem eine so stattliche Opus-Zahl erreichte, das ist ein Beweis des ungemeinen Fleißes, mit dem er arbeitet. Der Born der Erfindung fließt ihm aber nicht so leicht, wie manch Anderem: er hat diesen Mangel auszugleichen gewußt, daß er heute kaum mehr merklich ist. Ein Meister in der Behandlung der Orchestermassen, versteht er jede Stimmung, jede Empfindung im Hörer zn erwecken: die schwülste Sinnlichkeit liegt ihm, wie der frischeste Waldton. Sein »Merlin« hat das ganz neuerdings wieder bewiesen: dem Urtheile der berufensten Kenner nach bedeutet dieser sogar einen ganz entschiedenen Fortschritt der »Königin von Saba« gegenüber. Und so mag man denn der nächsten Arbeit Goldmark’s mit einiger Erwartung entgegensehen: er ragt jedesfalls hervor aus dem Troß der meisten modernen Operncomponisten: er ist eine aparte Erscheinung, und ein Mensch, auf dessen Arbeiten das Sprüchlein von dem guten Ding, das Weile haben will, so paßt, wie nur sonst in seltenen Fällen.