Wärme, Innigkeit und Glanz des Farbentons

Merlin.
(Operndichtung von Siegfried Lipiner).
Musik von Carl Goldmark.
(Zum 1. Male aufgeführt in der Wiener Hofoper am 19. November 1886.)

Der altbritischen Sage nach ist Merlin der Sohn des Teufels, der die reinste Jungfrau mit Gewalt zwang und den von ihr geborenen Sohn dazu benutzen wollte, das Böse in die Welt zu setzen und sich diese Unterthan zu machen. Merlin ist mit der Zauberkraft und Stärke seines Vaters ausgestattet, aber statt des Bösen schafft er, vom Geiste seiner reinen Mutter umschwebt, immer das Gute. Der Teufel ist nun bestrebt, Merlin seinen Seherblick zu rauben und ihn der Hölle zu gewinnen. Da das aber nur zu bewerkstelligen ist, wenn Merlin in Liebe zu einem Weibe entbrennt, führt er das schönste Weib, Viviane, zu ihm. Bald glüht Merlin in Liebe zu ihr, und er lehrt sie seinen Zauber, mit dem sie ihn der Hölle weiht. Diese Sage hat Siegfried Lipiner zum Stoffe seiner Operndichtung »Merlin« gemacht, sie in ihren Grundzügen benutzt und den dramatisch versöhnenden Schluß hinzugedichtet, daß dasselbe Weib, welches die Schuld an Merlins Verderben trägt, durch aufopferungsvolle Liebe, »stärker als der Tod,« den Geliebten der Hölle entreißt. Diese Haupthandlung ist mit den Kämpfen des König Artus gegen die Angelsachsen in Verbindung gebracht und entwickelt sich in 3 Akten klar und theatralisch wirksam. Die Sprache der Dichtung darf, wenn man von einigen Gemeinplätzen und einigen allzunnmittelbaren Anlehnungen an Richard Wagners Dichtungen absieht, eine recht poetische genannt werden, aber schärfere Charakterisirung der Personen, besonders der Ritter von Arturs Tafelrunde habe ich ungern vermisst.

Hermann Winkelmann (1849-1912)

Jedenfalls aber überragt Lipiners »Merlin« die landläufigen Operntexte; er steht unter dem unmittelbaren Einfluße Wagners, und wenn Carl Goldmark nach diesem Texte griff, so hat er schon damit halb und halb den Weg des Wagnerischen Musikdramas eingeschlagen. Ich habe wiederholt betont, daß ebenso sehr, als ich überzeugt bin, daß der eben genannte Styl für die heutige Oper der einzig mögliche ist, jeder Tondichter, der die Pfade des Meisters wandelt, straucheln muß, wenn er Wagner nur in seiner Form nachahmt, ohne über die entsprechenden musikalischen Mittel zu verfügen. Nun Goldmark kann sich da getrost zu den reichen Leuten zählen, und unter den heutigen Operncomponisten wüßte ich keinen, der so viel Anrecht auf die Erbschaft Richard Wagners haben würde, als Goldmark, würde er nur auch über ebenso viel dramatisches Talent verfügen, als er musikalische Erfindungskraft sein eigen nennt. Wenn auch Goldmark das Princip der Leitmotive unleugbar angenommen hat, so führt er es noch nicht mit eiserner Consequenz durch, oder kann es nicht durchführen. Dort, wo das Leitmotiv in seiner symphonischen Durchführung am wichtigsten ist, nämlich beim Vorwärtsschreiten der Handlung, ist es am wenigsten, nirgends aber genug! – mannigfaltig benützt. Dagegen wechseln unbegleitete Recitative mit langen orchestrirten Stellen, mit den gesuchtesten Modulationen und Trugschlüssen, die den Fluß des deklamirten Wortes unterbrechen und den Fortschritt der Handlung lahmen. Dies der wesentliche Unterschied in der Benützung der Leitmotive bei Goldmark und Wagner, selbst dem Wagner der zweiten Periode. In der Behandlung des Ariosos, dem Aufbau der Ensembles und betreffs der Mitwirkung des Chores steht Goldmark auf dem Standpunkt des »Lohengrin«, dessen Vorspiel die zweite Hälfte des Merlin-Vorspieles zweifelsohne beeinflußt hat; dabei denke ich nicht nur an die Verwendung der getheilten Geigen in den höchsten Lagen, sondern vor Allem an den breiten Gesang der Violinen, 20 Takte vor dem Schluße. Dieses Vorspiel ist übrigens sowohl ein ganz vorzügliches Musikstück an und für sich, als auch eine ausgezeichnete Einleitung der Oper, deren Hauptmotive es alle umfaßt und so durchführt, daß der Hörer damit ein musikalisches Bild für den Grundgedanken der Oper bekommt. Es ist überaus warm empfunden, hat eine bedeutende Steigerung und ist von einer entzückenden Farbenpracht, Wärme, Innigkeit und Glanz des Farbentons sind überhaupt die Vorzüge der meisten Theile des Goldmark’schen Oper, und wenn ich den Einzugsmarsch des ersten Aktes, das Erscheinen der Fee Morgana, die liebenswürdige Ballmusik, endlich den Trauermarsch mit den schauerlich düstere Einleitungsakorden nenne, glaube ich die farbenprächtigsten Theile, und mit Anführung des Ges-dur-Ensembles des ersten Aktes, des Cis-Moll-Satzes (Merlin allein) im zweiten Akt, des gesammten Liebesduettes und des entzückend schönen Gesanges der Viviane im dritten Akt: »Blüht auf« die durch Wärme der Empfindung sich besonders auszeichnenden Stücke genannt zu haben. Außerdem sind einige Ariosi, so Merlins Gesang an der Harfe, dann Vivianes: »Ich sah dich einst« von ergreifender Innigkeit. Die Chöre behandelt Goldmark in glänzender Weise, und ist besonders der 6stimmigc Trauerchor im dritten Akt ein Meisterwerk. Es würde zuweit führen, wollte ich auf all’ die schönen Einzelnheiten der Oper eingehen: es könnte sonst diesem Berichte der Fehler anhaften, von dem man den Goldmark’schen »Merlin« nicht freisprechen kann, der Fehler übergroßer Länge. Manche Schönheit des dritten Aktes ging an dem durch die Länge der beiden ersten Akte ermüdeten Publikum ungewürdigt vorüber, und wenn ich auch den Rothstift des Kapellmeisters nicht immer gern sehe, im »Merlin« hätte er zum Vortheile des Gesammteindruckes der Oper in Verwendung kommen müssen.

Wilhelm Jahn (1835-1900)

Die erste Darstellung des »Merlin«, welche im Hofoperntheater am 19. November stattgefunden hat, war eine vorzügliche. Herr Winkelmann in der Titelrolle entzückte neuerdings durch sein in der Verbindung des lyrischen mit dem heroischen Elemente einziges Organ, durch echt künstlerischen Gesang und verständige Darstellung, Frau Materna setzte all’ ihre dramatische Kunst für die schwierige Partie der Viviane mit glücklichem Erfolge ein. Eine ganz außerordentlich charakteristische Leistung war der Dämon des Herrn v. Reichenberg, dieses mit Recht sehr gewürdigten intelligenten Künstlers, der nur seinen Teufel nicht hätte vor die Rampe bringen dürfen. Frau Kaulich als Fee Morgana und Herr Sommer als König Artus waren gut, wenngleich ich in den Händen Herrn Sommers lieber die Partie des Lanzelot gesehen hätte, welche Herr Horwitz zu wenig deklamatorisch behandelte. Chor und Orchester leisteten Großartiges, und die Inscenirung war vollkommen entsprechend. Daß das schwierige Werk von Herrn Jahn in sechs Wochen vollständig fertig gebracht wurde, verdient eine besondere lobende Erwähnung; der glänzende Erfolg der Oper hat alle Mitwirkenden für ihre künstlerische Hingebung belohnt. Carl Schön.