Wortreich und nicht ohne Koketterie

… an die Öffentlichkeit trat, hatte er schon eine Reihe von Vokalwerken vorzuweisen, deren mit Abstand erfolgreichstes – natürlich die Königin von Saba – alles andere weit hinter sich ließ. Zwar fällt unter den Chorsachen vor allem das häufig aufgeführte Frühlingsnetz op. 15 für Männerchor, vier Hörner und Klavier ins Auge, und auch unter den Klavierliedern gibt es einige Stücke, die in den Rezitals mehr oder minder angesehener Sänger(innen) den Beifall des Publikums finden. Doch es sind versprengte, einzelne Dinge, die auf die Programme gesetzt werden, keine größeren Zusammenhänge oder gar zusammenhängenden Publikationen. Dieses Schicksal ereilt auch die Lieder nach Texten aus Der wilde Jäger, einer »Waidmannsmär« des seinerzeit sehr geschätzten »Butzenscheibenlyrikers« Julius Wolff (1834-1910). Bald nach der Wiener Uraufführung vom 29. März 1879 zerfällt der kleine Zyklus in seine Bestandteile: In Prag bringt [sg_popup id=“2″ event=“click“]Alfred Stoll[/sg_popup] (1853-1918), der Erste Tenor des Deutschen Theaters, Anfang Januar 1880 immerhin noch sechs der sieben Titel; danach erinnern lediglich verschiedene Fragmente an das Opus 31.

Julius Wolff (1834-1910)

Schon die Premiere hatte mit einer gewissen »Ladehemmung« stattgefunden. Zunächst sollte Gustav Walter, der Startenor der Wiener Hofoper, im kleinen Musikvereinssaal mit der Novität auftreten, doch das Vorhaben mußte unterbleiben, »da Herrn Walter zufolge Erlasses der obersten Hoftheaeter[!]-Direction nachträglich die Mitwirkung nicht gestattet wurde.« (Die Presse vom 25. März 1879)

Statt dessen sang Adolf von Schultner, am Klavier begleitet von Anton Door, der sich bei den Liedern recht entspannt gegeben haben wird: Schließlich hatte er vorher schon den Solopart in Johannes Brahms’ d-moll-Konzert gespielt, während er ein Scherzo von Henri Litolff sowie (als zweite Neuheit) das fis-moll-Konzert op. 10 des Hans Bronsart von Schellendorf noch vor sich hatte.

☞ Daß sich die sieben idyllischen Stücke zwischen diesen orchestralen »Brocken« hätten behaupten können, scheint ausgeschlossen. Jedoch:

• Der zum ersten Male gehörte Liedercyclus »Der wilde Jäger« von Goldmark fand eine sehr günstige Aufnahme. Den Liedern liegt gerade kein besonders anregender Text zu Grunde, sie besitzen aber musikalischen Werth durch melodischen, geistreichen Ausdruck: sie sind dankbar für den Sänger und wurden von Herrn A. von Schultner sehr geschmackvoll vorgetragen. (Signale für die musikalische Welt, 1879/28)

☞ Eduard Hanslick sagt’s ausführlicher:

• Als Novität im Liederfach folgte ein ganzer Cyklus Goldmark’scher Gesänge: »Der wilde Jäger« (Text von Julius Wolfs). Sie gehören jedenfalls zu dem Gelungensten, was wir von Vocal-Compositionen Goldmark’s kennen; so nacheinander gesungen wirken sie jedoch etwas monoton. Schon die Gedichte bewegen sich fast alle in ähnlicher sentimental-schwärmerischer Stimmung, wortreich und nicht ohne Koketterie. Goldmark’s Musik steht höher. Einfacher Ausdruck, natürlich fließende Melodie – Eigenschaften, die dem modernen Liede fast gänzlich abhanden kommen – besitzt wol auch nur das sechste der Goldmark’schen Lieder: »Alle Blumen möcht’ ich binden«, das dem Publicum (dem Componisten schwerlich) als das schönste erschien. Geistreiche Auffassung, feine Detailzüge und charakteristische, oft nur allzu virtuose Begleitung fehlen keinem dieser von dem Tenoristen Schultnerso beifällig vorgetragenen Gesänge. Herr v. Schultner ist ein Liedersänger von sehr schätzbarer musikalischer Bildung und zartem Gcfühlsausdrucke; freilich rückt der blasse, leidsame Charakter seiner Stimme jedes Lied in eine Art wehmüthiger Mondscheindämmerung. Diese zitternde Elegik paßte nicht übel zu den Goldmark’schen Liedern – da es ihrer jedoch sieben waren, so wurde uns das Mitgefühl mit so viel Liebesnöthen schließlich doch etwas anstrengend. (Neue Freie Presse vom 4. April 1879)

☞ Daß Eduard Schelle anderer Meinung war, dürfte sein Namensvetter Hanslick schon in der Presse gelesen haben:

• Herr Door versteht es, seinen Concerten stets ein eigenthümliches Interesse zu verleihen, indem er für Neuheiten sorgt, welche die Erwartung aufs Höchste spannen. So brachte er diesmal einen Liedercyclus aus dem »wilden Jäger« von Goldmark, welcher leider nicht die Wirkung machte, welche man sich davon versprochen hatte. Die Lieder ließen mit wenigen Ausnahmen kalt; selbst Herr Professor v. Schultner, welcher [die] Lieder sang, schien sich an ihnen nicht recht erwärmen zu können und fand nur hie und da den vollen Brustton der Empfindung. Sie gehören wenigstens nicht zu den inspirirtesten Schöpfungen Goldmark’s. (Die Presse vom 2. April 1879)

☞ Noch weniger wohlwollend ist Florestan am 7. April in der Wiener Sonn- und Montagszeitung :

• Zwischen dem Clavierconcerte in d-moll von Brahms und einem Litolff’schen Scherzo stand Goldmark’s Liedercyclus aus dem »wilden Jäger« von Wolff und ein Clavierconcert in Fis-moll von Bronsart; keine der beiden Neuigkeiten errang mehr als einen gewissen Grad von äußerem Erfolge, der übrigens mehr den darstellenden Künstlern (Schultner und Door) als den Werken selbst galt. Von der Bronsart’schen Composition läßt sich weiter nichts sagen, als daß sie viel Spectakel macht und dem Pianisten reichliche Gelegenheit gibt, seine Bravour zu entfalten. Von Goldmark’s Liedercyclus (sieben Nummern) können nur zwei Stücke Anspruch auf Beachtung machen: (»Es wartet ein bleiches Jungfräulein« und »alle Blumen möcht’ ich binden«); ein drittes (»leer ist der Tag«) ist mehr ein scenischer Monolog als ein Lied; alle übrigen Theile des Cyclus machen einem eher kalt als warm. Auch begegnet man da unter anderem folgenden Versen, die auf einen Jäger und auf ein braunes Reh Bezug haben. Besagtes Reh »hatt’ ein rothes Mündelein, und auf zwei Füssen ging’s. Das Lächeln seines Grußes, dem Jäger lag’s im Sinn; die Fährte seines Fußes stand ihm im Herzen drin. Wo schleichest du, mein Rehlein schlank, wo steckst du im Verhau? Du knicktest ja im Schritt und Schrank kein Gräschen um im Thau.« Der Dichter sollte vor dem Volke doch ein bißchen mehr Respect haben und solche Dummheiten nicht gerade »im Volkstone« singen lassen. Goldmark hat hiefür überhaupt keinen rechten Ton gefunden, was ihm in diesem einzelnen Falle schon zu verzeihen wäre, wenn er sich nur das Componircn eines solchen Liedes ganz erspart hätte.

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☞ Die Fachpresse reagiert zurückhaltend:

• Julius Wolff hat bei den Componisten mit vollem Recht heute eine allgemeine Beachtung gefunden, sowohl die Rattenfänger-Lieder, wie die oben genannten, sind wahre Perlen der neudeutschen Poesie, und man geht also den Compositionen dieser Gesänge von vornherein mit mehr Freude entgegen, als Liedern, welche minder bekannte und vorzügliche Gedichte zum Text haben.

Goldmark’s Opus besteht aus sieben Gesängen, von welchen No. 3 und 4 »Waltraut« und No. 6 »Alle Blumen möcht ich binden« den Ton der Dichtung wohl treffen, aber doch nicht auf der Höhe seines sonstigen Schaffens stehen; ja seine Ueppigkeit, sein rascher orientalischer ist nicht einmal darin fühlbar, und dies ist doch gerade seines Eigenart. In No. 4 kann mir ausserdem Manches wie z. B.

(beide Stellen dreimal wiederkehrend) durchaus nicht correct erscheinen, wenn es auch ein sonst so kenntnisreicher Mann wie Goldmark schreibt. Die übrigen der Gesänge sind nun von einer Gewöhnlichkeit, die ganz unbegreiflich bei der Wahl so schöner Gedicht ist.

Gewisse neudeutsche Gemeinplätze sind den Besten am wenigsten zu verzeihen und Herr Goldmark hat dieselben wahrhaftig nicht nöthig.

Somit sind wir gezwungen, diese Gesänge für das Product einer schwachen Stunde des Autors zu halten, und hoffen, dass er uns bald wieder versöhnt durch seinem grossen Talent entsprechende, neue Lieder.

(Allgemeine Musikalische Zeitung vom 8. Oktober 1879)

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Carl Goldmark. Lieder für eine Singstimme mit Pianofortebegleitung, Op. 32. Mainz, B. Schotts Söhne.

Wir kennen Schöneres und Gelungeneres von Carl Goldmark, als diese Lieder. Dass die Stücke hinsichtlich ihrer äusseren Gestaltung an Unfertigkeit leiden, dass sie hierin besonders in die Augen fallende Schwächen und Mängel anfweisen, wollen wir weniger behaupten und nicht gerade in erster Linie in Frage stellen, obwohl hier und da die harmonische Ausstattung und an manchen Stellen auch die Declamation Befremdendes bringt. Was uns hingegen ganz ausserordentlich aufgefallen, dass Goldmark sich offenbar an den so hübschen und gewiss anziehenden Gedichten aus Julius Wolff’s »Der wilde Jäger« nicht zu erwärmen vermocht hat und nicht Bedeutenderes geschaffen, als hier geschehen ist, wo er im Besitz solch prächtigen Textmaterials sich befand. Es ist eben keine rechte Stimmung in diesen Liedern und Wenig darin, wodurch sie uns so lieb und werth hätten werden können, wie es bei mancher anderen Schöpfung Goldmark’s der Fall ist.« (Musikalisches Wochenblatt vom 8. Oktober 1880)