Reichthum der wechselvollsten Klangfarben
Unter den in dem Concert vorgeführten Novitäten war die quasi-Programm-Symphonie »Ländliche Hochzeit« von Carl Goldmark die umfangreichste. Der Componist hat sein Werk nicht Symphonie genannt und ihm auch sonst keine die Gattung bestimmende Bezeichnung beigegeben. Das hat sein Gutes und bewahrt das Werk vor manchen schiefen Beurtheilungeu, die ihm sonst sehr schwer erspart geblieben wären. Mit Recht betont ein hiesiger Kritiker, dass die Bezeichnung »Suite« zu wenig, das Wort »Symphonie« aber zu viel sagen würde. Für Letztere wäre wohl der gedankliche Gehalt nicht bedeutsam und die specifisch musikalische Aus- und Durcharbeitung der einzelnen Sätze theilweise nicht erschöpfend genug, während andererseits der durch die zu Grunde gelegte poetische Idee hergestellte enge Zusammenhang der einzelnen Theile des Werkes dieses über das Niveau der blossen Suite emporhebt. In der Zahl und äusseren Anordnung seiner Theile dagegen zeigt das Werk die meiste Verwandtschaft mit der Symphonie. Das vom Componisten seinem Opus beigegebene Programm beschränkt sich übrigens auf blosse Ueberschriften für die einzelnen Sätze, wodurch die Phantasie des Hörers eben nur in der allgemeinsten Weise nach einer bestimmten Richtung dirigirt werden soll, während eine ins Detail gehende Ausmalung des poetischen Gehaltes der einzelnen Sätze jedem einzelnen Hörer freigestellt bleibt. Die erwähnten Ueberschriften lauten: »Hochzeitsmarsch« (Variationen), »Brautlied« (Intermezzo), »Serenade« (Scherzo), »Im Garten« (Andante) und »Tanz (Finale). Der in dem Gesammttitel (»Ländliche Hochzeit«) und den eben genannten Sonderüberschriften angekündigte Inhalt und Charakter des Werkes ist diesem von Goldmark in der glücklichsten Weise zuertheilt worden und durchweg mit so ausserordentlicher, fast begrifflicher Bestimmtheit ausgeprägt, dass jene Ueberschriften eigentlich als überflüssig erscheinen, eben weil der Ausdruck dieser Musik füglich nicht missverstanden werden kann. Neben dieser Gemeinverständlichkeit zeichnet sich die Composition aber noch durch eine Fülle herzgewinnender, bei aller natürlichen Einfachheit und Anmuth doch stets nobler und zum Theil recht eigenartiger Melodien, sowie namentlich durch eine überraschend glänzende, wirklich originelle Instrumentation aus. Nur äusserst wenige Componisten der Jetztzeit vermögen in ihren Werken einen solchen Reichthum der wechselvollsten Klangfarben und eine so überraschende Sicherheit und Feinfühligkeit in der Mischung derselben aufzuweisen, wie Goldmark hier in diesem einen Opus. Die Aufnahme der »Ländlichen Hochzeit« seitens des Auditoriums war eine äusserst glänzende. Das Orchester spielte die Composition unter persönlicher Leitung des Autors ganz vortrefflich. Wenn übrigens einige wenige der zum Theil sehr gewagten Klangeffecte diesmal nicht ganz zur Geltung kamen, so mag dies wohl daran gelegen haben, dass unser jetzt so ungebührlich überanstrengtes Orchester nicht Zeit genug gehabt hatte, sich jene heiklen Partien so recht handgerecht werden zu lassen. Etwa ein Orchester wie das Bilse’sche in Berlin, welches Zeit und Musse genug hat, seine ganze Aufmerksamkeit auf die virtuoseste Herausarbeitung aller Details bei einem Werke, wie dem in Rede stehenden, zu verwenden, dürfte manche Einzelheit der Composition freilich makelloser herausgebracht haben.*) Damit soll natürlich kein Tadel gegen unser Gewandhausorchester ausgesprochen werden, denn dasselbe leistete, was es nur irgend vermochte.
*) Wie kürzlich Johannes Brahms, war auch Carl Goldmark voll des rückhaltlosesten Lobes über die Leistungsfähigkeit unseres Gewandhausorchesters, besonders die Feinfühligkeit betonend, mit welcher es der leistesten [!] Regung des Dirigenten folgt. D, Red.