… grell, aber bedeutungsvoll und poetisch
Ed. H. – Von dem dritten Philharmonischen Concert konnten wir leider nur ein einziges Stück, die neue Ouvertüre zu »Penthesilea« von Goldmark, hören. Wir hatten zuvor neugierig die Unvorsichtigkeit begangen, das Werk in vierhändigem Arrangement durchzuspielen, eine Operation, die wir Jedermann erst nach der Orchester-Aufführung empfehlen möchten. Gleich bei den ersten zwei Accorden glaubten wir vom Stuhle zu fallen, denn kaum war es uns in unserer langen, mit jedem Jahre dissonanzenreicheren Praxis vorgekommen, daß Jemand mit einer solchen Thür ins Haus fällt. Es klingt wie ein scharfer Geißelhieb sammt dem dazugehörigen Aufschrei des Getroffenen; Wagner’s Walküren sprengen rücksichtsvoller herein, als diese Goldmark’schen Amazonen. Doch bekennen wir gerne, daß dieser gefürchtete Auftact im Orchester weniger schmerzlich klingt, und daß er ein Tongemälde einleitet, welches zwar grell, aber bedeutungsvoll und poetisch wirkt. Die Poesie des Entsetzlichen – das ist’s ja, was ein Componist hervorbringen will und soll, der Kleist’s berühmte Tragödie nachzumusiciren unternimmt. Penthesilea, die Amazonen-Königin, erglüht in leidenschaftlicher Liebe für Achilles, nachdem sie ihn lange, weniger hassend als begehrend, bekämpft hat. Auch er fühlt sich bald von ihrem wilden Reize bestrickt. »Dies wunderbare Weib, halb Furie, halb Grazie, sie liebt mich – und allen Weibern Hellas’ ich zum Trotz, beim Styx, beim ganzen Hades! – ich sie auch!« »Doch«, fährt Achilles in seinem Gespräche mit Diomedes fort, »doch eine Grille, die ihr heilig, will, daß ich ihrem Schwert im Kampf erliege; eh’ nicht in Liebe kann sie mich umfangen.« In großmüthiger Absicht fordert er sie zum Zweikampfe, um sich von der Geliebten besiegen zu lassen. Penthesilea mißdeutet aber diese Herausforderung, wähnt Achilles’ kaum gewonnene Liebe wieder in Haß und Hohn verwandelt und durchbohrt ihn mit ihrem Pfeil. Sie hetzt ein Rudel wilder Hunde gegen ihn und zerfleischt mit ihren eigenen Zähnen und Händen, wie eine wüthende Bestie, den Leichnam des Geliebten.
Die gesammte dramatische Literatur kennt keine schauderhaftere Katastrophe; Medea’s Kindermord ist eine menschliche That dagegen. Der Componist einer »Penthesilea«-Ouvertüre muß fürwahr alles Gräßliche sammeln, was sich der Musik – dieser »heiteren Kunst«, wie sie das Mittelalter nannte – nur abzwingen läßt, will er den furchtbaren Eindruck des Kleist’schen Dramas zur Noth erreichen. Aber ist es wohlgethan, rathsam, nothwendig, gerade diesen entsetzlichen Stoff musikalisch auszumalen? »Muß es sein?« fragt Beethoven in seinem F-dur-Quartett. »Es muß sein!« antwortet der Componist, wenn er, wie Goldmark, von den tödtlichen Reizen der Penthesilea einmal bestrickt ist und nimmermehr losgelassen wird. Gewiß ist Goldmark hier keiner bloßen Laune, sondern unwiderstehlichem innern Drange gefolgt. Man kennt die eigenthümlichen Vorzüge dieses tiefernsten Tondichters: das Heißblütige, Leidenschaftliche, einschneidend Charakteristische, das, mitunter auf Kosten der Schönheit, aber nie auf Kosten der Wahrheit oder desjenigen, was ihm als wahr erscheint, seine Erfindungen beherrscht. Auch in Goldmark’s Ouvertüre zu »Penthesilea« finden wir dieselben Eigenschaften, vereint mit einer bedeutenden Kunst der Steigerung und einer nicht blos glänzenden, sondern höchst stimmungsvollen Instrumentirung. An origineller Erfindung und durchgebildeter Technik scheint sie uns über der »Sakuntala«-Ouvertüre desselben Autors zu stehen. Ganz verständlich wird sie allerdings nur dem mit Kleist’s Drama vollkommen Vertrauten; dieser jedoch wird die einzelnen Beziehungen leicht herausdeuten. Wilde Jagd- und Kriegslust in dem ersten Theile der Ouvertüre, einem wild energischen E-moII-Allegro; der sich anschließende Mittelsatz, ein überaus zartes Andante in E-dur, von einer Oboe über leisen synkopirten Geigen-Accorden intonirt, bedeutet uns die Liebesscene zwischen Penthesilea und Achill, »das Rosenfest«. Das wieder aufgenommene, nunmehr in immer stärkerem Feuerschein erglühende Allegro-Thema wendet die Liebe wieder in Haß und Kampf; Achilles fällt, und ein dumpfes, trauermarschartiges Andante, welches die Ouvertüre abschließt, erzählt uns den Tod der über ihre That verzweifelnden Penthesilea. Man sieht, daß Goldmark’s Composition mehr poetisch als musikalisch gedacht und geformt ist; dies ist der wesentlichste Vorwurf, der sie mit so vielen anderen ihrer verwandten Ouvertüren trifft, im Gegensatz zu Beethoven’s »Egmont«- oder »Coriolan«-Ouvertüre, welche bei prägnantester dramatischer Charakteristik doch allgemein verständlich, einheitlich und in ununterbrochenem musikalischen Fluß dahinströmen. Goldmark’s »Penthesilea« soll mit einhelligem großen Beifalle aufgenommen worden sein. Auch von einer zweiten Novität, einem Clavierconcert von Robert Fuchs, berichtet man uns das Erfreulichste. (Neue Freie Presse vom 7. Dezember 1880)