Das Streichquintett op. 9 (Anfang)

Goldmark’s Opus 8 ist jenes von mir im Jahrgange 1867 d. Bl. ausführlich eingehend besprochene, in Wien bei Spina in Druck gelegte Streichquartett (in Bdur). Nach wie vor immer bereit, diese eben angeführte Analyse voll überzeugt zu vertreten, darf ich mich lediglich aus den Spruch beschränken, daß ich diesem Quartette eine der vornehmsten unter seinesgleichen einzuräumen mich künstlerisch gedrängt fühle. –

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Opus 9 und 10 sind beide Verlagswerke der J. P. Gotthard’schen Musikalienhandlung in Wien. Erstgenanntes Opus bringt ein Quintett für zwei Violinen, eine Bratsche und zwei Violoncelle. Letzteres, »Regenlied« überschrieben und einem Claus Groth’schen Gedichte angeschmiegt, ist für unbegleiteten gemischten, vierstimmigen Chor geschrieben.

Sieht man von kleinlicher Ciselirarbeit und von gewissen, ebenfalls diesem Bereiche angehörenden, höchst persönlichen Schrullen des Componisten ab, so geht durch das Quintett ein vollgiltig symphonischer, die Orchestergegend engster Bedeutung streifender, also großer, breiter Zug. Ich wüßte für die Schilderung dieses letzteren kein passenderes, und mit geringem Wortaufwande erschöpfenderes Charakter- oder Grundstimmungszeichen hinzustellen, als den Ausdruck: selbständiger Nach- und Wiederhall der sogenannten mittleren, ja stellenweise sogar der letzten Schöpfungsperiode Beethoven’s, vermischt, oder besser: organisch vermält [!] mit einigen ebenso vollgiltig unter das Scepter der componistischen Eigenart Goldmark’s gestellten Seitenblicken oder Erinnerungen an einen oder den anderen zwischen Beethoven, der Antike und der unmittelbaren Gegenwart mitten innestehenden Meister der Vergangenheit, unter welch letzteren hier Spohr und Cherubini auf einer, Schumann auf anderer mit vornehmstem Nachdrucke genannt sein mögen.

Soviel im Allgemeinen. Speciell sei über dieses Quintett, in seiner Art einer der bisher bedeutsamsten und bis letzt noch unbesprochenen Künstlerwürfe Goldmark’s, Nachstehendes bemerkt.

Beide äußere Spitzensätze dieses Opus 9 haben ein weites Ausholen und ein Vertiefen in die Region des höchsten, speciell als elegisch zu bezeichnenden Pathos mit einander gemein. Nur trägt die breitgesponnene, lebhaft spannende, den Grundgedanken des ganzen daraus folgenden Satzes schon in einer Art von clair-obscur heraus- und hervorstellende Einleitung zum ersten Stücke dieses Quintettes mehr ein heldentragödienhaftes, jene zum Schlußsatze aber, nicht minder fesselnd und räthselhaft hingestellt, ein vorwiegend wehmuthsvoll dahinschwärmendes, träumerisch sinnendes Klanggepräge. Für Jene, die etwa Analogieschlüssen von spätergeschaffenen Kunstwerken auf früher entkeimte oder auch umgekehrt – im Sinne sogenannter Ahnungen oder Vorgefühle – sympathischen Vertretungen zwischen Schöpfungen einer grauen Vergangenheit und einer eben noch frische Blüthen treibenden Gegenwart irgend ein Giltigkeits- und daher auch Urtheilsspruchsrecht einräumen, möchte ich meine aus dem Anhören und Durchblicken beider eben erwähnten Einleitunggssätze zum Beginn- wie zum Schlußstücke des Goldmark’schen Quintettes wachgerufenen Eindrücke annäherungsweise klar versinnlichen wollend, beiläufig folgende Behauptung, in Parallelenform gefaßt ausstellen.goldmark_op9-titel

Der Eingangssatz dieses Op. 9 hebt egmont- oder coriolanhaft, oder, wenn man will medeaartige an. Es vollbringt sich diese bestimmte Art des Einführens musikalischer Gedankenreihen vornehmlich im Sinne des Exordiums zum dritten Acte dieser letztgenannten Perle aller Opern älteren nach-Gluck’schen Gepräges. Das Schlußstück aber eröffnet seine musikalische Rede beseelt von jenem Geiste, der etwa die Exordien zum Cdurquartette Op. 59 oder zum Bdurquartette Op. 130 Beethoven’s durchpulst. Ich könnte in diesen Analogieschlüssen noch weiter gehen, und den Stimmungseindruck dieses Einleitungssatzes zum Amoll=durquintettfinale etwa dahin feststellen, daß ich selben mit jenem parallelisire, den etwa der Esmollsatz aus der Ouverture zu »Jessonda«, oder aber das durch sein tragisches Pathos gar mächtig erschütternde Orchestervorspiel zum dritten und Schlußacte dieser Oper wachruft.

Ich habe den festen Glauben, man werde meiner hier gegebenen psychologisch-musikalischen Auslegung beipflichten. Diese ergiebt sich mir wenigstens schon aus dem Betrachten der ersten thematischen Embryogestalt des erwähnten Hauptgedankens. Dieser ist nämlich fast überschwänglich reich an einem der schrittweise drängenden Cäsuren. Diese letzteren liefern hinwieder wol den reichhaltigsten Stoff zu Tonsinnbildern leidenschaftlicher Seelenerregtheit. Die maßgebende Stelle des in Rede stehenden, weit ausgesprochenen Hauptthema’s lautet dann, wie folgt:

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Schon in diesem Umrisse wird man ein Farbenspiel der Melodik und Rhythmik gewahr, dem sich ausgeprägte anziehende, stimmungsvolle wie tiefe Eigenart nicht absprechen läßt. Man wird selbst zu der Ansicht gedrängt: daß bereits in dieser primitiv-thematischen Gestaltungsweise ein ziemlich scharf ausgeprägter Zug nach dem orientalischen und speciell hebräischen Typus Gesänge zu bilden und dieselben zu harmonisiren, unverstellt genug kundgiebt. Hiefür spricht vor Allem schon jener bereits oben erwähnte Cäsurenreichthum, mit dem dieser Grundgedanke bedacht ist. Dieses Gravitiren nach morgenländischer Melodien- und Rhythmenbildungsart fällt aber noch bei Weitem bezeichnender für den auf solchem Volksweisengebiete Heimischgewordenen in die Scene, wenn er sich die Mühe gibt, den schon hier, im sogenannten Expositionstheile, mit diesem Grundgedanken vorgenommenen theils gesanglichen, theils modulatorisch rhythmischen Krümmungen und Windungen aufmerksamen Blickes zu folgen. Diesen Kreuz- und Querwegen läßt sich weder lebhaft spannendes, noch scharf-logisches Wesen absprechen. —

(Fortsetzung folgt).