… höchst beachtenswerthe Novitäten …

… um zwei neue Symphonien zu besprechen, die unmittelbar nacheinander in Wien zur Uraufführug gelangten. Bezeichnenderweise wird dabei für die Ländliche Hochzeit sogar eine Fortsetzung eingeräumt, während das Werk von Heinrich Hofmann (1842-1902) trotz seines unmittelbaren Publikumserfolgs auf ein paar Zeilen abhandelt wird Was der Korrespondent zu sagen hatte, ist auf der Originalseite des Musikalischen Wochenblattes vom 30. Juni 1876 nachzulesen; wir beschränken uns hier auf die ausführliche Würdigung der Goldmark’schen Symphonie.

☞ Das 6. und 7. [philharmonische] Concert verdienen eingehende Besprechung, da sie Beide höchst beachtenswerthe Novitäten brachten: das erstgenannte Heinr. Hofmann’ »Frithjof«-Symphonie, das andere Goldmark’s Symphonie oder symphonisches Tongemälde: Ländliche Hochzeit. […] Ausserordentlich verschieden von dieser Hofmann’schen war die im nächsten Philharmonischen Concerte zur ersten Aufführung gebrachte Symphonie von Goldmark. Wer dem bisherigen Kunstschaffen dieses unstreitig ebenso eigenartigen, als bedeutenden Componisten mit Interesse gefolgt ist, hat sich gewiss dessen erste Symphonie ganz anders vorgestellt, als sie nun zur Erscheinung gekommen ist. Grossartiger, leidenschaftlicher, kühner, aber auch minder formvollendet, minder musikalisch klar und allgemein zugänglich. Derselbe Künstler, welcher in seiner Oper so muthvoll und anscheinend aus innerster Ueberzeugung die Fahne der musikalischen Zukunft (besser Gegenwart) hoch hält, gerirt sich in seiner Symphonie (– das Adagio ausgenommen –) beinahe als ein Conservativer vom reinsten Wasser, er gibt uns mehr eine »Suite« oder »Serenade« (Letztere in Brahms’schem Sinne), als ein machtvolles Instrumentalstück im Sinne Beethoven’s. »Ländliche Hochzeit« betitelt sich Goldmark’s Symphonie, und diesem Haupttitel entsprechend tragen auch die einzelnen Sätze Ueberschriften: »Hochzeitsmarsch« – »Serenade« – »Scene im Garten« – »Tanz«.

Der Componist hat sich redlich bemüht, dem selbst gewählten »Programm« gerecht zu werden, aber überall ist es ihm doch nicht gelungen, er ist für solche musikalische Dorfgeschichten eine zu wenig idyllisch angelegte Natur. Es ist entschieden die poetische Schwäche der Goldmark’schen Symphonie, dass die einzelnen Sätze keinen nothwendigen logischen und ideellen Zusammenhang haben, oder dass sich mindestens ein solcher nicht aus dem einfachen Hören ergibt. Der erste Satz besteht aus Variationen über ein höchst einfaches, aber sehr charakteristisch charakteristisch-glücklich erfundenes Marschthema, das nach Art der Freudenmelodie in der Neunten erst von den Bässen unisono intonirt wird. Das Thema ist so populär gehalten, dass es wahrscheinlich die Majorität selbst eines Laienpublicums beim ersten Male Hören sofort Ton für Ton im Ohre behalten wird: eine wohl beabsichtigte Eigenthümlichkeit, welche das musikalische Verständniss der nachfolgenden sehr mannichfaltigen Variationen ungemein erleichtert. Die meisten dieser Variationen sind äusserst frisch und durch scharf ausgeprägte Rhythmik oder geistreiche harmonische Behandlung ungemein anziehend, Brahms’ Variationen über das Haydn-Thema haben hier im heiteren Stile zuerst ihr ebenbürtiges Gegenstück gefunden, wobei freilich nicht zu leugnen, dass Einzelnes, z. B. die Trauermarsch ähnliche Es moll-Variation, absolut nicht zum Bilde einer ländlichen Hochzeit stimmen will. (Musikalisches Wochenblatt vom 30. Juni 1876)

(Fortsetzung folgt.)