VII. Das dritte Streichquartett
Nach dieser ausführlichen Zubereitung wollen die äußeren Erscheinungen, die uns in der vorliegenden Produktion noch bevorstehen, sich leichter öffnen. Denn im Grunde ist jetzt alles ausgebreitet, was die Musik von Paul Juon wie ein Geflecht bunter Fäden durchzieht. Allein die Exposition des Streichquartetts Nr. 3 a-moll op. 29 genügt, um die elementare Fülle der Kombinationsgabe in ihrer ganzen Pracht zu würdigen. Die vier voneinander abgetrennten Viertelgruppen, deren erste verdächtig nach dem Choral »Aus tiefer Not« klingt, führen durch einfache, subtile Manipulationen sogleich zu einer Textur, worin sich markante Abwandlungen der vorigen Gruppen im regulären und verdoppelten Tempo imitierend überlagern. Wenn dann der Grundimpuls erstmals in Achteltriolen umschaltet, stellt Juon die ersten vier »Choral-Töne« direkt neben die Quart- und Sextfigur, und schon hat er aus seinem motivischen Minimum ein Maximum an Ausdruck gewonnen. Die schwelgerische Kantilene, der böhmische Einschlag, das konfliktträchtige Aufeinandertreffen der Achtel und Zwölftel, dazwischen kurze, prägnante Silben oder Wörter: Wer in seinem Steinbaukasten eine absteigende Quinte als »Stein« markiert, der kann aus ein paar mehr Sachen fürwahr wundersame Werke machen. Auf den semantischen Inhalt der instrumentalen Ausführungen und Einlassungen werden wir hier verzichten können – wie auch bei dem großen »Parlando«, aus dem sich das feine Gespinst des Lento assai ma poco rubato e molto espressivo entwickelt, das sich nach dem »Variationsrondo« des dritten Satzes mit seinen magyarischen Einschlüssen noch einmal meldet: »Nicht diese Töne«, scheint die Introduktion zum Finale jetzt sagen zu wollen, während sie sich zu diesem verhält wie das »Adagio molto« zum Schlußsatz der Beethovenschen Waldsteinsonate.
Für die zyklische Rundung sorgt Paul Juon durch eine gewissermaßen schleichende Rückbesinnung auf die Phase, in der alles begann: Etwa auf der Mitte des Weges taucht das zweite Motiv vom Anfang des Werkes auf, und eine halbe Minute später wird über »aus tiefer Not« fugiert, was das Zeug hält. Dabei stehen hier verschieden bemessene Quader des Baumeisters nebeneinander: die Zweivierteltakte (4, 6, 8 usw.) sind mehr oder minder regelmäßig von zwei, manchmal aber auch drei Dreivierteltakten durchsetzt, ohne daß der natürliche Fluß der Musik auch nur für einen Moment gestört oder gar zerstört würde. Indessen deuten die verschiedenen, durch den tonalen Verlauf erforderlichen Spreizungen des Subjektes nicht nur auf einen vorzüglichen »Tonsetzer«, sondern einmal mehr auch auf die einfachen Prinzipien des Komponisten, für den zwei oder drei Töne, wofern sie ursprünglich unter einen Bogen gehören, eine klar definierte Keimzelle darstellen, deren jeweilige intervallische Weite nur einen mehr oder minder kräftigen Spannungszustand ausdrückt. Daß das regulär-irreguläre Wechselspiel der Zweier und Dreier ein altes Phänomen ausweitet und auf ganz geradem Wege zum Menuett von Jotunheimen führt, in dem der »Zwiefache« ein ganz besonderes Ereignis wird, sei hier nur aus Gründen der Kuriosität erwähnt.