Erkältung oder Rancune?
Wie nach der Verwirklichung eines schönen Traumbildes haben wir uns nach dieser »Königin von Saba« gesehnt, glaubten sie schon fassen zu können, und nun ist sie uns wieder entschwunden, zerstoben, wer weiß, für wie lange. Die Grippe einer Sängerin ist unberechenbar. Entsteht diese Grippe nun gar nicht aus Erkältung, sondern aus Rancune, dann hat sie eine doppelt unabsehbare Dauer. Und aus Rancune soll Frau Wilt die erste Aufführung der »Königin von Saba«, die für gestern angesetzt war, verhindert haben. Unserer unvergleichlichen Primadonna ist es nicht ganz recht, daß sie in der neuen Oper nicht die Titelrolle, die erste Heldin der Liebe, sondern die zweite, Sulamith, eine jener reizlosen Frauen, die sich zurückgesetzt sehen, soll spielen müssen.
Es ist der Sängerin mit dem Riesenleib und der Riesenstimme – erzählt man sich im Orchester und hinter den Koulissen – diese Hintanstellung um so weniger recht, als Frau Materna in der Titelrolle ihr vorangeschoben ist, Frau Materna, die sich vom dicken Weihrauch, den ihr Herr Richard Wagner kürzlich gestreut, ohnehin noch ganz umwölkt sieht und ihr Medusenhaupt so hoch trägt, als müßte sie es über sothane Wolken hinausrecken. Schon in der Generalprobe konnten geübte Ohren eine leise Verstimmung der Sängerin der Sulamith kaum verkennen, während die Sängerin der Königin von Saba eine, wie man nun steht, allzufrüh triumphirende Miene zur Schau trug. Ja, wer die Geschichte der Unpäßlichkeiten an einem Theater schreiben wollte, hätte reich lohnendes Material. Wie die Sachen zur Stunde liegen, wissen weder der Direktor, noch der Regisseur, noch auch der Theaterarzt sich zu helfen. Hoffen wir, daß es keine sanguinische Berechnung der drei ehrenwerthen Dignitäten ist, daß die gekränkte Eitelkeit einer Künstlerin sich in drei Tagen heilen lasse und die neue Oper sonach schon nächsten Dienstag werde vom Stapel laufen können.
Wer bei diesem jüngsten Frauenstreit, um den Vortritt am meisten zu Schaden kömmt und unserem Herzen am nächsten stehen sollte, ist der arme Kompositeur der »„Königin von Saba«. Acht Jahre lang trug er sich mit seinem Werke, ehe er es für vollendet hielt und zur Ausführung überreichte; acht Jahre lang hatte er zu kämpfen, ehe er die Annahme und Aufführung durchsetzte; und acht Jahre vielleicht wird es dauern, bis Frau Wilt von ihrer plötzlichen Heiserkeit wird kurirt sein. So kann der von Allen, die ihn kennen, als genial gepriesene und sicher hochbegabte Jüngling ein alter Jude werden, ehe sich ihm der schöne Traum erfüllt. So mahnt er den Schreiber dieses an den verrückten alten Mann in seiner Heimat, der bettelnd von Dorf zu Dorf zog und von Allen dennoch mit einer Art von heiliger Scheu und andachtsvoller Theilnahme beachtet wurde. Er hatte unschöne Gesichtszüge und sein wirr in’s Antlitz hängendes Lockenhaar, sein struppiger Bart, sein stierer Blick, seine verwahrloste Kleidung trugen wenig, dazu bei, ihm ein gewinnendes Aussehen zu verleihen. Was mit seinem Wesen gleichwohl befreunden konnte, war ein rührender Zug von Melancholie, die nur schwer zum Reden gebracht werden konnte; und was die Scheu und Andacht vor dieser stummen Schwermuth des alten jüdischen Bettlers erzeugt hatte, war sein Wahn. Er behauptete, ihm sei die Königin von Saba erschienen und verfolge ihn noch jetzt in jedem einsamen Aufenthalt. Und er war, wenn seine kargen Lippen sich öffneten, voll Ruhmredigkeit von den tausend Reizen ihrer weiblichen Schönheit. Sein überschwängliches Preisen lautete nicht viel anders als die Mosenthalschen Textworte in der Oper von Karl Goldmark:
»Das schwarze Haar hüllt ihren Nacken ein.
Wie Ebenholz ein Bild von Elfenbein.
Zwei Sterne blitzen durch der Wimper Nacht,
Zwei Rosen halten über Perlen Wacht,
Zwei Arme schlingen sich zum Lilienkranz.
Das Aug’ erblindet vor der Schönheit Glanz.
Es zieht mich hin und sie entflieht mir nicht,
Sie neigt mir zu das lichte Angesicht,
Sie schlingt den Arm mir um den Nacken fest,
Sie hält mich an die süße Brust gepreßt?
Und taumelnd sink’ ich und verworren hin,
Zu Füßen ihr, der holden Zauberin.
Da rauscht’s’im Schilfe, sie erschrickt und späht,
Sie hebt sich, flieht und ist in Luft verweht.
O zauberhafter Traum, der meine Seel’ erfüllt.«
Und wo er weilte, wo er ging, der arme alte Jude, war’s ihr Bild nur, das er sah. Er sehnte sich nach Einsamkeit und ächzte tief auf, wenn man sie ihm gewährte, denn dann war er vor ihrer Erscheinung nicht sicher. Und war er unter Leuten, dann überkam’s ihn oft plötzlich wie Haß, er schalt sie und bat sie oder drang mit wilden Worten in sie, sich rasch zu entfernen. Denn dann hörte er das Locken und Rufen der Königin von Saba:
»O komm’ ! Im Schatten dunkler Palmen
Weiß ich ein Plätzchen, Niemand kund,
Der Liebe nie verstand’ne Psalmen
Erklärt Dir flüsternd dort mein Mund.
Die Blumen hauchen stille Küsse
Im Paradies, wo Liebe weilt,
Des Lebens Kern, voll Wonnensüße
Sei zwischen mir und Dir getheilt.
O zög’re nicht, die Stunden fliehen
O komm’, o komm’, o laß uns ziehen
In’s Paradies der höchsten Lust,
Wo Liebe schwelget Brust an Brust.«
Gewährte man dem armen jüdischen Tannhäuser in solchen Momenten seiner Vision die erbetene Einsamkeit nicht, dann konnte er in Raserei entbrennen und sein Zorn gefährlich werden …
Die Königin von Saba ist die Venus der jüdischen Sage und ihre Berührung mit dem König Salomo, der bei all seiner Weisheit es bekanntlich mit tausend Frauen und dieser Einen hielt, hat sie zu einem populären Stoff gemacht. Es war uns längst eine süße Herzenssehnsucht, sie in der Dichtung unter Sang und Klang und anderem Sinneszauber auferstehen zu sehen und möchte heute darum der plötzlich heiser gewordenen Frau Wilt alles Ueble nachsagen, daß sie uns die Erfüllung dieser Sehnsucht wieder hinausgeschoben. … (Isidor Gaiger in der Morgen-Post vom 7. März 1875)