Robert Fuchs
Ein Nachwort zu seinem siebzigsten Geburtstag am I5. Februar 1917.
Als Du, lieber Vater, vor einigen Tagen siebzig Jahre alt wurdest, lagen auf Deinem Geburtstagstisch neben einigen wirklich schönen Geschenken leider auch mehrere Gaben sehr merkwürdiger Art, die Dir wohl wenig Freude bereiten konnten.
Freilich – ich hab’ es voraus gewußt. Timeo Danaos et dona ferentes. Nur finde ich meine schlimmsten Erwartungen noch übertroffen. Da vergeht mir die Lust, von ferne müßig zuzusehen, und mag man es deuten wie immer, ich will ein Wort der Erwiderung wagen.
Daß ich es nochmals sage: Ueberrascht bin ich nicht. Denn mehr als zwei Drittel Deiner siebzig Jahre sind Dir dadurch vergällt worden, daß man immer wieder Deine Liebenswürdigkeit und Bescheidenheit hervorhob. So erfreulich nun diese Eigenschaften an sich sein mögen, so sicher ist es, daß man den Künstler Robert Fuchs durch ihr Lob verkleinert, sei es mit Absicht, sei es im gedankenlosen Nachsprechen der Worte anderer.
Wenn alles, was Du geschaffen hast, immer nur als liebenswürdig bezeichnet wird, so heißt das Wohl: Du bist einseitig, es fehlt Dir die Kraft, die Leidenschaft und die Tiefe. Auch den Meister der Kleinkunst hat man Dich wiederholt genannt, und Dir damit die Fähigkeit abgesprochen, in den großen Formen Bedeutendes zu leisten. Ja, noch vor wenigen Jahren hat ein Wiener Musikschriftsteller (nebenbei Operettenkomponist) dies geradezu ausgesprochen.
Die Philharmoniker glaubten – oder glaubten sie es wirklich? – Deinen siebzigsten Geburtstag dadurch würdig zu begehen, daß sie ein Jugendwerk, die E-moII-Serenade, zur Aufführung brachten. Und ebenso hat man vor zehn Jahren bei ähnlichem Anlaß auf die zweite Serenade zurückgegriffen. Natürlich bist Du nur aus Bescheidenheit beide Male der merkwürdigen Ehrung ferngeblieben. Als ob ein echter Künstler überhaupt bescheiden sein könnte – dem Publikum gegenüber!
In Wirklichkeit war natürlich der Grund Deines Fernbleibens in beiden Fällen nur der: in unverdrossener Arbeit an Deiner künstlerischen Entwicklung alt geworden, aber noch ungebrochen an Schaffenskraft, mußte es Dich innig verdrießen, daß man diese Entwicklung ignorierte und nach einem Jugendwerk griff, das Dir selber wohl heute sehr fern liegt.
Gewiß ist der Ruhm, den Dir Deine Serenaden einbrachten, wohlverdient. Aber das Traurigste ist, daß Du noch heute vielen nicht mehr bist, als eben der Serenadenkomponist. Von den ungleich bedeutenderen Hervorbringungen Deiner späteren Kunst wissen sie nichts oder wollen sie nichts wissen. Schon die ernstere und tiefere vierte Serenade hatte viel geringeren Erfolg als ihre jüngern Schwestern. Was soll man aber erst dazu sagen, wenn uns jemand, der auf Geltung in der Musikwelt Anspruch erhebt, ganz naiv erzählt, daß Robert Fuchs außer den Serenaden bisher (15. Februar 1917!) zwei Sinfonien, ein Streichquartett, einen Frauenchor usw. komponierte!!! Unter solchen Verhältnissen darf man sich wirklich nicht darüber Wundern, wenn das große Publikum fast nur die Serenaden kennt.
So war denn auch das Los gerade der größeren Werke ein ziemlich trauriges. Nach den Beifallsstürmen, die die Uraufführung der »Königsbraut« (Wien 1889) entfesselte, hätte man dieser Oper ein ganz anderes Schicksal prophezeien müssen, als ihr in Wirklichkeit zuteil wurde. Heute liegen ihre reichen Schätze im Grabe der Vergessenheit. So tief ist dieses Grab, daß man ohne Erröten die unglaublichsten Dinge von der armen Oper berichten darf. Eine Serenade in vier Akten muß sie sich nennen lassen. Nach anderer Version besteht sie gar »aus gesprochenem Text mit zahlreichen liederartigen Einlagen für Einzel- und Chorstimmen«. Ich freue mich schon jetzt darauf, was man am 80. Geburtstag von ihr lesen wird! Noch schlimmer ist es der allerdings dramatisch weit schwächeren zweiten Oper, der »Teufelsglocke‹, in Leipzig ergangen. In die großen Schönheiten Deiner F-Dur-Messe sind nur wenige Kunstverständige eingeweiht. Denn ebenso wie die »Teufelsglocke‹, ist auch dieses mächtige Werk bis jetzt Manuskript. Die Ouvertüre »Des Meeres und der Liebe Wellen‹ fand eine recht kühle Aufnahme. Und die erste Aufführung der wunderbar poetischen, tief innigen »Marienlegende« (1914) scheint zugleich die letzte gewesen zu sein. Nur selten wird das prächtige Klavierkonzert gespielt. Von den Sinfonien hat bloß die erste (C-dur) wirklichen Erfolg gehabt: freilich auch nicht den, den sie verdiente. Bei der Erstaufführung der dritten, die gerade in die Zeit Deines 60. Geburtstages fiel, tatest Du das Gelübde, sie solle die letzte sein: so gering war die Teilnahme für das schöne, reife Werk.
Mehr äußerer Erfolg war Dir auf dem Gebiete der Kammermusik beschieden. Schon in den verschiedenen Kombinationen der Instrumente zeigt sich eine erstaunliche Vielseitigkeit. Neben einer stattlichen Reihe von größer angelegten, mehrsätzigen Kompositionen, unter denen vielleicht die Quartette und die Violinsonaten Deine künstlerische Entwicklung am besten verfolgen lassen, gibt es da freilich auch eine Fülle von Musikstücken kleiner und kleinster Form. Es find dies gewiß lauter reizende Dingerchen, und die unter verschiedenen Titeln erschienenen Sammlungen leichter Klavierstücke für die Jugend gehören unstreitig zu dem Allerbesten, was auf diesem Gebiet überhaupt existiert. Aber dem, der Deine großen und ernsten Werke kennt und liebt, sind sie wenig mehr als ein neuer Beweis für Deine Vielseitigkeit.
Sehr selten nur werden Deine Lieder gesungen, und doch sind viele darunter der näheren Bekanntschaft wert. (»In der Mondnacht«, »Kam ein holdes Mädchenpaar«, »Der Hollunderbaum«, »Mädchen am Herde«, »Der Schmied«, »Seliger Tod«, »O süße Mutter«, »Stille Nacht«, »Die Mittagsfrau«*). Einige liebliche Duette (»Waldeinsamkeit«) leiten uns zu den Chören über. Von den Männerchören sind gerade die bedeutendsten erst vor wenigen Jahren entstanden (»Goldhaar der junge!«). Aufgeführt werden sie selten oder gar nicht; denn die feuchtfröhlichen Männergesangvereine bestreiten ihr Programm auch heute noch gar zu gern mit Aebten, Engelsbergen, Weinwürmern und sonst noch allerlei leichtem, seichtem, süßlichem Singsang. Mehr Erfolg fanden die gemischten und die Frauenchöre. Auch sie sind hauptsächlich in Deinen späteren Jahren entstanden. Wie vielseitig zeigt sich da wieder der »liebenswürdige« Meister! Wie wunderbar wußte er die duftenden Träume Eichendorffs nachzusingen (»Die Spielleute«), seine zarte Naturempfindung musikalisch nachzufühlen! (»In der stillen Pracht.«) Die schlichte Ausdrucksweise des Volkes (»Ich hatte eine Nachtigall«) steht ihm ebenso zu Gebote wie die reichgegliederte, fein abgetönte Sprache hochentwickelter Kunst. Und wie verschieden die dargestellte Handlung. die vorherrschende Stimmung sein mag, immer findet er den rechten Ton dafür: sei es, daß er der Liebe seliges Erwachen (»Das macht, es hat die Nachtigall …«) oder rührende Liebestrauer schildert (»Einsamer Garten«) oder mit dem Dichter der »Dreizehnlinden« die Gottesmagd besingt, oder mit Lingg das phantastische Treiben der »Elfen und Zwerge« vor Augen führt oder spielend aus einem Nichts ein köstliches kleines Etwas gestaltet (»Grafenmückchen«). Manchmal erheben sich diese Gesänge zu wahrhaft »seraphischem Klang« (»Die Lerchen«). Die Frauenchöre sind vielleicht das Vollendetste, was in dieser Gattung geschaffen wurde, sicherlich aber die schönsten Blüten Deiner Kunst.
Tausende gehen achtlos an ihnen vorüber: denn seitab vom Staube der Straße sprießen die Lieblichen in stiller, glücklicher Verborgenheit. Du aber, Du lieber, greiser Gärtner, laß die Wand’rer ihrer Wege geh’n und sei froh, daß ihre staubbedeckten Schuhe Deinen zarten Lieblingen nicht zu nahe kommen. Und arbeite still weiter im herrlichen Garten der Kunst.
Möge Dir das Glücksgefühl des Schaffenden bis in Deine spätesten Tage erhalten bleiben. Die unversiegte Kraft und Frische in Deinen letzten Werken läßt mich Erfüllung hoffen. (Reichspost vom 27. Februar 1917)
Im Felde, am 23. Februar 1917
Hans Fuchs
* Später zum Männerchor umgearbeitet.