Selbstbeschränkung und Mäßigung
Wir können uns nicht entsinnen, daß ein neues, in sehr knappen Formen gehaltenes Orchesterstück eines in der Kunstwelt derzeit noch fast unbekannten Autors mit solch’ unverholener Begeisterung auf genommen wurde, wie diese Serenade. Jeder ihrer fünf kleinen Sätze entfesselte den Beifall der ganzen Versammlung und nach dem dritten Satze, einem Allegro scherzando, sowie nach dem Schluße wurde der Componist zweimal hervorgerufen. Ist nun auch das Scherzo nach unserem Dafürhalten gerade nicht der werthvollste Theil des Ganzen, so müssen wir doch gestehen, von der Ursprünglichkeit der Erfindung, von der in populäre, melodiöse Formen gehüllten Tüchtigkeit der Arbeit, von der so seltenen Kunst, zur rechten Zeit aufzuhören, um so angenehmer überrascht worden zu sein, je seltener sich diese Eigenschaften in den Werken zeitgenössischer Tondichter, auch wenn sie älter an Jahren und Erfahrung sind, als Robert Fuchs, nachweisen lassen. Will man die »Serenade« mit irgend einem Schlagworte charakterisiren, so muß man sagen, es wehe in ihr der Geist Joses Haydn’s, bereichert mit den Errungenschaften der späteren Zeit, so weit sich dieselben mit jenem vereinigen lassen. Aber man glaube ja nicht, daß die Reminiscenzenjagd, dieser hochbeliebte Sport in Beziehung auf die Kunsterzeuguisse der meisten Epigonen unserer nachclassischen Zeit, bei Robert Fuchs zu einem »befriedigenden« Ergebnisse führen würde. Möge der schöne Erfolg, den diese Serenade erworben, für ihren Schöpfer eine kräftige Aufmunterung sein, die so glücklich betretene Bahn beharrlich zu verfolgen; – möge er ihm das Thor öffnen zu einer gesicherten, unabhängigen Künstlerexistenz. (Wiener Sonn- und Montagszeitung vom 23. November 1874)
Ed. K. Nun haben auch die Philharmoniker ihren diesjährigen Concert-Cyclus am letzten Sonntag eröffnet und wir befinden uns mitten im Fahrwasser der Saison. Lang anhaltender Applaus begrüßte die Philharmoniker, namentlich den Capellmeister Dessoff; man merkte dem Publikum die Absicht an, dem tüchtigen Dirigenten der Philharmonischen Concerte zu zeigen, daß sein bevorstehendes Scheiden von Wien keineswegs gleichgiltig und unberührt lasse, und der rauschende Gruß wird ihm das Herz wohl ein wenig schwer gemacht haben.
Das Concert wurde mit Mendelssohn’s oft gehörter Ouvertüre »Melusine« eröffnet. Das Musikstück wurde mit feinster Präcision vorgetragen und schlüpfte an dem Ohr des Hörers mit jener aalglatten Beweglichkeit vorüber, welche in dem Wesen der formstrengen, wohlgebildeten Mendelssohn’schen Compositionen eine der auffallendsten Eigenschaften ausmacht. Ist solch’ ein Tonstück auch nicht im Stande, dem Hörer einen höheren Schwung zu ertheilen, so bringt es andererseits doch auch nichts Störendes in den schönen Kreis, man läßt den alten Bekanaten nicht ohne wohlgefälliges Nicken an sich vorüberhuschen und wartet mit Spannung auf das, was folgen wird.
Es folgte eine Novität, und zwar eine Serenade für Streichorchester von Robert Fuchs. Dieser junge Tonkünstler hat bereits einige Proben seines Talentes abgelegt. Die Philharmoniker haben sich das Verdienst erworben, ihn dem Publicum einige Male vorzuführen, und das Publicum hat es an Beweisen der Antheilnahme und Zeichen der Ermunterung nicht fehlen lassen. Das wirkt gar vortheilhaft auf die Weiterentwicklung eines jungen Künstlers. Seine »Serenade« ist ein deutlicher Beweis; das Musikstück entströmt einem zufriedenen, mit sich selbst und der Welt im Einklang lebenden Gemüthe. Es ist keine seltene Erscheinung, daß ein jüngerer Künstler gleich anfangs bei seinem ersten Hinaustreten nach den höchsten Kronen ringt, die die Muse zu verschenken hat; und sie tritt am häufigsten bei Jünglingen ein, denen es noch gänzlich Erfahrung mangelt. Robert Fuchs befand sich in früherer Zeit iu diesem Falle. Seine Compositionen, die wir zu hören Gelegenheit hatten, nahmen alle einen ganz gewaltigen Anlauf, sie wollten alle höher hinaus und gaben sich ein Ansehen, als ob in ihnen die Lösung der tiefsten Geheimnisse zu suchen wäre. Der Jüngling erscheint aber gar oft mit Thränen im Auge, wo Alles um ihn her freundlich lacht, oder er ist zwischen den Gräbern eines Kirchhofes zu finden, während die anderen Menschen ihren gewöhnlichen Beschäftigungen nachgehen oder sich allerhand Zerstreuungen überlassen; und die Ursache seiner Thränen und seiner Einsamkeit ist die Eitelkeit; er weint, damit der Andere seinen tiefen Gram bemerke, er flieht die Menschen, damit man ihn für melancholisch halte; welches ist aber die Ursache seines Grames und seiner Melancholie? Die existirt nicht. Sie ist nur in der Einbildung des erregbaren Jünglings. Solcher Gram verschwindet bald, ein paar Jahre, etwas Erfahrung, und er ist geheilt. Und so ist es auch in der Kunst. In der Sturm- und Drangperiode möchte Jeder ein Prometheus sein, der das Feuer vom Himmel herunterholt; hinterher macht man freilich die Entdeckung, daß die Arbeit schon gethan sei. Um auf Robert Fuchs zurückzukommen, so zeigten sich seine früheren Compositionen stark von Beethoven beeinflußt, aber was in denselben als ein Lebensinhalt ausgesprochen werden sollte, das war eben von Beethoven schon gesagt. Ein paar Jahre machen aber da viel aus. Ein mir befreundeter Dichter sagt sehr schön:
»Nicht in’s Unbeschränkte
Wage den Flug?
Im Beschränkten schenke
Dir Gott genug!« –
Diese Selbstbeschränkung und Mäßigung scheint bei unserem jungen Tonkünstler nun bereits eingetreten zu sein. Seine Serenade enthält nichts mehr vom Stürmen und Drängen in sich, es findet darin vielmehr eine sanfte Wallung des Herzens einen heiteren, freundlichen und erfreuenden Ausdruck, und rasch theilte sich die schöne, klare Stimmung dem Publicum mit, wie sich dies in dem lebhaften, ermunternden Beifall, den die Composition fand, deutlich zu erkennen gab.
Zwar möchte man schwerlich behaupten wollen, daß Robert Fuchs heute schon von seinen Vorbildern ganz unabhängig sei und ganz auf eigenen Füßen einherschreite! Aber wer wird darin einen Tadel erblicken? Die glückliche Nachahmung eines Bedeutenden ist immer die erste Stufe der Kunst; verletzend wirkt solche Nachahmung nur da, wo sie mit der Prätension des Gigantischen auftritt. Wer aber mit sich ernstlich zu Rathe geht und sich aufrichtig fragt, was er der Welt zu verkünden hat, der gewinnt Bescheidenheit und Demuth; und gerne läßt man sich von Solchem manches bereits Gesagte in etwas veränderter Form wiederholen.
Die Serenade besteht aus fünf Sätzen: einem schönen, gesangvollen Andante, welches, ohne alle Künstelei gearbeitet, rein durch die sich selbst gebende Melodie seine Wirkung zu erzielen sucht; einem Tempo di menuetto, das sich hie und da durch einige gesuchte Wendungen von der Form des Tanzliedes ein wenig entfernt; in einem Allegro scherzando, in welchem die Künstelei und das Suchen nach Originalität schon etwas mehr hervortritt; in einem Adagio, welches sich an Klarheit des melodischen Flusses mit dem vorausgegangenen Andante nicht messen kann, und in einem Finale von entschiedenem, kräftigen Rhythmus, der das ganze heitere Tongebilde in heiterer Weise abschließt. Dem Publicum hat der dritte Satz, das Allegro scherzando, am besten gefallen; der Componist wurde nach diesem Satze zwei Mal gerufen; ich halte den ersten Satz für den schönsten und gelungensten, obwohl darin am wenigsten Arbeit erkennbar ist. Im Ganzen behandelt das Wiener Concert-Publicnm Herrn Fuchs bereits mit der Freundlichkeit, wie einen wohlaccreditirten Componisten von altbewährtem Rufe; wir können daher mit Sicherheit voraussetzen, ihm noch öfter im Concertsaale zu begegnen und wir wollen hoffen, daß er uns das nächste Mal wiederholt Gelegenheit bieten werde, uns seiner Fortschritte und seiner Weiterentwicklung zu freuen. […]
Die Aufführung sämmtlicher Piecen [es folgten noch Robert Schumanns Ouvertüre zur Braut von Messina sowie Ludwig van Beethovens vierte Symphonie] war bis in’s feinste Detail abgerundet und ausgefeilt. Für einen jungen Tondichter, der in die Oeffentlichkeit eintritt, kann es kein größeres Anreizungsmittel geben, als seine Versuche von einem so wohlgeschulten Orchester, wie das des Wiener Operntheaters, und unter einer so tüchtigen Leitung, wie die des Herrn Dessoff, zur Aufführung gebracht zu sehen. (Das Vaterland vom 18. November 1874)