Vorzüge und Fehler der Jugend
Die neue Symphonie von Rob. Fuchs ist das Werk eines glücklichen und frisch aufstrebenden Talentes, – ihre Vorzüge und Fehler sind Vorzüge und Fehler der Jugend. Ein junger Componist möchte in so einem Werke gerne Alles sagen, was er auf dem Herzen hat (und er hat viel auf dem Herzen) und da geschieht es denn leicht, daß er uns statt eines Ganzen fünf Viertel bringt. Dem Werthe nach ist der Menuet nebst Trio das Gelungenste, am mindesten wollte das Finale zusagen. Das erste Stück, dessen Thema so keck aufblitzt, enthält eine große Menge sehr schöner Züge, sehr glücklicher Momente – ermangelt aber in seinem unruhigen Häufen von Effecten noch jener Ruhe und jenes Maßes, wie es allerdings erst Erfahrung und gereifte Meisterschaft bringen kann. Wenn so ein junger Tonsetzer ein Thema zu packen kriegt, so sagt er zu ihm: »wart, du sollst durchgeführt werden!« – und er beginnt damit zu spielen, aber unversehens kehrt sich die Geschichte um und das Thema spielt mit ihm uns er erlebt an sich die Geschichte des Zauberlehrlings mit den Wasser holenden Besen. Beethoven vermag es allerdings aus einer kurzen Phrase eine Welt von Gestalten hervorspringen zu lassen, das ist nun aber eben Beethoven. Unser junger Componist hüte sich speciell vor folgenden Manieren: erstlich vor langen Crescendos, wie sie allenfalls in einer modernen Oper am Platze sind, die aber die edlere Symphonie verschmäht; zweitens vor der Art, durch plötzliche Pausen, durch plötzliches Anhalten und Verstummen des Orchesters, durch kurze musikalische Interjektionen und Epiphoneme zu wirken – dergleichen mahnt an die Kunstpausen und Schreiaccente mittelmäßiger Schauspieler – drittens vor der Spielerei mit bloßen Accorden, die bei Beethoven (siehe das erste Stück der C-moll-Symphonie. das erste Stück des F-dur-Quartetts op. 49 [recte: 59]) ihre große Bedeutung und daher ihre Berechtigung hat, außer Beethoven aber von einem Einzigen und ein einziges Mal mit Glück angewendet worden, von Schubert im Andante seiner C-dur-Symphonie. Das Andante der Fuchs’schen Symphonie klingt etwas nach Art der »Unendlichen« Wagners, ist aber sehr edel und gesangvoll — auch hier möchten wir den talentvollen Kunstjünger an Beethoven verweisen; das Adagio der vierten Symphonie möge ihm zeigen, wie ein breiter, ruhiger, großer Strom von Gesang dennoch periodisch gegliedert und klar übersichtlich sein kann. Die warme Aufnahme, welche die neue Symphonie fand, möge ihren Componisten zu fortgesetztem, ernsten Streben aufmuntern — wir sehen seinen weiteren Leistungen mit Theilnahme entgegen. (August Wilhelm Ambros in der Wiener Zeitung vom 26. Februar 1872)
Ueber die Symphonie von Fuchs kann ich das Urtheil in zwei Worten geben: Sie verräth Talent, aber sie macht mir keine Freude. Ich will dieses lakonische aber doch etwas näher ausführen, und zwar darum, weil das Werk zeigt, daß man es mit einem Talente zu thun hat. Fuchs hat den Vorzug, dem Trivialen und Schablonenmäßigen aus dem Wege zu gehen. Das ist sicher schon etwas; allein dieses Etwas kann sehr wohl das Resultat gewonnener Einsicht und Erkenntniß sein. Nach dieser Seite hin hätten wir es also mit einem jungen Manne zu thun (Fuchs war ein Zögling des Wiener Conservatoriums), welcher fähig ist, Eindrücke in sich aufzunehmen und die Spreu von dem Weizen zu sondern; seine positive Begabung zeigt sich darin, daß er das Bedeutende will und sucht; leider aber liegt vorläufig in diesem Wollen und Suchen, in diesem Streben nach dem Bedeutenderen die Grenze seines künstlerischen Könnens, die Grenze, ich will nicht sagen seiner Leistungsfähigkeit, aber seiner factischen Leistungen. Er nimmt einen bedeutenden Anlauf. Mit diesen Anlauf aber ist die Kraft erschöpft und wenn es dann zum Sprunge kommen soll, fällt er in den Graben hinein, anstatt mit verdoppelter Kraft hinüberzusetzen. Sein Streben nach bedeutsamen Themen begleitet ihn zu einem Haschen nach Originalität und darüber geht die Schönheit und Rundung des Werkes verloren. Kann man ihm also die Begabung nicht absprechen, so kann ich doch unmöglich sein Werk schön finden, so kann ich doch an seinem Werk keine Freude finden, und ein Kunstwerk muß Freude erwecken, jene edle Freude, die gemeinen Naturen verschlossen ist, die den feineren Menschen aber hinaushebt über das Alltägliche und ihn einführt in Regionen eines ungetrübten Seins.
Von den vier Sätzen dieser Symphonie ist der erste noch derjenige, in welchem die hier gerügten Mängel sich am mindesten fühlbar machen, obwohl er keineswegs von denselben frei ist; eigentlich frei hievon ist nur der Mittelsatz des ersten Satzes. Der zweite Satz ist für ein Adagio viel zu lärmend. Das Scherzo ist mit seinem frappanten Schlusse geradezu verletzend, und der vierte Satz hat das Gute, daß er der letzte ist. Ich war seelenfroh, als das Stück zu Ende war. Das Concertbesuchen würde mir sehr verleidet werden, wenn ich gezwungen wäre, oft so gezwungene Musik zu hören. Unsere jungen Componisten gehen meistens zu den Partituren Schumann’s und Richard Wagner’ in die Schule. Das ist ganz falsch und verkehrt. Ihr müßt zu Bach und Händel, zu Haydn und Mozart in die Schule gehen, um etwas zu lernen, und wenn Ihr was gelernt habt, dann gebt Euch selbst. So hat es Schumann, so hat es Wagner gemacht. Der zweite Satz in der Symphonie von Fuchs klingt so stark meistersingerlich, daß man sich nicht genug wundern kann, wie man doch nur so ungenirt sich benehmen mag. Unsere Contrapunctschüler sollten mehr und länger an der Leine gehalten werden; wie hier die Sachen stehen, läuft einer nach kaum begonnenen Studien in der Harmonielehre und im Contrapunct gleich in die Campositionsschule. Das ist ganz verkehrt. Zum Letzten hat man immer noch Zeit, besonders wenn man jung ist; bei den Elementen aber kann man nie lang genug verweilen. (Das Vaterland vom 28. Februar 1872)
Die Philharmoniker brachten in ihrem sechsten Concerte zwei Novitäten zur Aufführung, eine Symphonie von Robert Fuchs und ein Phantasiestück von W. Remy; die eine wurde von dem Publicum sehr freundlich aufgenommen, während die andere zwar höflich, aber entschieden abgelehnt ward. Nach unserem Ermessen ist der von dem Auditorium der Philharmoniker gefällte Urtheilsspruch vollkommen gerecht; auch wir müssen dem Werke des Hrn. Fuchs unbedingt den Vorzug geben vor dem des anderen Componisten, und zwar sowohl in Hinsicht auf die Erfindung als auch auf die Arbeit. Herr Fuchs ist, wie wir hören, ein Steiermärker, also ein Landsmann des Componisten Forster, von dem im vorigen Winter eine Symphonie mit so schönem Erfolge bei den Philharmonikern ausgeführt wurde – und hat seine künstlerische Ausbildung aus dem hiesigen Conservatorium, besonders bei dem Capellmeister Dessoff gewonnen. Er war seinerzeit als der begabteste Schüler der Compositionsclasse angesehen und wurde bei seinem Abgange von der Anstalt mit der silbernen Medaille bedacht. Jetzt ist er 25 Jahre alt, für einen Symphoniker – was muß man, um als ein solcher gelten zu können, nicht alles gelernt haben! – also jedenfalls noch sehr jung. Und es dürften unter den Zuhörern in dem erwähnten Concerte nur Wenige gewesen sein, die in dem Verfasser der Novität einen so jugendlichen Componisten vermuthet haben. Denn man stand nicht einem unreifen, unselbstständigen und physiognomielosen Werke gegenüber, sondern man hatte eine ganz bestimmt ausgeprägte, eigenartige, vom Alltäglichen weit abgehende Schöpfung vor sich. Der genannte Tonsetzer macht es der Kritik nicht eben leicht. Das sonst so beliebte und so wohlfeile Mittel, einen homo novus unter den Componisten sofort in eine der stehenden Kategorien: »Mendelssohnianer,« »Schumannianer« oder »Zukünftler« einzureihen – dürfte bei Robert Fuchs schwer oder vielmehr gar nicht in Anwendung zu bringen sein. Man wird schon zusehen müssen, wie man mit ihm fertig wird, ohne zu den tief-, respective schiefsinnigen Classificirungen seine Zuflucht zu nehmen. – Derjenige Charakterzug, welcher uns bei dem jungen Symphoniker vor allem aufgefallen, ist eine lodernde Leidenschaftlichkeit. Es pulsirt ein stürmisches, oft auch maßlos wildes Leben in dieser Musik: gewaltige Accente, kühne Rhythmen, erschütternde Dissonanzen und ein an manchen Stellen glühend-prächtiges Klangcolorit wirken mächtig auf den Hörer. Das allermindeste Lob, welches dem Werk gezollt werden muß, ist also in jedem Falle dieses, daß dasselbe Interesse einflößt. Wir wollen nach einem Mal Anhören kein ganz positives Urtheil über die Symphonie auszusprechen uns erkühnen, schon deswegen, weil, wie wir früher bemerkten, der Componist nicht auf der breiten Heerstraße der Alltagsmusiker wandelt. Was wir mit bestem Gewissen schon jetzt sagen können, ist dieses: Die Kunstform ist von dem Componisten in ihrem Grundwesen richtig erkannt und daher auch angemessen behandelt. Die Instrumente sind geschickt und im Allgemeinen maßvoll benützt. Für Melodie scheint eine ungewöhnliche Begabung vorhanden zu sein: das Anstreben von größerer Einfachheit und Gedrungenheit wäre vielleicht anzurathen. In der Rhythmik im engeren wie im weiteren Sinne (Eurhythmie) erschien uns Manches mehr ausgeklügelt als spontan erfunden. Beim Rhythmus soll man sehr behutsam mit sogenannten »interessanten« Verhältnissen spielen: das, was auf dem Papier durch Bindebogen und Synkopirungen ein geistreiches, witziges Aussehen hat, verliert gar oft – sobald es nicht der Gesichts-, sondern der Gehörssinn aufnimmt – alles Geistreiche und Witzige und wird unverständlich, wenn nicht unangenehm. – Glänzend hat sich Hr. Fuchs als Harmoniker erwiesen: es ist uns selten eine solche Kraft in den Accorden aufgestoßen, als sie in dieser Musik zur Geltung kommt. Gerade in dieser harmonischen Seite bekundet der Jünger eine starke Beeinflussung durch den größten lebenden »Accorde-Baumeister« Richard Wagner. Die »unendliche Melodie« hat er indessen glücklicherweise nicht acceptirt und in die Symphonie hinübergeführt, sonst wäre er aber auch wohl nicht wegen seiner künstlerischen Leistung vom Publicum so warm anerkannt und mit Hervorrufen gelohnt worden. … (Wiener Salonblatt vom 3. März 1872)