Der Kammermusiken wechselndes Los

In seinen Memoiren hat sich Carl Goldmark darüber beklagt, daß er selbst Konzerte veranstalten mußte, um bekannt zu werden, während Brahms »in Joachim, Frau Schumann, Stockhausen ebenso vornehme, ausgezeichnete, als tatkräftige Interpreten seiner Werke« gefunden habe. Auch der berühmte Geleitbrief Schumanns sowie die Unterstützung durch Eduard Hanslick und andere renommierte Journalisten seien dem drei Jahre jüngeren Kollegen hilfreich gewesen. Dabei unterschlägt er – und ich gehe von einer bewußten Erinnerungslücke aus – die Ermutigung und Förderung, die ihm bei der Propagierung seiner eigenen Kreationen beispielsweise durch Joseph Hellmesberger und sein Quartett, durch Leopold Alexander Zellner, den Herausgeber und Rezensenten der Blätter für Musik, Theater und Kunst, und auch durch seine Klavierschülerin Caroline Bettelheim zuteil wurde: Die bewundernswerte Doppelbegabung war kaum sechzehn Jahre alt, als sie das Publikum mit ihren pianistischen Leistungen und als Ensemblemitglied der Wiener Hofoper überraschte (ihre kurze Karriere endete freilich 1867, als sie sich mit dem einundzwanzig Jahre älteren Handelskammerpräsidenten und Reichstagsabgeordneten Julius von Gomperz vermählte).

Im Anschluß werden zahlreiche Pressestimmen wiedergegeben, aus denen sich die Namen des Frln. Bettelheim und des Hrn. Hellmesberger immer wieder vorteilhaft erheben. Auf Goldmarks unebenem Weg zum Durchbruch haben sie eine wichtige Rolle gespielt.

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Haslingers zweite Novitäten=Soirée

Drei interessante Clavierstücke von C. Goldmark waren unstreitig das Beste, was an Instrumentalsachen an diesem Abende geboten wurde. Die Titel dieser Piecen wurden zwar nicht genannt, ihrem Charakter nach könnte man sie jedoch mit den Ueberschriften: Adagio serioso, Serenade und Scherzo versehen. Wie sie indessen immer heißen mögen, anziehend sind sie in jedem Falle, fein harmonisirt und, das mittlere Stück ausgenommen, vornehm in der Haltung. Mag man auch über manche Kühnheiten der Modulation stutzen, erscheint auch Einiges nicht ganz klar, so stehen wir doch nicht an zu behaupten, daß Sätze wie der erste und letzte heut zu Tage nicht all’ zu häufig geschrieben werden. (Blätter für Musik, Theater und Kunst vom 8. Jänner 1861)

Die zweite hervorragende Erscheinung der vergangenen Woche [NB: nach dem jüngsten Philharmonischen Konzert] ist das Concert des Componisten Carl Goldmark. Es gab uns ein Streichquartett, eine längere Reibe von Clavierstücken, einige Lieder, endlich ein Clavier-Trio, sämmtlich Werke des Concertgebers. Deutsche Naturkraft, deutscher Ernst des Strebens und deutsche Gedankentiefe wie umfassende gründliche Studien sind die hervorragendsten Grundzüge aller in diesem Concerte zu Gehör geführten Werke Goldmark’s. Derselbe dürfte, rüstig fortgehend auf dem in den jüngst gehörten Werken eingeschlagenen Pfade, bald einen laut und lange nachwirkenden Klang unter den besten Kämpen für neudeutsches Wirken behaupten. (Neue Zeitschrift für Musik vom 8. Jänner 1861)

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In einem Concerte, welches Herr Goldmark gestern gab, nm seine Compositionen dem Wiener Publicum vorzuführen, lernten wir eine junge Pianistin, Frln. Bettelheim, kennen, welche durch ihre anmuthige Erscheinung und ihr hübsches Spiel Sensation erregte. Sie hatte großen Beifall und wurde oft gerufen. Man rief sie, wie es schien, eben so sehr, um sie zu sehen, als um sie zu hören. (Das Vaterland vom 15. Jänner 1861)

Nächst dem philharmonischen haben wir noch von einem Konzerte des Herrn Karl Goldmark zu berichten, in welchem derselbe als Komponist auftrat und als solcher mit einem Streichquartett, einem Klavier-Trio, mehreren kleineren Klavierstücken und zwei Liedern debütirte. An einen, Herrn Goldmark von der Natur verliehenen ursprünglichen Fond, dessen Vorhanden-oder Richtvorhandensein doch gewissermaßen immer die Hauptsache bleibt, können wir nach den uns mitgetheilten Proben freilich nicht glauben; dagegen läßt sich ihm eben so wenig ein gewisses sekundäres Talent, ein durch Bildung erworbenes, ohne natürliche Anlage auch nicht erreichbares formelles Geschick nicht bestreiten. Talente dieser Art werden sich in den größeren Formen immer noch mit besserem Erfolg versuchen, als in den kleineren, da in den ersteren die Schwäche der Konception eher durch verständige Arbeit verhüllt werden kann, als in den letzteren. Diese regelmäßig wiederkehrende Erfahrung bestätigte sich auch diesmal.

Das Streichquartett – diejenige Form, welche sich Verstandeskombinationen am günstigsten erweist – möchten wir als die relativ gelungenste unter den angeführten Produktionen bezeichnen; zwar merkt man in fast allen Sätzen die absichtliche Imitation Schumann’s hindurch, aber sie ist mit anerkennenswerthem Geschick und guter Kenntniß der Mittel durchgeführt. Viel unverhüllter tritt das bewußte Streben nach Effekt in dem Klaviertrio hervor, in dessen Allegrosätzen der Autor viel äußeres Feuer entwickelt, welches aber mehr prasselt als leuchtet, während er in dem Adagio in die widerwärtigste Gefühlsaffektion verfällt.

Das »kleine Klavierstück« aber und das Lied sind Gebiete, welche der Konzertgeber lieber ganz vermeiden sollte, weil in ihnen ohne eine entschiedene lyrisch-subjektive Begabung, die ihm durchaus zu fehlen scheint, nichts Erhebliches zu leisten ist. Die Klavierstücke sind sämmtlich sehr trockene Kompositionen, die in ihrer Haltung etwa an Moscheles erinnern, obgleich z. B. in den »charakteristischen Etüden« des letzteren immer noch mehr poetischer Gehalt steckt, als in jenen, wir müssen es offen aussprechen, völlig stimmungs- und reizlosen Gebilden. Wir möchten die »Kinder auf dem Rasen«! –  so ist eines dieser Stücke überschrieben – und ähnliche Erscheinungen am liebsten ganz verschwinden sehen, citirt man sie aber einmal, so muß man doch irgend einen Rapport zwischen dem musikalischen Gehalt und der empirischen Vorstellung, welcher jener entsprechen soll, wahrzunehmen vermögen, was uns jedoch bei diesem Stück so wenig gelungen ist, wie bei dem folgenden, mit »Trostlos« überschriebenen, in welchem der Verfasser mit den raffinirtesten Klaviereffekten spielt, die sich als künstlerischer Ausdruck einer gedrückten Seelenstimmung sehr verwunderlich ausnehmen.

Ebenso ist uns der Ausdruck in der Komposition zweier Gedichte von Byron (»Beweint sie, die an Babels Strömen klagen!«) und Chamisso (»die Quelle«)  als ein sehr äußerlicher erschienen, und der Effekt, welchen der Komponist mit dem Accompagnement des letzteren Liedes zu erreichen sucht und äußerlich allerdings auch erreicht, ist einfach Schubert’s »Forelle« nachgebildet, nur hat der Komponist übersehen, daß dieses Tongequirl dem von Schubert komponirten Gedicht, welches uns zunächst ein Naturbild vor Augen stellt, viel adäquater ist, als dem Chamisso’schen Gedicht, in welchem der Schwerpunkt der Betonung auf die menschliche Handlung fällt.

Uebrigens fehlte es dem Komponisten nicht an Beifall, und was die Reproduktion seiner Arbeiten betrifft, so ist zunächst ein Fräulein Karoline Bettelheim, eine Schülerin des Konzertgebers zu nennen, welchem der Ausführung der ihr von ihrem musikalischen Mentor anvertrauten Klavierstücke eine überraschende Kraft des Anschlags und eine gewandte sichere Technik an den Tag legte. Den Vortrag des Klaviertrio und des Streichquartettes hatten die Herren Eppstein und Prof. Hellmesberger mit seinen Quartett-Comilitonen übernommen. Sie wurden daher so »wohl besorgt und aufgehoben«, als es der Konzertgeber nur wünschen konnte. (Wiener Zeitung vom 16. Jänner 1861)

Concert des Componisten Carl Goldmark

Wir erinnern uns seit Langem nicht einer so anregenden, bis zum Schlüsse fesselnden Produktion. Abgesehen davon, daß Hrn. Goldmark’s Compositionen allein hingereicht hätten, den Abend zu einem äußerst interessanten zu machen, lernte man bei dieser Gelegenheit auch in Frl. Bettelheim, der Schülerin des Hrn. Goldmark, eine Pianistin kennen, die, gering gesagt, wenigstens unter den clavierspielenden Damen Wiens bestimmt keine Rivalin findet und vielleicht selbst mit den Herren keinen Vergleich zu scheuen haben dürfte. Doch hierüber später. Sprechen wir früher vom Concertgeber. Hr. Goldmark, wir wissen nicht ob geborner Wiener, lebt seit einer langen Reihe von Jahren in unserer Mitte, ohne daß die Kunde von seiner künstlerischen Befähigung über den Kreis seiner näheren Bekannten hinaus in die Oeffentlichkeit gedrungen wäre. Einestheils hat er dieß sich selbst zuzuschreiben, denn Hr. Goldmark leidet an einem Fehler, den man in der Regel bei jungen Componisten nicht allzuhäufig findet, nämlich – an Bescheidenheit. Anderseits aber glauben wir, daß es für den Erfolg seiner Kompositionen nur vortheilhaft war, daß er bis jetzt gezögert hat, sie der Oeffentlichkeit vorzulegen, denn noch vor wenig Jahren würde Hr. Goldmark mit seinen Arbeiten – wir sind dessen überzeugt – eine eclatante Niederlage erlitten haben. So lange ein Verständniß für den kühnen Durchbruch der Schranken für altgewohntes Form- und Harmoniewesen, wie ihn Beethoven in seinen letzten Werken begonnen, Schubert und Schumann weitergebildet haben, nicht angebahnt war; so lange Sinn und Ohr nicht die Fähigkeit gewonnen hatten, rasch wechselnden, scheinbar phantastisch abspringenden Gebilden und Modulationen zu folgen, war kein Terrain vorbereitet, auf welchem Hr. Goldmark Verständniß seiner Leistungen hätte erwarten dürfen. Jetzt ist es anders, und der schöne Erfolg, der ihm zu Theil wurde, für Werke, welche, wie gesagt, vor Kurzem noch im besten Falle verhöhnt, verlacht, als formloses Conglomerat von Mißtönen zurückgewiesen worden wäre, beweist, daß es so ist, beweist, daß man auf dem Gebiete der Musik die Rede- und Handlungsfreiheit vollständig erobert habe, nach der man auf anderen Gebieten noch immer zu ringen gezwungen ist.

Goldmark’s Musik präcis zu charaktensiren ist schwer, hauptsächlich aus dem Grunde, weil sie selbstständig ist. Ohne im Geringsten formlos oder auch nur unbestimmt, schwankend in der Form zu sein, handhabt sie die Formen dennoch mit einer Freiheit, die einen Vergleich mit Bildungen anderer Componisten nicht oder nur selten zuläßt. Man sieht sich somit gezwungen, bezeichnende Puncte aus der Sache selbst hervorzusuchen und festzustellen. Einer der augenfälligsten ist die Behandlung der Harmonie. Es genügt nicht, Hrn. Goldmark als einen kühnen Harmoniker zu bezeichnen, man muß ihm geraden das neue Prädicat eines Enharmonikers verleihen. Seine modulatorische Gewandtheit ist wahrhaft erstaunlich, jeden Augenblick fürchtet man. daß er in ein unentwirrbares Netz von Trugharmonien gerathen werde, und siehe da, er entschlüpft ihm jedesmal mit der Glätte eines Aals. Und bei all dem trifft man nur selten auf Härten, vielmehr wandelt Hr. Goldmark durch diese labyrinthischen Gänge des Quintencirkels mit einer Sicherheit und Geschmeidigkeit, wie wenn es sich um einen Spaziergang zwischen Dreiklang und Dominantaccord der nächstverwandten Tonarten handelte. In dieser Beziehung mögen die vorstehenden Andeutungen genügen, da wir nächstens auf Goldmark’s Kompositionen ohnehin ausführlicher zurückkommen werden, da sie uns, bezüglich ihrer vielfach geglückten Versuche, auf dem noch wenig befahrenen Gebiete der Enharmonik vorwärts zu steuern, allein schon von theoretischer und practischer Wichtigkeit, auch sonst noch einer eingehenden Prüfung würdig dünken. Es sei daher hier im Allgemeinen nur noch gesagt, daß aus Goldmarks Arbeiten ein feiner Sinn, eine große geistige Überlegenheit spricht. Die Haltung ist durchaus edel und vornehm, der Inhalt schwunghaft. Wir würden der Musik Goldmark’s, sie durchaus geistreich nennend, eine nur einseitige Anerkennung spenden; sie ist mehr als dieses, sie hat Charakter. Sie zeigt eine seltene Gestaltungskraft, aus scheinbar unbedeutenden Motiven, reiche Formen zu modelliren, eben so wie einen ausgebildeten Sinn für prägnante, noble Klangwirkung.

Als das vorzüglichste der gehörten Werke müssen wir das von Hrn. Hellmesberger und seinen gewiegten Collegen mit seltener Bravour und Eleganz des Vortrags ausgeführte Streichquartett bezeichnen, das wir demnächst in genauern Betracht ziehen wollen. Hier nur so viel, daß das Interesse von Satz zu Satz ein regeres, und Hr. Goldmark schon nach dem zweiten Satze lebhaft gerufen wurde. Auch über Frln. Bettelheim, welches sechs reizende Klavierstücke Goldmark’s vortrug, wird es uns hoffentlich nächstens vergönnt sein, ausführlicher zu sprechen. Ueber ihr Spiel für jetzt auch nur so viel, daß es den strengsten Anforderungen an Technik und Geschmack volles Genüge leistet. Es ist jenes Spiel, wie es zur charakteristischen Interpretirung Bach’s und Schumann’s gefordert, selten gefunden wird, jenes gedrungene, klare, compacte, anspruchslose, allen Schönthuereien ferne, dafür aber auch durch und durch musikalische, durchgeistigte Spiel, das die glatte Wiener Schule in der Regel nicht cultivirt. Wir begrüßen in Frln. Bettelheim ein seltenes musikalisches Talent und eine Pianistin von großer Zukunft. Es sind dieß – wir wissen es – wenige, aber inhaltsschwere Worte, aber wir sind gewiß, daß sie gerechtfertigt werden.

Zwei Lieder, von Frln. Jaquemar anständig gesungen, und ein Claviertrio von den HH. Epstein, Hellmesberger und Röver vorzüglich gespielt, haben uns im Vergleich zu den vorhergenannten Arbeiten Goldmark’s geringeren Werthes geschienen. Auszunehmen ist dagegen das Andante des Trios (zweiter Satz), das namentlich im Schlüsse von überaus poetischer Stimmung erfüllt ist. Die zahlreiche Zuhörerschaft war sehr animirt. Herr Goldmark, wie auch seine talentvolle Schülerin, Frln. Bettelheim, haben allen Grund, mit den ihnen zu Theil gewordenen lebhaften Auszeichnungen zufrieden zu sein, die sie übrigens vollkommen verdienten. (Blätter für Musik, Theater und Kunst vom 18. Jänner 1861)

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In der vierten Quartett-Soiree des Hrn. Hellmesberger hörten wir gestern ein neues Quartett von Hrn. C. Goldmark, das sich sehr großen Beifalles erfreute. Vor Allem müssen wir sagen, daß der Kompositeur den Quartettisten für die überaus gediegene Ausführung seines von Schwierigkeiten strotzenden Werkes verbunden sein darf. Das Quartett ist nett erfunden, aber der Ideengang entwickelt sich nicht in natürlicher Weise; der Anfang des Adagio ist versprechend und zeigt Empfindung, doch bald verlauft sich der Satz in gesuchten Wendungen. Das Scherzo ist im höchsten Grade bizarr, dabei ohne Humor. Die Ausführung dieses Satzes erfordert eine technische Fertigkeit, wie sie zum Glücke für Herrn Goldmark das Hellmesberger’sche Quartett besitzt. Im Schumann’schen Piano-Quartett, das darauf folgte, spielte Hr. Dunkel den Klavierpart recht brav, ohne sich jedoch zur poetischen Auffassung zu erheben. Den Schluß machte Beethoven’s wunderherrliches B-dur Quartett (Op. 130), das mit weihevoller Virtuosität zu Gehör gebracht wurde. (Fremden-Blatt vom 16. Dezember 1861)

Die letzte (vierte) Hellmesberger’sche Quartett-Soiree dürfen wir um so weniger mit Stillschweigen übergehen, als in derselben ein neues Streichquartett von Goldmark zur Aufführung kam. Wir möchten dasselbe als eine mit Geschick und Fleiß, theilweise mit feinem Sinne ausgeführte Studie bezeichnen, die nur keine entschiedene Wirkung hinterläßt, weil ihr die Spontaneität, der freie Hauch der Natur gebricht. Es zerbröckelt sich alles in eine Menge Details und das Gesammtbild bleibt charakter- und physiognomielos. Das Publikum zeichnete indessen das löbliche und achtungswerthe Streben des Komponisten durch ehrenden Beifall und Hervorruf aus. (Wiener Zeitung vom 19. Dezember 1861)

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In der dritten Hellmesberger’schen Quartettproduction war es hauptsächlich das angekündigte neue Streich-Quintett von Carl Goldmark, welches die Neugierde reizte, da man sowohl im Hinblicke auf sein vor ein paar Jahren gehörtes wirklich bedeutendes Streich-Quartett, so wie auch nach Allem, was über dieses neue Werk so zu sagen aus der Schule geschwatzt wurde, ein nicht alltägliches Prodnct erwartete. In einer Beziehung nämlich, in der eben wörtlich angedeuteten, ist diese Erwartung in der That auch nicht getäuscht worden. Das Werk ist wirklich nicht alltäglichen Schlages, wie denn überhaupt Goldmark ein zu feiner, gebildeter Geist, ein zu anständiger und nach edlen Zielen zu sehr strebender Künstler ist, als daß er es vermöchte, irgend eine Gewöhnlichkeit niederzuschreiben. Selbst der schwächste Satz dieser Novität, das Finale, bewahrt durchwegs eine gewisse distinguirte Haltung, obgleich der Flügelschlag der Phantasie hier, im Vergleich zu den anderen Sätzen, merklich gelähmt erscheint. – Indem wir uns über dieses Quintett ein eingehendes Urtheil vorbehalten, bemerken wir nur noch im Allgemeinen, daß, wie es in Bezug auf die formelle Abrundung gegen frühere Arbeiten einen Fortschritt zu bezeichnen scheint, es, was Bedeutsamkeit des Inhaltes und bestimmte Ausprägung der Individualität anbelangt, das zuvorerwähnte Quartett nicht überall erreichen dürfte. Die Composition, von Hrn. Hellmesberger nnd seinen Genossen HH. Durst, Dobyhal, Röver und Kupfer (beim zweiten Violoncell) auf das allersorgfältigste studiert und auf das vollendetste ausgeführt, fand Beifall und erwarb dem Verfasser die Ehre des Hervorrufes. (Blätter für Musik, Theater und Kunst vom 12. Dezember 1862)

Die Composition von Goldmark ist stimmungsvoll und theilweise auch schön, enthält jedoch viele Stellen, die nicht originell genannt werden können. Die Ausführung war musterhaft. (Das Vaterland vom 16. Dezember 1862)

Ein neues, geistreich und geschickt, nur etwas zu sehr mit Hinblick auf den Effekt gearbeitetes Streichquintett des begabten Komponisten Herrn Goldmark wurde beifällig aufgenommen … (Wiener Zeitung vom 18. Dezember 1862)

Nebst dem Mendelssohn’schen C-moll-Trio kam Schumann’s erstes Streichquartett und ein neues Quintett von Karl Goldmark) zur Ausführung. Herr Goldmark , als tüchtiger Chormeistcr (des »Sion«), als vielseitig gebildeter Musiker und vorzüglicher Lehrer (unter Anderen Fräulein Bettelheim ’s) bekannt, hat sich als Componist bisher der Oeffentlichkeit eher entzogen, als aufgedrängt. Sein neuestes Quintett, das dem Componisten reichlichen Beifall und die Ehre des Hervorrufs eintrug, darf ihn füglich von dem Ungrund dieser Bescheidenheit überzeugen. Eine charaktervolle, würdige, nur vielleicht allzuernste Haltung trägt dies Werk, das von einem energisch strebenden Geist und von tüchtigster musikalischer Technik Zeugniß gibt. Von den vier Sätzen des Quintetts steht der erste auch im Range entschieden voran; er ist am eigenthümlichsten in den Themen, am wirksamsten in der Steigerung, endlich der reichste an geistreichem Detail. Stünden die übrigen Sätze auf gleicher Höhe, man dürfte das Werk ein sehr bedeutendes nennen. Das Adagio, dessen Thema einem Schubertschen Liede ähnelt, ist ein einfacher Gesang voll wehmüthiger Resignation, der, sich bald zu etwas verbissener Leidenschaftlichkeit steigernd, am Schlüsse wieder versöhnt ausklingt. Das Stück ist stimmungsvoll, aber ohne hervorstechende Originalität. Dasselbe möchten wir von dem düster grollenden Scherzo sagen. Der letzte Satz fällt merklich ab; sein Hauptmotiv, im Charakter an die schneidige mißmuthige Lustigkeit des spätern Beethoven erinnernd, ist nicht glücklich gewählt, und auf dem Punkte, wo ein glänzender Aufschwung es retten könnte, setzt sich unerwartet eine Fuge an, deren ernüchternder Einfluß auch dem Totaleindruck des Werkes nachtheilig wird.

Da wir außer dieser Novität so gut wie nichts von Goldmark kennen, so kann unser Urtheil nur ein sehr bedingtes sein. Soviel läßt sich aber mit Zuversicht aus diesem Einen Werke schließen, daß, wenn Goldmark’s melodische Erfindung sich freier entfaltet und seine harmonische Kunst einholt, wir Bedeutendes und Erfreuliches erwarten dürfen. (Eduard Hanslick in: Die Presse vom 18. Dezember 1862)

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Ein neues Streichquartett des eben so strebsamen als geistvollen hiesigen Componisten Goldmark bezeichnet keinen wesentlichen Fortschritt gegenüber Früherem so Hoffnungsvollem gleicher Art und Feder. In seinen ersten drei Sätzen bietet Goldmark’s Werk zwar edles, feinsinnig aber nicht genügend selbstständiges Gedankenleben. Der letzte Satz trägt, bei viel versprechendem Anfange, ein kurzathmig=dünnes, unergiebiges Thema an der Spitze und irrt in mäßiges Schablonisiren ab. (Neue Zeitschrift für Musik vom 10. Juli 1863)

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Die sechste Kammermusik-Soiree Hellmesberger ’s konnte auf den Wortlaut des Titels einer Quartett -Production nur uneigentlich Anspruch erheben, da zwei Trio’s, nämlich das Streich-Trio Beethoven’s in Es, und ein Clavier-Trio von Goldmark, dann das Quintett in A moll, Nr. 12, von Onslow, gemacht wurden. Aeußerlich den meisten Beifall fand das Goldmark’sche Trio, dem indessen, um der Wahrheit die Ehre zu geben, vorzugsweise die Trägerin der Clavierpartie, Frl. Bettelheim, die Bahn brach. Die Komposition, älteren Datums und vor einigen Jahren schon in einem vom Componisten veranstalteten Concerte vorgeführt, hätte ohne diesen beliebten Anwalt die klatschenden Hände schwerlich in dem Maße in Bewegung gesetzt. Außer vielem Gesuchten, Gespreizten und Ungleichen, wo neben forcirtem Genialthun oft unmittelbar Gemeinplätziges danebenläuft, trägt zumal die Unruhe des Modulatorischen dazu bei, diesem Werke keinen reinen Totalgenuß abgewinnen zu können, von so schöner und wirksamer Erfindung auch manche Partien sein mögen. Hr. Goldmark, der sich in seinen spätern Arbeiten in vortheilhafter Weise geklärt hat, gefällt sich hier stark in jenem Aufeinanderthürmen von, sich ihrer Natur nach widersprechenden Accorden, die der selige Oulibischeff Chimären zu nennen pflegt. Es ist auch nicht zu läugnen, daß solche Dinge manchmal ganz infam falsch klingen. Es kommt dabei freilich viel darauf an, ob sie durch die Idee begründet und dadurch entschuldigt werden können. Ob ein jedes dieser Art Vorkommnisse eine solche Rechtfertigung für sich in Anspruch nehmen könne, wird erst dann endgiltig zu beurtheilen sein, wenn das Werk im Drucke erschienen sein wird. Frl. Bettelheim, welche ihre Aufgabe mit offenbarer Vorliebe durchführte, wurde wiederholt gerufen, und an ihrer Hand erschien zuletzt auch der Komponist. (Blätter für Musik, Theater und Kunst vom 12. Jänner 1864)

Von dem hochgeschätzten einheimischen Komponisten und Musiklehrer Herrn C. Goldmark wurde Sonntag Abends im Musikvereinssaale ein neues Tonwerk aufgeführt, welches sich der freundlichsten Aufnahme zu erfreuen hatte. Es war ein Trio (B-dur) für Klavier, Violine und Violoncell. Nach all den bedeutenden und glänzenden Schöpfungen, welche die deutsche Musikliteratur gerade in der einschlägigen Gattung auszuweisen hat, ist es außerordentlich schwierig, ein Werk auf die Beine zu bringen, welches sich neben jenen auch nur einigermaßen zu halten vermöchte. Wenn sich nun reich begnadete und ursprünglich produktiv angelegte Geister wie Schubert und Schumann während des künstlerischen Schaffens solcher Schwierigkeit kaum bewußt werden, weil sie trotz Mozart und Beethoven Eigenes und Eigenthümliches zu sagen haben, so scheint sich dagegen Herrn Goldmark, als ein wesentlich reproduktives Talent, das Schwierige seiner Aufgabe nur allzu lebhaft vergegenwärtigt zu haben. Die Absicht: neu, eigenthümlich, überraschend zu schreiben, schaut fast aus jedem Takte seines Trios heraus und wirkt um so peinlicher, da die Armuth der Erfindung jenem allerdings geistreichen, interessanten und pikanten Tonspiel kein Gegengewicht zu halten vermag. Man findet sämmtliche Allüren der Genialität ohne den Körper derselben. Nimmt man gleich den ersten Satz des Trios, so zeigt sich darin, was Figuration und melodische Erfindung betrifft, der Komponist in Schumann’s Manier dermaßen eingelebt, daß man stellenweise, wie bei dem zusammengewachsenen siamesischen Zwilling, nicht mehr unterscheiden kann, wem von beiden das Herz angehört, aus welchem der Organismus der Komposition gespeist wird.

Freilich überbietet Herr Goldmark sein Musterbild in mancher Beziehung: aber gerade darin zeigt sich der krankhafte Hang nach Originalität, daß er die Lust an frei angeschlagenen Dissonanzen und die Selbstständigkeit der einzelnen Stimmen auf die Spitze treibt. Daß der scharfe musikalische Verstand, wo die künstlerische Grundempfindung fehlt, ein stylvolles Gebilde zu schaffen nicht im Stande sei, beurkundet der getragene Satz des Trios, welcher Chopins Manier zugleich abschwächt und übertreibt, indem er auf Klangeffekte fahndet, deren physischer Reiz über die wahrhaft musikalische Wirkung weit hinauständelt. Am An- und Aufregendsten packt das Scherzo, welches ein interessantes Tanzmotiv durch einen fugirten Satz Spießruthen laufen läßt. Dem Finale ist eine gewisse prickelnde Lebendigkeit nicht abzusprechen; indessen wirkt der kurz abgebrochene Schluß, als ob ein Blitzstrahl ins Wasser schlüge. So hart wir uns übrigens gesprochen haben, so ziehen wir vor dem tüchtigen Tonkünstler und seinem Können schließlich doch den Hut ab. Für sein Werk plaidirten, in der Person seiner Schülerin Frl. Bettelheim , zwei bedeutende Mächte: weibliche Schönheit und eine ungewöhnliche Meisterschaft im Klavierspiel. Nach dem Glück, einen solchen Meister zu haben, ist es das nächste, eine solche Schülerin zu besitzen. (Fremden-Blatt vom 12. Jänner 1864)

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Fünfte Hellmesberger’sche Quartettsoiree

Das hervortretendste Moment der abgelaufenen Concertwoche war der Erfolg eines Wiener Componisten auf dem Felde der Kammermusik. Hr. Goldmark brachte in der letzten Hellmesberger’schen Quartettsoiree eine neue »Suite« für Clavier und Violine, die, von Frl. Bettelheim und Hrn. Hellmesberger auf das geschmackvollste interpretirt, mit einstimmigem Beifall aufgenommen wurde. Das Werk verdient in der That die freudigste Anerkennung. Es gehört den wenigen Producten der Neuzeit an, von denen man sagen kann, es stecke ein gutes Stück Ursprünglichkeit darin. Von einer Suite im historischen Sinne ist hier allerdings nicht entfernt die Rede, weder der formellen Gestaltung noch der Empfindung nach. Der Titel ist in rein sprachlicher Bedeutung zu nehmen, als eine Folge von Tonsätzen, die, von der gebräuchlichen Sonatenform abweichend, diese letztere Bezeichnung nicht gerechtfertigt haben würden. Genau betrachtet, haben die fünf Sätze, aus welchen die Komposition besteht, abgesehen von ihrer größern oder geringern Ausdehnung, die zweiteilige Liedform : bloß das Scherzo stimmt mit der gebräuchlichen Construction überein. Der erste, zweite und vierte Satz sind Stimmungsbilder, und in ihnen hat der Componist sein reiches und originelles Empfinden in wahrhaft schöner Weise niedergelegt. Zumal der zweite Satz (Cis-moll) gehört zu den edelsten und inhaltreichsten Blüthen, die der modernen Tonkunst entsprossen. Die Wirkung dieses aus dumpfem Brüten allmälig zu idealer Verklärung sich aufschwingenden Satzes ist von unwiderstehlicher Gewalt. Das Finale fällt im Vergleiche zu den vorangegangenen reichen Schönheiten etwas ab; es ist mehr nach äußerem Glanz hingearbeitet, wiewohl das eine Art Coda bildende più mosso das Stück in originell reizender Weise abschließt. Der Hauptsache nach ist aber Goldmark’s Suite eine bedeutende Komposition, für die man vollständig eintreten kann, ohne daß man zu besorgen hätte, dementirt ;u werden. Sie ist ursprünglich in der Erfindung, sie hat wirkliche Gedanken, schlanke, concise Formen, sie ist durchaus edel im Ausdruck, sie ist interessant gearbeitet, sie klingt schön, ist klar und verständlich, endlich auch lohnend für die Vortragenden, kurz sie vereinigt alle Eigenschaften, die man an ein bedeutendes Tonwerk stellen darf. Wir beglückwünschen Hrn. Goldmark aufrichtig über diesen so gelungenen Wurf und den damit erzielten, verdienten durchgreifenden Erfolg. Der Componist wurde sowohl nach dem Scherzo wie am Schlusse und zwar wiederholt hervorgerufen, und dürfte aus dem warmen, aus dem Herzen kommenden Beifalle die Ueberzeugung schöpfen, daß er seinen Zuhörern einen wirklichen Kunstgenuß bereitet hatte. Hoffentlich wird dieses schöne Opus nicht lange einen Verleger zu suchen brauchen; daß es, einmal gedruckt, seinen Weg machen werde, ist uns nicht bange. Der Vortrag des Werkes war, wie schon bemerkt, vollständig geeignet, die Reize der Composition nach jeder Richtung zu entfalten. Ueber das feine, echt künstlerische Empfinden Hellmesderger’s, über seine Gabe, den verborgensten Sinn eines Tongedankens zu enträthseln und in glühendster Tonberedsamkeit zu verkünden, sich in Lobeserhebungen noch zu ergehen, ist wohl nicht mehr vonnöthen. Eine wahre Freude hat uns dießmal das Clavierspiel des Frl. Bettelheim gemacht. Abgesehen von der durchgängigen Nettigkeit und Eleganz ihrer Technik, lag in dem Vertrag eine Wärme, Innigkeit und Noblesse, die Frl. Bettelheim einfach auf ihren Gesang zu übertragen brauchte, um die bewundertste Sängerin unserer Zeit zu werden. Wie weit der Componist durch Andeutungen auf diesen Vortrag Einfluß genommen, läßt sich allerdings nicht ermessen; daß ab«r dieser Vortrag seinen Intentionen vollkommen entsprochen haben dürfte, daran ist wohl kaum zu zweifeln. Frl. Bettelheim, welche mit ihrem weichen und doch kräftigen Anschlage dem an sich schon wohltönenden Bösendorfer Flügel eine Fülle anmuthenden Klanges entlockte, wurde für ihre reizende Leistung mit rauschendem Applaus und wiederholtem Hervorruf gelohnt. (Blätter für Musik, Theater und Kunst vom 10. Jänner 1865)

Dieses Stück, in welchem Frl. Bettelheim den Clavierpart übernommen hatte, erfreute sich zwar einer glänzenden Aufführung, aber erwärmen konnte es uns nicht. (Die Debatte vom 14. Jänner 1865)

Der Name dieser Künstlerin führt uns unmittelbar auf die letzte Production des Quartetts Hellmesberger über, denn Fräulein Bettelheim trug in dieser im Vereine mit Herrn Hellmesberger eine äußerst schwierige Suite von Goldmark vor; die Künstlerin entfaltete hier vor uns eine neue Seite ihres künstlerischen Vermögens, und geben wir der Wahrheit die Ehre, sie hat, nach dieser Leistung zu urtheilen, als Pianistin selbst sehr strenge Anforderungen nicht zu scheuen. Fräulein Bettelheim verbindet mit einem energischen, durchaus gleichmäßigen und dabei feinfühligen Anschlage, der den Ton aus dem Instrument zu ziehen weiß, eine glänzende Geläufigkeit, welche überdies in manchen Zügen das Studium Bach’scher Klavierwerke verräth; mit Einem Worte, sie zeigt eine Höhe der Technik, die ich, aufrichtig gestanden, lieber auf ihren Gesaug übertragen sähe. In Betreff der Auffassung könnten wir freilich bei manchen Stellen im vorgetragenen Stücke mit Fräulein Bettelheim nicht ganz einverstanden sein; so viel jedoch steht fest, daß Herr Goldmark die Clavierpartie seiner Suite sehr glücklichen Händen anvertraut hat, und daß die günstige Wirkung des Werkes vornehmlich der Interpretation von Seiten der Künstlerin und dem überaus vollendeten und seelenvollen Spiele Herrn Hellmesberger’s verdankt wurde.

Ueber das Werk selbst möchte vielleicht verschiedenartig geurtheilt werden, je nachdem man die Klangwirkung mehr oder weniger einseitig ins Auge faßt, denn es gehört nicht zu den Compositionen, welche beim ersten Anhören gefällig der Mehrzahl ins Ohr fallen. Jedenfalls muß man der Dichtung das Lob ertheilen, daß sie ernst und ehrlich concipirt und mit gediegener Technik geformt sei.

Diese Seite zieht aber noch in anderer Beziehung unser Interesse auf sich; sie ist das einzige, wenigstens mir bekannte Beispiel in dieser Gattung, in dem die alte Stylweise selbständig in der modernen aufgegangen ist, ohne daß die Erinnerung daran verwischt wird, oder gar der Ausdruck einen affectirtcn Charakter trägt. So entfernt sich der Componist sogar in Hinsicht des äußeren Charakters von den ähnlichen modernen Vorbildern dieser Art; er hält nur die conventionelle Zahl von fünf auf einander folgenden Sätzen fest und verwirft im übrigen die Tanz- und sonstigen Formentypen.

Und er hat ein Recht dazu. Die alte Suite bedurfte deren freilich, denn sie hatte den Zweck, eine Reihe verschiedener Stylbilder vorzuführen. Wir jedoch müssen von dem Standpunkte unserer jetzigen Kunstanschauung aus, gegen eine Collection von zusammengestellten Sätzen protestiren, sobald diese nicht ein fest abgerundetes und individuell ausgeprägtes Stimmungsbild entrollen. Ein solches wollte der Componist in seinem Werke geben und hat es in der That gegeben.

Um es kurz zu sagen, diese Suite ist nicht etwa als eine verkappte Sonate in bizarrer Ausdehnung zu nehmen, sie ist vielmehr nach Form und Melodie die logische Consequenz der figurativen Stylweise Bach’s, und verleugnet diesen Charakter auch nicht in Einem der fünf Sätze; denn nirgends gestaltet sich die als Thema zu Grunde liegende Figur zu einem liedförmigen Satze, sondern spinnt sich in bald preiterer [sic!] bald engerer Anlage mit eiserner Logik nach den Gesetzen des figurativen Styls fort, aus sich allein die Form bestimmend. Die natürliche Folge dieser logischen Consequenz ist freilich eine gewisse Sprödigkeit oder vielmehr Beengtheit der Melodik, welche der kurzsichtige Hörer leicht für einen Mangel an Melodie nehmen dürfte, wie auf der andern Seite die einheitliche Strenge, mit der die eingeschlagene Stimmung von Satz zu Satz fortgeführt wird, eine Monotonie des Ausdrucks erzeugt, welche etwas Hartes, ja Fremdartiges an sich hat. Dies sind jedoch nur die Folgen eines logisch durchgeführten Princips; sie beweisen die Energie des Künstlers und sprechen entschieden für dessen schöpferische Kraft; sie verleihen endlich der Tondichtung selbst den Charakter eines fertigen und selbständigen Wesens, wiewol sie doch nur ein Durchgangswerk sein kann und nichts mehr sein darf.

Am effectvollsten stellten sich bei der Aufführung zweite und namentlich der dritte Satz heraus; der letztere aber deutet gewissermaßen auf die Sonatenform hin, als den Schritt, den der Künstler nun zu thun habe. Dort möchten wir ihn in der That wieder finden, und brauchen nicht hinzuzusetzen, daß wir auf Grund dieses Werks berechtigt sind, unsere Erwartungen über das Gewöhnliche zu steigern. (Eduard Schelle in Die Presse vom 14. Jänner 1865)

Unter dem Eindruck von Schubert ’s Melodienfülle [NB: Streichquartett a-moll] hatte die unmittelbar darauf folgende »Suite für Clavier und Violine“ von Karl Goldmark begreiflicherweise einen schweren Stand. Um so ehrenvoller der Erfolg, den die tüchtige, geistreiche, aber etwas trübe und reflectirte Composition errang. Goldmark’s »Suite« führt diesen Namen nur sehr beiläufig, weder von den alten Charaktertypen dieser Form, noch von Tanzweisen überhaupt ist darin die Rede. Das Stück könnte eher eine Sonate mit eingeschobenem fünften Satz (Intermezzo) genannt werden. Der erste (unseres Erachtens bedeutendste) Satz ist ein rasch und energisch dahinstürmendes Allegro (E-dur, 3/4), der zweite ein breit ausgeführtes Andante in Cis-moll, eine düstere, langgezogene Klage, deren Melodik und Harmonisiruug an orientalische Weisen anklingt. Es folgen zwei kürzere Sätze, ein die Stelle des Scherzo vertretender Dreivierteltact (E-dur) und ein Andantino im Sechsvierteltact (A-dur) beide Nummern mit schönen, gesangvollen Motiven beginnend, die nur leider im Verlauf allzusehr mit jenen unbestimmten, gebrochenen Farben übermalt werden, die seit Schumann stark im Schwange und von Goldmark ganz besonders bevorzugt sind. Der Finalsatz (Cis-moll, Alla breve), dessen etwas zappelnde Regsamkeit mitunter an Mendelssohn’sche Allegros erinnert, schließt das Ganze jedenfalls in effectvoller, die Bravour beider Spieler günstig herausfordernder Weise. Die »Suite« bezeichnet einen unleugbaren Fortschritt gegen Goldmark’s frühere Werke, der Componist hat einen guten Theil seiner früheren Verworrenheit und grübelnden Subjektivität von sich geworfen, er ist klarer, freier, in der Form conciser geworden. Wir hoffen, er werde in dieser Befreiung, besonders nach melodischer Seite hin, noch einen Schritt weiter thun; seine von edelstem, ernstem Sinn getragene Musik wird dann auch der allgemeinen Wirkung nicht entbehren. Die Suite wurde von Fräulein Bettelheim und Herrn Hellmesberger meisterhaft gespielt. Fast that es uns leid, daß Fräulein Bettelheim, die Zierde jeder Operubühne, es »gottlob nicht nöthig« hat, Clavierspielerin zu sein. Keine unserer Pianistinnen (wozu auch mehrere Pianisten gehören) besitzt entfernt diese Kraft des Anschlags, diese rhythmische Energie und Freiheit des Vortrags. Das Publicum schien von dem Spiel Fräulein Bettelheim’s neuerdings überrascht und rief die Künstlerin wiederholt mit Hellmesberger und Goldmark. (Eduard Hanslick in: Neue Freie Presse vom 18. Jänner 1865)

Goldmark‘s in fünf Sätze gegliedertes Werk für Violine und Clavier, Suite benannt (Edur) ist weder eine solche noch eine Sonate im hergebrachten Sinne. Es ist einfach eine Reihe von Stimmungsbildern, die in zweitheiliger Liedform zum Ausdrucke kommen. Nur einer der Mittelsätze entspricht jener Gestaltung, die man gemeinhin mit dem Namen »Scherzo« zu bezeichnen Pflegt. Indeß der Titel thut um so weniger zur Sache, als der Componist wol sein Werk als Ganzes in oben näher bezeichneter Art überschrieben, die einzelnen Sätze desselben aber nur dem Zeitmaße, nicht dem Charakter nach genauer festgestellt hat. Nenne man das Opus einfach »verkappte Programmmusik« oder noch bestimmter »eine Reihefolge aphoristisch neben einandergestellter Stimmmungsbilder mit eingeflochtenem Scherzo«, und man ist seinem Wesen am Nächsten gekommen. Die Hauptsache ist der Inhalt des Werkes und die Art seiner reinmusikalischen und dichterischen Gestaltung. Diese beiden sind aber Zug für Zug urwüchsig. Allerdings gibt das Ganze Zeugniß von tiefen Vorstudien, namentlich Bach’s und Beethoven’s. Allein dem Werke hängt keine Spur des Epigonenhaften an. Gesunde, kernige, langathmige, und – was die Hauptsache – eigene Gedanken kommen da zum Vorscheine. Die formelle Gestaltung wächst hier fast immer nothwendig aus dem reichen Gedanken-Material hervor. Sie ist bei aller wohlthuenden Breite dennoch knapp. Und zwar ist sie dies Letztere wieder im probehaltigen Sinne. Fast an keiner Stelle wird der Componist redselig auf Kosten der inneren Wirkung. Beinahe immer weiß er bald nach dieser bald nach jener Seite bin Spannendes zusagen. Hieraus ergibt sich von selbst das Urtheil über die in diesem Werke niedergelegte harmonisch-rhythmisch-contrapunctische Arbeit. Mannigfaltig sättigend, oft entschieden neu, niemals zur Phrase oder irgendwie zu einem Gemeinplatze flüchtend, giebt sie weder zuviel noch zu wenig und wirkt darum bis zum Schlusse nachhaltig. Unter den vier ersten Sätzen fällt die Wahl schwer. Jeder derselben ist trefflich, weil durchweg innerlich. Der fünfte und letzte Satz ist allerdings mehr ein Außeneffectstück. Auch dürfte hier ein allzu offenkundig an den ersten Satz des Beethovenschen Fdur-Quartettes (Op. 59, Nr. 1) anklingender Theil beirrend auf Reminiscenzenjäger wirken. Hierzu kommt noch eine weit über alles Maß gehende Ausspinnung dieses Satzes. Allein das hier mehr als in allem Vorhergehenden benutzte Element äußerer Wirkung erfüllt seinen Zweck auch durchgreifend, weil die Art feiner Verwendung ebenfalls den charaktervollen, gewandten, feinfühligen und durchgebildeten Musiker bekundet. Im Speciellen sei noch bemerkt, daß die im ganzen Werke herrschende Harmonik viel des Neuen aber durchaus Ungezwungenen, an kein bestimmtes Vorbild Gelehnten bringt. Dasselbe gilt von den Themen und von ihrer sehr mannigfachen rhythmischen Gestaltungsweise. Der Contrapunct ist, mit etwaiger Ausnahme des letzten Satzes, wo er an einigen Stellen unfrei, langgestreckt und wenngleich immer sinnig doch lediglich gemacht auftritt, sonst fließend und wie alles Andere vom Geiste, nicht blos von formellen Satzungen dictirt, daher lebensfrisch und somit zugleich Zeugniß ablegend von den wahrhaft gründlichen Studien seines Autors. (Neue Zeitschrift für Musik vom 31. März 1865)