Budapester Fantasie
Wie es zur Wiener Uraufführung der »Königin von Saba« kam
»Eine bedeutungslose Arbeit«, sagte Direktor Herbeck …
Von den Verwandten Goldmarks lebt in Budapest der Oberregisseur der Budapester Staatsoper Friedrich Ferenczy, der auch der Hüter des auf das Leben und Wirken Karl Goldmarks bezüglichen Materials ist. Ueber die Geschichte der Uraufführung der »Königin von Saba« an der Wiener Hofoper befragt, erzählt Ferenczy:
»Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Uraufführung der ›Königin von Saba“‹ohne das Dazwischentreten der schönen Frau v. Gomperz nicht erfolgt wäre. Sieben Jahre lang lag das Gesamtwerk in einer Schublade der Direktion der Wiener Hofoper, ohne auch nur einer Durchsicht gewürdigt zu werden. Frau v. Gomperz, die Gattin des bekannten Bankiers, eine geborne Bettelheim, war in Oedenburg eine Schülerin meines Onkels gewesen. Goldmark nahm nun ihre Protektion in Anspruch, um wenigstens eine Durchsicht seiner Komposition bei der Direktion der Wiener Hofoper zu erwirken. An einem der berühmten Empfänge in ihrem Salon überreichte Frau Gomperz-Bettelheim dem anwesenden Franz Liszt den Einzugsmarsch aus der ›Königin von Saba‹ mit der Bitte um sein Urteil. LIeszt spielte sofort vom Blatt den Marsch und begann sich nachdrücklich für den Komponisten zu interessieren.
›Wenn die Oper nur halb so gut ist wie dieser Marsch, wird ihr Komponist mit ihr große Erfolge ernten‹, prophezeite Franz Liszt.
Am nächsten Tage schon suchte Liszt den Intendanten der Hofoper Fürsten Hohenlohe auf, erzählte ihm die Geschichte der Partitur, auf die er die Aufmerksamkeit des Intendanten zu lenken wünsche. Fürst Hohenlohe ließ den Direktor Johann Herbeck sofort zu sich kommen und fragte ihn, welche Bewandtnis es eigentlich mit jener Oper habe, welche seit sieben Jahren im Fache des Direktors verwahrt liege, ohne auch nur durchgesehen worden zu sein. Herbeck antwortete verlegen:
›Eine ganz bedeutungslose Arbeit. Man hat nichts verloren.‹
›Das werde ich entscheiden‹, erwiderte der Intendant scharf.
Nun wurde Goldmark eingeladen. Die ganze Partitur wurde von dem damaligen Korrepetitor der Oper Hans Richter durchgespielt. Fürst Hohenlohe war von der Musik der ›Königin von Saba‹ so entzückt, daß er die Partitur dem anwesenden Direktor mit der Bemerkung übergab, die Uraufführung der ›Königin von Saba‹ habe in spätestens sechs Wochen stattzufinden.
Nun wurde mit Volldampf an der Vorbereitung der Premiere gearbeitet. Die Frist von sechs Wochen hatte sich jedoch als zu kurz erwiesen. Am Ende der fünften Woche ging es mit den Proben noch immer so schlecht, daß Goldmark bei einer solchen Probe vor Aufregung in Ohnmacht fiel. Frau Wild, die Darstellerin der Sulamith, hatte sich wenige Tage vor der Uraufführung krank gemeldet. Die Premiere mußte um acht Tage verschoben werden. Acht Tage später erkrankte die berühmte Sängerin Josefine Materna, die die Titelrolle innehatte. Abermals mußte die Uraufführung um acht Tage verschoben werden, aber dann, als der Termin endlich gekommen war, hatte die Oper einen durchschlagenden Erfolg.
Sämmtliche Mitglieder der Familie waren nach Wien zur ersten Vorstellung der ›Königin von Saba‹ gereist. Bloß zwei blieben zurück. Meine Großmutter, die Mutter Karl Goldmarks, und ich. Ich war damals sieben Jahre alt und ich kann es nie vergessen, mit welcher Aufregung man das Telegramm erwartete, in dem über den Verlauf des Abends in der Wiener Hofoper berichtet werden sollte. Nach elf Uhr nachts endlich kam das Telegramm. Meine Großmutter war schon zu alt, das Augenlicht sehr geschwächt und ich hatte, obgleich ich schon gut lesen konnte, nicht das Vertrauen der Großmutter, ob ich ihr auch den Inhalt des Telegramms getreulich wiedergeben würde. Wir liefen deshalb zu einer guten Nachbarin, es war die Schwester Ludwig Kossuths, Frau Luise Meszlenyi, die wir baten, der Großmutter das Telegramm vorzulesen. Es lautete:
»Großer Erfolg, nach dem ersten Akt siebzehnmal gerufen. Mit Gruß Karl.«
Bei der zweiten Aufführung saß Kaiser Franz Josef in der Kaiserloge. Ein Jahr später fand im Budapester Nationaltheater die Erstaufführung der Oper statt. Zu dieser konnte auch die achtzigjährige Mutter des Komponisten erscheinen. Goldmark war bekanntlich der Sohn des Kantors von Deutschkreuz, dessen Sabbat- und Festtagsmelodien nicht ohne Einfluß auf die Komposition der ›Königin von Saba‹ geblieben waren. Andächtig lauschte die Greisin der Musik ihres Sohnes, die sie zu Tränen rührte und ihr die Bemerkung entlockte: ›Mir ist es, als hörte ich wieder meinen guten Simche Ruben singen! Was gäbe ich, wenn auch er jetzt neben mir säße!‹ Während einer Pause erschien der Intendant der Budapester Oper Baron Friedrich Podmaniczky in der Loge der Kantorswitwe, küßte ihr die Hand und brachte gerührt seine Glückwünsche zu dem ungeheuren Erfolg ihres Sohnes zum Ausdruck.« f —bus. (Neues Wiener Journal vom 12. Februar 1930)
(Die Wiener Uraufführung der »Königin von Saba«.)
Unter diesem Titel erschien vor kurzer Zeit eine aus Budapest stammende Meldung im »Neuen Wiener Journal«, die, wie man uns von wohlinformierter Seite aufmerksam macht, durchaus nicht den Tatsachen entspricht. In jenem Aufsatz hieß cs, daß der Oberregisseur der Budapester Staatsoper, ein Verwandter des Komponisten Goldmark, der Hüter des auf das Leben und Wirken des Komponisten bezüglichen Materials sei. In Wirklichkeit behütet dieses Material die Tochter des verstorbenen Komponisten, Frau Professor Ernst Hegenbarth. Die Einzelheiten, die über die Uraufführung der »Königin von Saba« erzählt wurden, sind durchweg unrichtig, in allererster Reihe die Behauptung, daß die einstige Sängerin Gomperz-Bettelheim das erste Opernwcrk Goldmarks an die Wiener Hofoper gebracht hat. Diese Dame, später die Gattin des Großindustriellen Julius v. Gomperz, war auch niemals in Oedenburg Schülerin Goldmarks gewesen, sondern in Wien, und hatte mit der ganzen Sache niemals das geringste zu tun. Ebenso ist es unrichtig, daß der damalige Direktor Herbeck das Werk für eine bedeutungslose Arbeit erklärt hätte, und unrichtig sind alle anderen in jenem Aufsatz an diese Behauptung geknüpften weiteren Behauptungen. Goldmark hat selbst in seinen Erinnerungen ganz genau erzählt, wie sein Werk nach jahrelangem Warten endlich doch in der Hofoper aufgeführt wurde, überdies wurde dies selbst im »Reuen Wiener Journal« schon einigemal von berufener Seite genauestens mitgeteilt. Die direkten Erben Karl Goldmarks legen Wert auf diese Feststellungen, um die Legendenbildung zu verhindern. (Neues Wiener Journal vom 8. März 1930)