Fünfzig Jahre »Königin von Saba«.

Fünfzig Jahre »Königin von Saba«.

Ein Opernjubiläum.
Von Ludwig Karpath

Vor fünfzig Jahren, am 10. März, fand die Uraufführung von Karl Goldmarks Erstlingsoper »Die Königin von Saba« im Wiener Hofoperntheater statt. Obzwar schon nach der Generalprobe tüchtig gestrichen wurde, dauerte die Aufführung immer noch viereinhalb Stunden, daher in der zweiten Ausführung, die schon am nächsten Tag stattfand, resolut ein ganzer Akt (»Im Kerker«) geopfert wurde. Der Premiere wohnte Kaiser Franz Josef bei; er blieb vom ersten bis zum letzten Ton im Hause, hatte er doch allerlei über das Schicksal dieses Werkes vernommen, und zwar von seinem ersten Obersthofmeister, dem Fürsten Konstantin Hohenlohe, der aus Gründen, über die noch zu sprechen sein wird, mit äußerster Spannung dem Verlauf der Vorstellung gefolgt war. Die Aufnahme der Oper war sensationell, Beifallsstürme seltenster Art durchbrausten das gänzlich ausverkaufte Haus, der Komponist – schon 45 Jahre alt – mußte ungezählte Male vor der Rampe erscheinen. Nachher gab es eine Siegesfeier im sogenannten Künstlerkeller des Grand Hotel, wo Mosenthal, der Librettist der »Königin von Saba«, das Präsidium über eine auserlesene Künstlergesellschaft, der auch Brahms zugehörte, innehatte.

Heinrich Laube wurde aufgefordert, den erfolggekrönten Komponisten zu begrüßen, er tat dies in einer wohlgelungenen Rede, als er aber zum Schlusse gelangte, wußte er nicht – den Namen des zu Feiernden. Große Heiterkeit.

Es war der Erfolg, den die beharrlich leeren Kassen des Operntheaters dringend brauchten, die neue Oper wurde ein glänzendes Repertoirestück und wurde Jahrzehnte hindurch als der einzige nachwagnerische Erfolg eines deutschen Komponisten gewertet. Mit Ausnahme des Salomonischen Tempels – dieser fand sich eben nicht im Fundus – gab es keine einzige neue Dekoration, kaum das eine oder das andere neue Kostüm. Um nur aufgeführt zu werden, verzichtete Goldmark von vornherein auf jede Neuanschaffung in dieser Ausstattungsoper par exellence, er blieb nur in einem unerbittlich: die besten Sänger mußten ihm zur Verfügung gestellt werden. Die Materna in der Titelrolle (die für Karoline Bettelheim geschrieben war), Marie Wilt als Sulamith (für die die Rolle geschrieben war), Gustav Walter als Assad, Johann Nepomuk Beck als König Salomo und Rokitansky als Hohepriester, ein besseres Ensemble war allerdings nicht aufzutreiben. Schon die erste Szene Sulamiths (»Der Freund ist dein!«) fand frenetischen Beifall. Die hiezu notwendige Harfenbegleitung – sie wird heute im Orchester gespielt und von den Jungfrauen Sulamiths nur markiert – wurde in dieser ersten Aufführung tatsächlich ausgeführt, und zwar von sechs oder acht Schülerinnen des Konservatoriums, die rechts und links von der Bühne, hart an den rechten und linken Kulissen placiert waren. Diesen Luxus allerdings hat die Hofoper schon nach einigen Ausführungen aufgegeben. Er war ja auch überflüssig. Am Dirigentenpult saß ein junger Dirigent, Wilhelm Gericke, später berühmt als Leiter der Bostoner Symphoniekonzerte, ein ausgezeichneter Musiker und Mensch, der nahezu achtzigjährig, still und bescheiden nunmehr seit Jahren in selbsterwählter Einsamkeit in Wien seinen Lebensabend verbringt.

Die Schicksale der »Königin von Saba« sind mannigfaltig und vielverschlungen. Karoline Bettelheim, spätere Frau v. Gomperz, als bejahrte Dame, aber körperlich und geistig frisch noch unter uns weilend, die erste Selika in der »Afrikanerin«, Goldmarks Schülerin und später seine unzertrennliche Freundin, gab indirekt den ersten Anstoß zur Komposition der »Königin von Saba«. »Die reine Königin von Saba«, bemerkte einmal Oberregisseur Schober, als er auf der Bühne der Hofoper das rassig schöne Mädchen sah. Er dachte offenbar an die Porträtähnlichkeit des bekannten Stiches »Die Königin von Saba« des französischen Malers Chopin. Das war der langgesuchte Opernstoff. Goldmark selbst entwarf eine Skizze, die im wesentlichen den Inhalt des erst zu schaffenden Librettos enthielt. Ein junger Mediziner, namens Klein, versuchte sich als Buchmacher, aber mit solchem Mißerfolg, daß Goldmark die Lust verging, sich mit der Sache weiter zu beschäftigen. Da traf er einmal, es war im Jahre 1866, Mosenthal auf der Straße, der ihn fragte: »Hätten Sie nicht Lust, eine Oper zu schreiben?« Schon war die Sache abgemacht. Mosenthal, Regierungsrat und Bibliothekar im Unterrichtsministerium, war damals in Wien einer der angesehensten Schriftsteller. Seine »Debora« war ein Zugstück des Burgtheaters. Von ihm stammte auch das Textbuch zu Nicolais Oper »Die lustigen Weiber von Windsor«. Ein Zusammenarbeiten mit diesem Manne bedeutete also für Goldmark einen Haupttreffer. Goldmark übergab Mosenthal sein Szenarium, das der Dichter, wie schon bemerkt, im wesentlichen beibehielt. Goldmark war bekanntlich Autodidakt, er hatte bis dahin kaum einen Chorsatz, bloß einige Lieder, allerdings schon einige Orchester- und Kammermusikwerke geschrieben. »Es war der größte Wagemut«, sagte er mir einmal, »daß ich mich an diese Arbeit heranmachte. Ich war ganz ahnungslos, ich tappte im Finstern herum, komponierte drauf los wie ein Wilder und habe sowohl den ersten wie den zweiten Akt zweimal komponiert. Es dauerte sieben Jahre, ehe die Oper fertig wurde.« Allerdings sind die Wintermonate wegzurechnen, denn in diesen mußte Goldmark Klavierstunden geben, um von ärgster Not befreit zu sein.

Endlich, Ende 1872, war die Oper fertig und Goldmark reichte sie bei der Wiener Hofoper ein. Goldmark schreibt darüber in seinen Memoiren: »O Schmerzenszeit! Wenn ich heute daran denke, überläuft’s mich noch heiß und kalt. Ich stand vor einer dreifachen Mauer: Herbeck, Hanslick und Speidel. Und Herbeck war nun Direktor der Hofoper! Es war etwas Bitter-Komisches für mich, als ich in dem Buche des Sohnes Herbecks las, das dieser über den Vater schrieb, es wäre das ausschließliche Verdienst Herbecks, daß er – gegen den Intenda[n]ten – das Werk auf die Bühne brachte. Herbeck war mir feindlich gesinnt schon von der Zeit her, wo wir uns mit unseren Streichquartetten bei Hellmesberger auf die Füße traten. Eine Reihe erfolgreicher Aufführungen (Streichquartett, Quintett, Suite, Scherzo, »Sakuntala«) verschärften noch diesen Zustand. Die zweite Mauer war Speidel, der mächtige Musikreferent des »Fremdenblattes«, der als Intimus Herbecks für ihn durchs Feuer ging und von dem er einmal schrieb, er sei der echte Erbe Beethovens (!), der mich schon von meinem ersten Erscheinen auf der Bildfläche aufs heftigste angriff und kontinuierlich verfolgte.«

In einem rührenden Brief bat nun Goldmark Herrn Hofrat Hanslick, den allmächtigen Kritiker, um seine Unterstützung. Diese ist ausgeblieben. Kapellmeister Dessoff, der gerade die Wiener Hofoper verließ, unterstützte noch das Gesuch des ihm sympathischen Komponisten, allein vergebens, Herbeck, der Direktor der Hofoper, wollte nicht anbeißen. So behauptete wenigstens Goldmark. Das Gegenteil berichtet uns Ludwig Herbeck in der von ihm verfaßten Biographie seines Vaters, die, beiläufig bemerkt, auch heute noch überaus lesenswert ist. Der Intendant der Hoftheater war damals Graf Wrbna. Nach dem Bericht Ludwig Herbecks entspann sich zwischen dem Grafen und dem Direktor Herbeck folgendes Zwiegespräch:

»Exzellenz, ich schlage vor, die ›Königin von Saba‹ von Goldmark aufzuführen.«
»Lieber Direktor! Können Sie mir garantieren, daß diese Oper sich am Repertoire erhält?«
Herbeck (lachend): »Eure Exzellenz, der Musiker muß erst geboren werden, der so etwas prophezeien kann.,«
»Aber ich bitt’ Sie, die ›Genoveva‹, die sich nicht halten wird.« (Anspielung auf die soeben durchgefallene, einzige Oper von Robert Schumann. Anm. d. Verf.)
Herbeck, einfallend: »Wer weiß.«
Graf: » … dann wieder so a Oper, na na, nur ka zweite russische Oper.« (Anspielung auf die furchtbar durchgefallene Oper »Feramors« von Rubinstein. Anm. d. Verf.)

Es wird sich wohl nie mehr feststellen lassen, wer hier im Recht ist, Goldmark oder Herbecks Sohn. Goldmark war überaus mißtrauisch und bildete sich leicht eine Gegnerschaft ein. Er nahm oft den Schein für die Wirklichkeit und gelangte dann zu falschen Schlüssen. Zweifellos dürfte Herbeck durch verschiedene Handlungen oder besser gesagt Unterlassungen die bösen Ahnungen Goldmarks gefördert haben. Tatsache ist, daß die Partitur der »Königin von Saba« im Archiv der Hofoper schlummerte, dafür aber die von niemandem protegierte Oper »Der Widerspenstigen Zähmung« des gänzlich unbekannten deutschen Komponisten Hermann Götz zur Aufführung gelangte. Tatsache ist, daß Mosenthal eines Abends mit den Worten an Goldmark herantrat: »Die Stimmen der Oper sind bereits ausgeteilt.« – »Wirklich?« war die freudige Antwort. – »Ja,« erwiderte Mosenthal, »die Stimmen sind ausgeteilt aber zur ›Aida‹.« Schmerzlich bewegt ruft Goldmark aus: »Und man gab die ›Aida‹, von deren Existenz ich kaum wußte, und nahm mir damit das damals neue orientalische Kolorit im vorhinein weg.«

Bald darauf schrieb Speidel im »Fremdenblatt«: »Man gebe endlich diese ›Königin von Saba‹, es gibt keine verkannten Genies!« Aber die Oper wurde noch immer nicht gegeben. Der damalige Minister des Aeußern war Graf Julius Andrassy, ein Landsmann Goldmarks, der aus dem damals noch Ungarn zugehörigen Burgenland stammte, sich freilich als deutscher Komponist fühlte. Freunde hatten auch die Hilfe des Grafen angerufen, ebenfalls vergebens. Nun kam ein Zufall zu Hilfe. Franz Liszt spielte im großen Musikvereinssaal zugunsten der Armen Wiens. Goldmark selbst muß zugeben, daß Herbeck vorschlug, in diesem Konzert den Einzugsmarsch aus der »Königin von Saba« aufzuführen. Das Stück zündete. Liszt beglückwünschte Goldmark coram publico. Nun begann der Obersthofmeister Fürst Hohenlohe sich für Goldmark zu interessieren. Mehr noch allerdings die Fürstin, die dann stark hinter den Dingen war. Freunde Goldmarks sprachen dem fürstlichen Paar von dem Widerstand Herbecks. Die Kassen der Hofoper waren ständig leer, der Fürst gereizt, daher sein Ausspruch: »Es kostet ihm (Herbeck) den Kragen, wenn er die Oper nicht gibt,« nicht verwunderlich ist. Nun wurde das Werk endlich angenommen, mit den Proben begonnen. Goldmark kann nicht umhin festzustellen, daß Herbeck während der Proben Feuer und Flamme wurde. Nun tat er alles, um dem Werk zum Erfolg zu verhelfen. Eine böse Generalprobe. Nichts wollte gelingen, alles versagte. Die Probe dauerte bis Mitternacht. Fürst Hohenlohe beschied Goldmark in seine Loge und empfing ihn mit den Worten: »Um Gottes willen, es muß viel gestrichen werden, diese Länge ist unmöglich.« Herbeck, Mosenthal und Gericke gingen nun in den Probesaal, um zu streichen. Aber todmüde wie sie alle waren, wußte keiner, wo anzufangen. So gingen denn die drei Herren ins Restaurant, wo Goldmark ohnmächtig zusammenstürzte. Am nächsten Morgen meldete sich Frau Wilt krank. Die Premiere mußte um acht Tage verschoben werden, da konnten denn alle Striche in Ruhe durchgeführt werden. Einen Abend vor der Premiere saßen Goldmark, Billroth und Brahms im Café Heinrichhof gegenüber dem Operntheater. »Ach was,« sagte Brahms, »die ersten Hunde ertränkt man!« Ein recht tröstlicher Ausspruch für den ohnedies zerknirschten Komponisten. Der glänzende Erfolg am Premierenabend ließ Goldmark gut schlafen. Aber die Referate am nächsten Morgen! »Spott, Lüge. Hohn! Hanslick und Speidel überboten sich an Heftigkeit. Hanslick hat sein Urteil später wesentlich abgeschwächt und. gelegentlich der hundertsten Aufführung der ›Königin von Saba‹ in der Hofoper sogar einen glänzenden Artikel geschrieben.« So zu lesen in Goldmarks Erinnerungen. Es wäre nur noch kurz zu sagen, daß die Oper über alle großen Bühnen der Welt, mit Ausnahme Frankreichs, gegangen war, wo ihr die gleichnamige Oper von Gounod (Le [!] reine de Saba, schon 1862 aufgeführt) im Wege stand. Direktor Schalk gedenkt, wie ich höre, das fünfzigjährige Jubiläum der »Königin von Saba« am Jahrestage, das ist also am 10. März, mit einer festlichen Aufführung des Werkes zu feiern. Sollte da nicht wieder die ganz grundlos verschwundene Nachtmusik vor dem zweiten Akt, ein Bravourstück des Orchesters, eingefügt werden? Auch eine stärkere Besetzung der Streicher wäre nötig, um den pompösen Glanz des Werkes ganz herauszuholen. Zumindest in der Jubiläumsvorstellung. (Neues Wiener Journal vom 1. März 1925)