Pester Lloyd vom 10. Januar 1915

Persönliche Erinnerungen August Beers an
Karl Goldmark
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Zwischen den beiden Toten des ungarischen Musiklebens haben persönliche Beziehungen bestanden, deren Spuren sich in den nachgelassenen Aufzeichnungen unseres dahingegangenen Freundes und Kollegen August Beer vorfinden. Ein Neffe des Verstorbenen stellt uns die hier folgende Skizze eines Besuches seines Oheims bei Karl Goldmark freundlich zur Verfügung^

7. Mai 1903. Besuch bei Goldmark.
»Hungaria«, Zimmer Nr. 117, ersten Kock, 9 1/2 Uhr vormittags. Noch nicht aufgeräumt. Meister in bequemem Haushabit, kurzer Hausrock aus festem, derbem Stoff. Weiße Haarsträhne um beide Schläfen. Etwas Ehrwürdiges. Gute Farbe, doch etwas ermüdet. Er sagte selbst, daß er von dem Bankett der Philh. ermüdet sei, nicht ausgeschlafen, da er stets schon um 7 Uhr aufsteht, wenn er auch spät ins Bett geht! Er geht nur auf eine Woche nach Wien zurück, dann mit Familie nach seinem Gmunden.

Als ich sagte, daß der Ausdruck »rhapsodisch«, den einzelne Kritiken auf seinen »Zrinyi« anwenden, nicht zutrifft, stimmte er lebhaft bei und meinte, man müsse das Stück wiederholt hören, um die thematischen Beziehungen zu erkennen. Die Themen wiederholen sich, werden ausgeführt.

Er meinte: Wagner hat mich regeneriert in der Musik, aber man kann ihn nicht nachahmen. Er hat die Deklamation genial behandelt; nur ihm ist dieser Wurf gelungen. Bei anderen fühlt man nur die bloße Kopie. Melodie wird immer Seele der Musik bleiben, sagte ich, und er stimmte voll bei. Wenn auch nicht Melodie in Bellinischem Sinne. Er bringt als Beispiel Nr. 4 in Cis-Moll aus Schuberts Moments musicals: Wieviel Melodie ist doch in diesem rasch bewegten Sechzehntel-Satz! Wie man das auch nicht nachmachen kann. Er hat aber immer melodische Seele. Es muß in der Musik immer ein Etwas sein, wie es Schumann in seiner Phantasie opus 17 im Motto andeutet mit dem Schlegelschen Verse: »Durch alle Töne tönet … ein leiser Ton gezogen …«

Gloldmark sagte: Er sei gar nicht müde und es treibe ihn immer wieder, zu komponieren. Wenn er einen dramatischen Stoff erhält, der ihm zusagt, wird er wieder eine Oper schreiben. Es hängt davon ab, daß ihm sozusagen erstens der lokale Ton paßt, das Milieu, zweitens der dramatische Inhalt. Es ist schwer, etwas Passendes zu finden, es hat seine liebe Not mit guten Libretti. Sollte er keines finden, so wird er zu seiner Kammermusik zurückkehren, denn die Stimmung, zu komponieren, treibt ihn dann, sich durch Schreiben seinen inneren Drang zu befriedigen. Dieser stellt sich manchmal monatelang nicht ein, ist er aber da, muß er ihn sich von der Seele schreiben.

Er sagte: Daß der »Götz« in Wien zurückgewiesen wurde, hat dem Werke sehr geschadet. Nun aber wird es in nächster Saison doch in Wien gehen und dann, wenn es hoffentlich gefällt, seinen Weg über alle großen deutschen Bühnen, wie Berlin, Dresden, München machen.

Er war voll rührender Teilnahme für mein krankes Auge, interessierte sich sehr für die Natur des Leidens und suchte mir Trost zuzusprechen. Bedauerte sehr, mich nicht in meiner Wohnung angetroffen zu haben – »seinen lieben alten Freund Beer« …

(Pester Lloyd vom 10. Januar 1915)