Goldmark: Österreichs Illustrierte Zeitung vom 10. Januar 1915

Goldmark: Österreichs Illustrierte Zeitung vom 10. Januar 1915

Karl Goldmark.
(Gestorben am 2. Jänner 1915.)
Von Hofrat Constantin Danhelovsky.

(Mit Porträt auf Seite 348.)
Mit dem Heimgange des 84jährigen Karl Goldmark schwindet uns ein Komponist dahin, der durch seine ursprüngliche Begabung zu Weltruhm gelangt und auf dem musikalischen Parnasse einen Platz von Rang und Ansehen einnimmt. Sein Ausspruch: »Vorangehen konnte ich nicht, mitgehen wollt‘ ich nicht, so ging ich allein«, erinnert in seiner Verquickung von Bescheidenheit und Selbstbewußtsein an die Rohansche Devise: »Roi ne puis, Duc ne daigne, Rohan suis«. In der Tat wird die Musikkritik – durch den Tod des Meisters auf die Warte sachlicher Unbefangenheit gehoben – diesem Ausspruche schon deshalb zustimmen müssen, weil Goldmarks musikalischer Stil von manchen Mängeln abgesehen, durchaus eigenartig, selbständig ist und nicht einmal seinem Gesamtcharakter nach auf fremde Vorbilder hinweist. Selbst die alles mitreißende Urgewalt des Richard Wagnerschen Musikdramas war nicht imstande, Goldmarks Schaffen zu beeinflussen. Erwägt man, daß die Jugend- und Manneszeit des am 18. Mai I830 in Keßthely (Ungarn) geborenen Goldmark in die Epoche fällt, wo der reformierende Feuergeist Wagners bereits jeden Komponisten unbewußt und unweigerlich in seinen Bann schlug, so ist es doppelt verwunderlich, daß Goldmarks Eigenart – ähnlich wie jene Brahms – von Wagners Methode – die ersten Opuszahlen Goldmarks seien hier ausgenommen— völlig unberührt blieb. Goldmarks Konzertouvertüre »Sakuntala« (1865), seine Oper »Die Königin von Saba« (1875) sind treffende Beispiele für diese Unbeeinflußtheit und wohl die Marksteine seines musikalischen Hervorbringens, dessen zumeist orientalisierender Kern sich dem Hörer stets in der modernen Hülle eines auch musiktechnisch fesselnden Tonstückes offenbart. Ja in gewisser Richtung muß dem dahingeschiedenen Tonsetzer zugebilligt werden, daß er ganz neue Klänge anschlug, in seiner Chromatik die seit Chopin eingeführte Emanzipation der Halbtöne weiter entwickelte und auf solche Art aus seinem Orchester überraschende Wirkungen hervorzauberte. Wie kunstvoll und doch so selbstverständlich durchranken sich beispielsweise in der schon erwähnten »Sakuntala« die zwei triolenreichen Melodien! Darin liegt ein großer Zug, eine Erfindung von weitem Wurf des Themas, die sonst bei Goldmark nicht allzu häufig vorkommt. And das zweite Finale der »Königin von Saba«, welch künstlerisches Ineinanderströmen von Szenarium und Musik stellt es dar! Man vergißt dabei die oft nicht gerade vorteilhafte Salbung und Ruhelosigkeit, die dieser oft an die Schmerzensausbrüche geknechteter Makkabäer erinnernden Musik anhaften. Daß man Goldmarks Tonschöpfungen anfangs als »winslerisch« oder »dissonanzenreich« bezeichnet hat, ist ein Vorwurf, der angesichts der später aufgetauchten orchestralen Steppenreiterei neuerer Komponisten nahezu wirkungslos ward.

Es mangelt leider an Raum, um hier Goldmarks Lebensgang eingehend zu besprechen. Nur kurz mag erwähnt sein, daß er schon als achtjähriger Knabe als Violinist konzertierte, dann von 1844 an in Wien bei Jansa, Böhm und Domkapellmeister Preyer Musikstudien betrieb. Nachdem er sich als Klavierlehrer kärglich durchgebracht hatte, nahm er in den 1850er Jahren im Josefstädter-, später im Carl-Theater die Stelle eines Orchesterviolinisten an. Dort mußte er tagtäglich die seichten Couplets und all die übrigen männermordenden Blödsinnigkeiten begleiten, die vom Munde der damaligen Bühnenlieblinge Wiens erschollen. Welch ein Gegensatz zwischen dem Pensum des bezahlten Mußgeigers und dem still aufknospenden Schaffensdrang in der Seele des nachmaligen Tonmeisters! Aber durch Nacht zum Licht, vom Orchesterpult des Vorstadttheaters hinan zu den Höhen der Berühmtheit, so lautete eine Stelle im Buche seines Schicksals. Von Goldmarks anderen Werken seien noch erwähnt die Opern »Merlin« (Wien I886), – später umgearbeitet – »Das Heimchen am Herd« (Wien 1896), »Die Kriegsgefangene« (Wien 1899), die sich trotz brillanter Leistungen Theodor Reichmanns und der Renard nickt behaupten konnte. Dann kam »Götz von Berlichingen« (Budapest 1902), »Ein Wintermärchen« (Wien 1908), ferner nebst Ouvertüren (»Penthesilea«, »Prometheus«,»Sappho«), Symphonien und symphonischen Dichtungen, dann gediegenen Kammermusikwerken auch einige Kompositionen für Chor und überdies noch mehrere Klavierstücke.

Im Ganzen erblicken wir in Goldmark einen hervorragenden, bis zur äußersten Lebensgrenze schaffensfreudigen und fähigen Meister, einen feinen Charakterkopf, über dessen Bedeutung – frei nach Heine – das Wort anwendbar ist: Nennt man die Namen der allerbesten Wiener Komponisten, so wird auch der seine genannt!
(Österreichs Illustrierte Zeitung vom 10. Jänner 1915)