Neue Freie Presse vom 2. März 1915
[Philharmonisches Konzert.] Drei Kompositionen Goldmarks auf dem scharzumränderten Programm wiesen auf eine Gedenkfeier der Philharmoniker, würdig des Meisters, würdig ihrer selbst. Dankten sich doch beide, Orchester und Komponist, an vierzig Jahre verbunden, gegenseitig die schönsten Erfolge. Kein erhebliches Orchesterwerk Goldmarks blieb in den Philharmonischen Konzerten vorenthalten, gar manches erklang hier zum allererstenmal. Unwillkürlich dachte und schrieb der Wiener Komponist für das Wiener Orchester, für den Zauber seiner Streicher, für die Energie seiner Bläser; und Streicher und Bläser revanchierten sich. Es ist 35 Jahre her, daß derart die Ouvertüre zu Kleists »Penthesilea« aus der Taufe gehoben wurde. Das Werk rief damals durch seinen »dissonanten« Anfang, wie durch die schildernde Tendenz, in der es befangen schien, Befremden hervor. Drei eintretende Vierklänge zu Anfang! Als ob man einen Satz mit »Nichtsdestoweniger« beginnen wollte, meinte Hanslick geistvoll in einem ähnlichen Falle. Allein, heute schreibt man tatsächlich solche Sätze, ja es gibt welche, die nur aus einem solchen »Nichtsdestoweniger« bestehen. Aeltere Theoretiker kreideten es noch dem in Dingen der Harmonie sonst so unbescholtenen Auber an, daß er die Ouvertüre zur »Stummen« mit einem verminderten Septakkord einsetzen ließ. Neueste Theoretiker dürften geneigt sein, in den beiden Anfangsakkorden der »Penthesilea«-Ouvertüre mit Hilfe von allerlei Umdeutungen gar keine dissonierenden zu sehen. Noch weniger ist uns das heute eine Musik, die »das Ohr sehen lernen« wollte, einzig und allein auf Farbe abzielte. Im Gegenteil; sie schildert uns zu wenig, läßt unser Ohr zu wenig mit Kleists Augen sehen. Folgt vielmehr für Penthesilea wie für Achilles, für Rosenfest wie für Kampf und Tod immer nur musikalischen Gesetzen, um ihre Themen klar zu exponieren und klar fortzubilden. Nur ganz zum Schlusse gestattet sie sich ein dramatisch gemaltes Sterben…. Voranging die Ouvertüre zum »Götz« mit ihren geraden, aufrechten Rhythmen und ihrem Schwelgen in rauscheden Schlußformeln, an dem sich alle Virtuosität, alle Klangherrlichkeit der Philharmoniker entzündete. Noch stärker der Trumpf, den Orchester und Dirigent mit dem Scherzo in A-Dur ausspielen konnten, in das ein Sonnenstrahl aus Mendelssohns »Italienischer« gedrungen ist. Ein frisches, pikant rhythmisiertes glänzend, instrumentiertes Stück, voll geistreicher Beweglichkeit. Es stellt den am Leben gebliebenen Teil einer begrabenen Symphonie vor. Brahms war es, der dieses Scherzo vor dem Scheintode rettete. An dieses flotte A-Dur schloß sich das Dionysische von Beethovens Siebenter. So recht die Symphonie für den Rhythmiker Weingartner. Er entwickelte ein hinreißendes Feuer und wagte im bacchantischen Finale ein unwahrscheinliches Zeitmaß. Ein Beifallsjubel antwortete. J.K.