Wiener Zeitung vom 1. März 1915
Kunst und Theater.
(Fünftes philharmonisches Konzert.)
Die Totenfeier der Philharmoniker für Karl Goldmark konnte wegen der Abwesenheit ihres Dirigenten erst gestern abgehalten werden. Auf drei Orchesterstücke beschränkt, bot sie den Meisterspielern und ihrem Führer Felix Weingartner dreifach Gelegenheit, in dem Farbenglanze der Goldmarkschen Klangsprache zu schwelgen. Das Vorspiel zum »Götz« besteht auch ohne den dramatischen Hintergrund als geschlossenes Tonstück zu Recht, von vollendeter Reife im Zusammenfassen und Zusammenhalten der charakteristischen Themen. Die Ouvertüre zu »Penthesilea« folgte. Unwillkürlich drängt sich der Vergleich mit der kürzlich im Konzertvereine gehörten Hugo Wolfs auf. Auch hier ist, dem poetischen Vorwurfe entsprechend, die Dreiteilung beibehalten: Auszug der Amazonen in den Kampf, das Rosenfest, Achilles’ Glück und Ende. In der Lyrik des mittleren Teiles kommen beide Komponisten einander ziemlich nahe. Die Goldmarksche Kantilene schildert ebenso verführend und betörend wie die Hugo Wolfs die Wunder der Liebesnacht. Für den Aufbruch der Amazonen hat Wolfs Phantasie weit martialischere Klänge bereit, im Gegensatze zu den anmutigen, beinahe liebenswürdigen Rhythmen, mit denen Goldmark Penthesilea und ihre Schar in die Schlacht sendet. Geht es aber dann Achill um Leben und Tod, ist für den Dramatiker Goldmark endlich der erwünschte Anlaß zur Entfaltung seiner ganzen Kraft und Gewalt des Ausdruckes gekommen, dem für die Katastrophe wie für den anschließenden Epilog doch packendere und ergreifendere Akzente zur Verfügung stehen als jene, über die Hugo Wolf in seiner sinfonischer Dichtung gebietet – dank Goldmarks reicherer Harmonik und der fast sengenden Farbenglut seiner Instrumentation. Das A-dur-Scherzo (op. 45) führte aus dem trojanischen Kampfgewühl in munteren Sechsachtel-Rhythmen zu Frieden und Beschaulichkeit zurück. … (Wiener Zeitung vom 1. März 1915)