Arbeiter-Zeitung vom 18. Mai 1910

Karl Goldmark.
(Zum achtzigsten Geburtstag, 18. Mai 1910.)

Karl Goldmark ist 1830 in Keszthely, einem kleinen ungarischen Orte am Plattensee, geboren. Er muß aus tüchtigem Blute stammen. Eines unter zwanzig Kindern, hat er nicht nur das Patriarchenalter längst erreicht, sondern lebt noch als Achtziger ein lebenswertes Leben in unermüdeter Schaffenslust. Die musikalische Begabung scheint er vom Vater überkommen zu haben, der Kantor der Judengemeinde war. Der ältere Bruder des Komponisten studierte in Wien Medizin und wurde Arzt. Als es immer offenkundiger wurde, daß Karl Goldmark zum Musiker geboren sei, ließ ihn der Bruder 1844 nach Wien kommen. Hier wurde er ein Schüler des berühmten Geigers Jansa. Damit waren die ersten festen Verbindungen mit der deutschen Musik gegeben: es entbehrt nicht des Interesses, daß mit Jansa auch die Revolution ihre erste Gestalt auf Goldmarks Lebensbühne bringt. Jansa, der aus Böhmen stammte, zählt zu den Begründern der berühmten Wiener Geigenschule, deren Tradition noch heute in dem Streicherchor unserer Philharmoniker lebendig ist. Er pflegte an seinen Kammermusikabenden ganz besonders Beethoven und half auch so lm besonderen die Tradition des Beethoven-Stils in der Reproduktion wahren. Im Jahre 1848 nahm Goldmarks Bruder an der Revolution tätigen Anteil und mußte deshalb, als die Reaktion hereinbrach, flüchten; es gelang ihm, nach Amerika zu entkommen. Das Konservatorium der Musik war während der Revolution geschlossen; Jansa aber, der in London weilte, durfte nicht in die Heimat zurück. Er hatte sich bewegen lassen, in einem Konzert zu Gunsten der ungarischen Flüchtlinge mitzuwirken. Die Strafe war Verbannung, die erst nach vielen Jahren aufgehoben wurde. So war Goldmark ohne die Möglichkeit weiteren Unterrichts. Rasch entschlossen, stellte er sich auf eigene Füße und trat als Geiger ins Orchester des Carl-Theaters ein.

Ein selbstgemachter Mann ist Goldmark immer geblieben und darin ruht wohl mit die Kraft seines künstlerischen Wesens. Er, der später auch in allem Technischen ein Meister wurde, hat dieses Ziel durch eisernen Fleiß und unermüdliches Selbststudium erreicht. In den Fünfzigerjahren tritt er das erstemal als Komponist auf, mit ein paar Klavierstücken. Seinen ersten großen Erfolg brachte ihm in den Sechzigerjahren ein Kammermusikstück, eine Suite für Klavier und Violine (E-moll [recte: E-dur]), die noch heute zu den beliebtesten Stücken der nachklassischen Literatur zählt. Aus den Sechzigerjahren stammen auch zwei Männerchöre, von denen der eine, »Ein armer Mann, ein braver Mann«, für die Arbeitersänger geschrieben wurde. Der Chor, dessen frische Männlichkeit unmittelbar packt, lebt im Arbeitergesang. Beim nächsten Bundesfest wird er abermals, dem Komponisten zu Ehren, erklingen. Die Liebe zur Freiheit hat Goldmark nie verleugnet, am allerwenigsten in seiner Musik. Die »Sakuntala«-Ouverture, gleichfalls eine Gabe der Sechzigerjahre, das erste Orchesterwerk, das die Augen der Welt auf den Beherrscher des Orchesterklanges lenkte, ist in allem, im Melodischen und Harmonischen, so eigenartig, so individuell, daß des Staunens über die kühne Fremdheit dieser Musik kein Ende war. Lange hat die Befremdung nachgewirkt; Goldmark machte auch keine Konzessionen, er vertiefte sein Wesen und dessen musikalischen Ausdruck. Wagners neue Musik begann zu wirken. Daß sie auf die Besten, also auch auf Goldmark ihren Einfluß übte, ist nur selbstverständlich. Allein Goldmark behauptete Freund und Feind zu Trotz die eigene Persönlichkeit.

Illustrirtes Wiener Extrablatt vom 10. Mai 1910

In einer Rezension der Siebzigerjahre heißt es: »Der ruhelose Gebrauch, um nicht zu sagen Mißbrauch, von Vorhalten, Synkopen und Dissonanzen gehört freilich zu den Merkmalen der modernen deutschen Schule überhaupt; aber ein so anhaltendes Vergnügen an schneidenden Mißklängen wie Goldmark empfinden doch nur wenige seiner Kollegen… Geist und Selbständigkeit habe ich in Goldmarks Kompositionen nie vermißt, wohl aber Klarheit, natürliche Empfindung, Schönheitssinn.« Man sieht aus dieser Probe, wie sehr Goldmark mit den kühnen Neuerungen seiner Harmonik, die heute längst nicht mehr als solche empfunden, sondern als Selbstverständlichkeiten hingenommen werden, seiner Zeit voraus war«. Die Rezension galt der »Königin von Saba«, die 1875 endlich zur Ausführung gelangte. Nach langen Kämpfen, für die am bezeichnendsten ein Brief ist, den Goldmark an Eduard Hanslick, den mächtigen Kritiker, den Verfasser der früher erwähnten Rezension, richtete. In diesem Briefe erbittet Goldmark die Hilfe Hanslicks, um die großen Widerstände gegen die Aufführung der »Königin von Saba« zu besiegen. Aus dem Briefe seien einige charakteristische Stellen wiedergegeben:

»Mir ist das große Unglück geschehen, eine Oper zu komponieren. Wer nie sein Brot mit Tränen aß, wer nie eine Oper komponierte, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte! Die ganze Tiefe eines solchen Unglücks aber kann nur der ermessen, der eine solche aufzuführen beabsichtigt. Und ich bin in diesem traurigen Falle… Bei aller notwendigen Bescheidenheit werden Sie mir das bißchen Selbstgefühl nicht übelnehmen, wenn ich’s hier ausspreche: daß ich der einzige österreichische Komponist bin – da man Brahms und Volkmann nicht zu diesen zählen kann –, dessen Werke auf allen deutschen und außerdeutschen Konzertprogrammen zu finden sind… Alles in allem glaube ich, ein tüchtiges, lebensfähiges Werk geschrieben zu haben, für dessen Erfolg, für drei Viertel des Werkes wenigstens, ich bei genügender Darstellung einstehen möchte, wenn Sie eine so zweifelhafte Bürgschaft überhaupt gelten lassen – und das vierte Viertel werden sie ohnehin streichen. Ich habe Grund, zu glauben, daß unsere Direktion durch einige vaterländische Mißerfolge ängstlich und mißtrauisch wurde. Es mag wohl manchmal ein Unglück sein, ein Oesterreicher zu heißen, aber eigentlich doch noch keine Schande. Der Staat gibt Pensionen, Aufträge, Stipendien an Künstler – und wenn dieser nun auch sein Wort hält und nach jahrelanger, angestrengter und gewissenhafter Arbeit ein würdiges. Erfolg versprechendes Werk vorlegt, findet er nur verschlossene Türen! Es fällt mir nicht ein, wenn mein Werk schlecht ist, mich auf den ›Vaterländischen‹ zu berufen; aber wenn es, wie hier der Fall, gut ist, sollte mir das billig kein Hindernis sein … «

Der Brief zeigt nebstbei, wie wenig Anspruch Ungarn auf Goldmark erheben kann. Im übrigen tat die Hofoper mit der in musikalischer Hinsicht glänzenden Aufführung der »Königin von Saba« das Ihre, um Goldmark zu einem Wiener Komponisten zu machen. Der Erfolg der Premiere war beispiellos und zog Triumphe in der ganzen Welt nach sich. Die »Königin von Saba« ist textlich eine vom Librettisten Mosenthal freilich blutig ernst gemeinte Travestierung des »Tannhäuser« ins Orientalisch-Jüdische. Die Musik, die bedeutendste Opernmusik die Goldmark geschrieben hat, ist durchaus selbstständig. Der Komponist, den üble, von musikalischen Parteikämpfen Zeitläufte von deutscher Musik fernhalten zu wollen schienen, flüchtete in das Reich seiner Jugendeindrücke. So schön, eigenartig, bedeutend die Musik ist, so undeutsch ist sie tatsächlich in ihrer ganzen Gefühlswelt, was sich dann auch im Technischen deutlich zeigt. Die berühmte Triolenfigur, die übrigens schon in der »Sakuntala«-Ouverture charakteristisch hervortritt, ist nur eines dieser Zeichen. Sie fehlt auch nicht in den späteren, deutsch empfundenen Werken, ein Beweis dafür, daß nicht das Aeußere den Inhalt macht, sondern daß der Inhalt die Form aus sich hervortreibt. In »Merlin«, der nächsten Oper, tritt Goldmark bewußt dem Wagner-Stil näher, vom Textdichter Lipiner dazu verführt. Das Ergebnis ist trotz wundervoller Schönheiten der Musik kein ganz befriedigendes, da der Charakter der Oper ein zwiespältiger wird. Das »Heimchen am Herd« nimmt mit Glück volkstümliche Elemente in die Musik auf; fast wirkt es, musikalisch genommen, wie eine Weiterbildung des deutschen Singspiels. Erfolglos blieb die »Kriegsgefangene«, die trotz des schwachen Textes ein besseres Schicksal verdient hätte. Ihre edle Strenge fordert den Beifall nicht heraus, aber Einzelheiten des Werkes ziehen immer wieder an. Die Szene, da Priamus die Leiche seines Sohnes vom siegreichen Achill erbittet, zählt zu dem Schönsten, was Goldmark geschrieben. Freilich stammt in dieser einen Szene der Text von – Homer, nicht von einem Librettisten. Die letzte Oper Goldmarks ist das »Wintermärchen«, das vor drei Jahren zum erstenmal aufgeführt wurde. Ihr ging »Götz von Berlichingen« voraus, der aber erst heute seine Aufführung in Wien erlebt.

Zu den reinsten Schöpfungen schwingt sich Goldmark auf, wenn kein Textbuch, kein Theater ihn von seinem Besten, seiner eigenen musikalischen Persönlichkeit, ablenkt. In seinen Opern ist er weniger dramatisch als theatralisch; die Wirkung liegt in seiner des höchsten Schwunges, des größten Ausdrucks fähigen Lyrik. Diese Lyrik begleitet auch den Symphoniker in seinen symphonischen Dichtungen, leichthin Ouvertüren genannt. Sie stehen musikalisch auch höher als seine eigentlichen Symphonien, darunter die unter dem Namen »Ländliche Hochzeit« sehr bekannte und viel gespielte. Denn in den Ouvertüren lebt Goldmark ganz seinen ethisch-künstlerischen Idealen. An der Macht des sittlichen Gedankens, des Symbolischen, das sich in der Musik verkörpert, gemessen, wiegt eine Ouvertüre wie die zum »Gefesselten Prometheus« des Aeschylos leicht eine ganze Oper auf. Diese Ouvertüren sind für die Wiedergabe fast schwieriger als für die Hörer. Ganz unmittelbar verständlich wirkt die »Frühling« genannte Ouvertüre, für die der Name alles besagt. Ihre köstliche Frische hat auch die Hörer der Arbeiter-Symphoniekonzerte erquickt. Bei dieser Aufführung war der Meister anwesend und konnte sich überzeugen, wie seine Musik aus empfängliche Herzen wirkt. Es ist ein Stück Ruhm, und nicht das schlechteste, für den Ruhmbeladenen, daß ssich [!] einer Kunst auch das Publikum der Zukunft beugt. D.B. (Arbeiter-Zeitung vom 18. Mai 1910)