Goldmark: Neues Wiener Journal vom 3. Jänner 1915 (Bienenfeld • Karpath)

Karl Goldmark gestorben.

Karl Goldmark ist gestern nachmittag gestorben. Unerwartet und trotz des hohen Alters, welches er erreicht hatte, kommt die Nachricht von seinem Tode. Denn nicht so bald mochte ein Greis zu finden gewesen sein, dessen Wesen von jugendlicher Spannkraft so lebhaft durchdrungen war. Noch im vorigen Jahre, als ich das Glück hatte, einige Stunden in des Meisters Gesellschaft verbringen zu dürfen, sah ich ihn recht verdrießlich werden, als jemand seine Rüstigkeit bewunderte. Rüstig sein, setze die Gebrechen des Alters voraus, meinte er, und keines derselben bedrücke ihn. »Ich sehe und höre so gut wie in meiner Jugend.« sagte er, »und ich kann mich noch ebenso innig freuen oder ärgern.« Wer den klugen Kopf des Meisters mit den gütigen lebhaften Augen unter der gewölbten, von dichten, weißen Haaren umrahmten Stirn im Konzertsaal von einer Loge heruntergrüßen sah, wenn anläßlich einer besonderen Aufführung ihm, dem hochverehrten, aber seltenen Gast, eine Huldigung bereitet wurde, konnte dieses jugendliche Alter, dessen Goldmark sich erfreute, bewundern. Er war eine starke, gesunde Natur, war durch feurige Kunstbegeisterung bis ins höchste Alter hinaus frisch und elastisch gebleiben [!].

Goldmarks Größe und Ruhm bleibt untrennbar mit der stolzesten seiner Opern, der »Königin von Saba«, verknüpt[!]. Sie begründete seine achtunggebietende Stellung in der modernen Kunst. Liszt war es, dessen energische Propaganda dieser prachtvollen Oper den Einzug auf die Bühne der Wiener Hofoper erschlossen hat, von wo aus ein Siegeszug durch die ganze Welt sich ihr eröffnete. Fünfundvierzig Jahre war Goldmark alt geworden, bevor dieser erste große Triumph ihn auf die Höhe der Künstlerlaufbahn trug. Das Durchringen, das Anerkanntwerden war ihm unendlich schwer gemacht worden. Ein kleiner, armer Knabe war er mit der Geige im Arm aus Ungarn nach Wien gewandert, um hier am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde Musik zu studieren Seiner Studienzeit waren politische Ereignisse nicht hold, Das Revolutionsjahr 1848 fegte mit seinem Sturm Kunst und Konservatorium für lange Zeit hinweg Wer lernen und etwas werden wollte, mußte alles sich selbst zu verdanken haben. Der junge Goldmark hat mit eisernem Fleiß sein Talent zu erziehen gewußt Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, gab er schlecht bezahlte Klavierstunden und verdingte sich für den Abend als Orchestermusiker im Carl-Theater; und hat gleichzeitig die strengste Studienarbeit zu vollenden vermocht. Einer seiner besten Jugendfreunde, Anton Door, erzählte oft, wie Goldmark mit beispielloser Geduld und Ausdauer allen Widerwärtigkeiten des Lebens trotzte, als echter Selfmademan Unterricht bei sich selbst nahm, zudem er die Lehrbücher über Kontrapunkt und Instrumentation auslieh und nur des Nachts Muße hatte, an seinen Kompositionen zu arbeiten. Man muß die Energie und den Mut des jungen Künstlers bewundern, der ohne Aussicht auf Erfolg, ja ohne die geringste Möglichkeit, seine Kompositionen je ausgeführt zu hören, Werk um Werk in die Mappe legte. Ein Streichquartett, ein Klaviertrio, eine Suite, Sonaten für Klavier und Violine entstanden; die prachtvolle Sakuntala-Ouvertüre war komponiert. Es gab in Wien damals noch kein Orchester, welches einen unbekannten Musiker aufzuführen unternommen hätte. Dem Hellmesberger-Quartett gebührt der Ruhm, daß es zuerst für Goldmarks Begabung einzutreten wagte. Hier hörte Liszt die originelle Musik und mit dem warmen Herzen, dem vorurteilslosen Sinn und der hilfreichen Hand, die jener unter den Musikern einzigartige Altruist besaß, stellte er den noch unerkannten, vielleicht absichtlich verkannten Komponisten an die Stelle, die ihm gebührte.

Die Aufführung der »Sakuntala«-Ouvertüre zeigte mit einem Schlag Goldmarks kraftvolles Talent in vollem Glanz. Von den Philharmonikern wurde die in leuchtender Melodik prangende Musik zum erstenmal gespielt. Die edle, heroische Größe, die sinnbetörende Farbenschönheit, die jede von Goldmarks Kompositionen auszeichnet, übte eine hinreißende Wirkung. Im Repertoire der großen Konzertorchester zählt die Sakuntala seither zu den glänzendsten Stücken. Wie in der »Königin von Saba« ist darin innerhalb der vollendeten klassischen Form das eigentümlich nationale Element mit Kraft und Stolz zum Ausdruck gebracht. Goldmark, ein Jude, besaß die Charaktergröße, die Sonderart und aparte Schönheit nationaler Musikempfindung nicht nur nicht zu verleugnen, sondern mit Bewußtsein zu höher stilisierter Kunstform durchzubilden. Dies gibt seiner Musik den Ausdruck voller Wahrheit und den bestrickenden Zauber echter Natürlichkeit.

Der »Königin von Saba«, die schon durch den Stoff der Handlung Goldmarks individueller Begabung in vollster Uebereinstimmung entsprach und an festlichem, prachtvollem Kolorit mit Ausnahme der großen Meyerbeer- und Verdi-Opern kaum ihres gleichen hat. ließ Goldmark eine Reihe anderer Opern folgen. Zu den bedeutendsten zählt die romantische Oper »Merlin«, ein eigenartig schönes Werk, welches aus der zu frühen Verschollenheit längst wieder hätte auferweckt werden sollen. Das sinnige »Heimchen am Herd« bedeutete Goldmarks zweiten großen Opernerfolg. Die »Kriegsgefangene«, »Götz von Berlichingen«, das »Wintermärchen«, schon in hohem Alter komponiert, bilden das volle Repertoire seiner Opern. Als Symphoniker, als Kammermusiker ist Goldmark bedeutend. Das klangüppige Klavierquintett, das stolze Violinkonzert, in dessen geigenmäßiger Kantilene alle Virtuosen entzückt schwelgen, die prachtvollen Konzertouvertüren »Penthesilea«, »Der gefesselte Prometheus«, das zauberisch anmutige Orchesterstück »Im Frühling«, die reizende »Ländliche Hochzeit«: sie schließen sich zu einem blühenden Kranz schönster Musik.

In Goldmarks Kompositionen drückt sich eine originelle Persönlichkeit stark und mutig aus. Seine auf der Harmonik des übermäßigen Dreiklangs fundierten Melodie, in welcher die durch enge Melismengruppen vorbereitete Zäsuren charakteristisch sind, die Goldmarksche »Triole« ist berühmt –, hat eine stolze, siegreiche Geste. Ein prachtvolles Kolorit ist Goldmarks Schöpfungen eigentümlich: er malt stets auf purpurnem Grund, der auch den zarten Farben ein volles Kolorit gibt. Gleich den großen klassischen Meistern war Goldmark auf allen Gebieten der musikalischen Komposition tätig; und war in der nachwagnerischen Zeit bis auf Richard Strauß der erfolgreichste Opernkomponist der deutschen Bühne. Als einer der bedeutendsten Repräsentanten der österreichischen Kunst wird sein Name Geltung behalten.

Goldmark war eine durchaus liebenswürdige und sympathische Persönlichkeit. Angesagten Huldigungen und Ehrungen ging er lieber aus dem Wege, und er war nur selten bei Aufführungen seiner Werke zu finden. Nicht wie die an Begabung kleineren Persönlichkeiten war er nach der öffentlichen Anerkennung persönlicher Eitelkeit – begierig; denn er kannte den Wert seiner Schöpfungen, und als ein wirklich schöpferisch begabter Künstler schien es ihm immer richtiger durch sie, als durch sich zu wirken. Noch in den letzten Jahren hatte er viel komponiert, Lieder und Klavierstücke, ja auch eine Orchestersymphonie, die von einer wunderbaren Frische schienen. Aber das künstlerische Hauptwerk dieses Lebens war dennoch schon lange vollendet, bevor das körperliche Ende herangenaht war. Mitten unter den Tausenden, welche jetzt in der ersten Blüte schöner, noch unerfüllter Hoffnungen ihr Leben lassen müssen, war es dem Meister beschieden, nach getaner Arbeit, als die Früchte gereift waren, vom Tod umfangen zu werden.
Dr. Elsa Bienenfeld

Die Krankheit Goldmarks.

Karl Goldmark ist gestern nachmittags in seiner Wohnung, II. Josef-Gall Gasse 5, im 85. Lebensjahre gestorben. Doktor Karl Goldmark hatte seit Jahren ein Prostataleiden, das ihm vielfache Beschwerden verursachte. Seit anderthalb Jahren war er in Behandlung des Professors Dr. Frisch gestanden, der, wenn das Leiden auch zeitweise heftiger auftrat, immer wieder eine Besserung herbeizuführen vermochte, wozu auch die starke Natur des Greises beitrug. Dr. Goldmark erholte sich auch nach heftigen Anfällen von neuem. Am ersten Weihnachtstage trat bei ihm eine leichte Verdauungsstörung ein; Dr. Goldmark wurde von einer Ohnmacht befallen und mußte zu Bette gebracht werden. Eine mittelbare Folge dieses Zwischenfalls war eine neuerliche Verschlimmerung des Leidens die heftige Blutungen mit sich brachte. Die Blutungen wurden immer heftiger und konnten gar nicht gestillt werden, wenn sich auch die Aerzte die größte Mühe gaben. In den letzten Tagen stand Dr. Goldmark, da Professor Frisch selbst erkrankt war. in Behandlung des Medizinalrates Doktors Julius Fürth. Professor Dr. Zuckerkandl wurde zum Konsilium beigezogen und Professor Frisch sendete seinen ersten Assistenten Dr. Adolf Horowitz. Die aufopferndste Pflege der Aerzte konnte keine Hilfe mehr bringen. Goldmark wurde durch den Blutverlust schwächer und schwächer und litt auch große Schmerzen.

Sein Tod aber ist fast ganz schmerzlos und sanft erfolgt. Um 1/2 4 Uhr nachmittags war Agonie eingetreten, und um 4 Uhr war der Meister sanft entschlafen. An seinem Sterbelager weilten seine Tochter und ihr Gemahl Bildhauer Hegenbarth sowie der Neffe Musikschriftsteller Ludwig Karpath.

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Persönliches von Goldmark.
Von Ludwig Karpath.

Die nachstehenden Erinnerungen an den verstorbenen Meister sind uns auf unser Ersuchen von seinem Neffen, dem bekannten Musikschriftsteller Ludwig Karpath, in liebenswürdigster Weise zur Verfügung gestellt worden.

Karl Goldmark war äußerlich ein ungemein bescheidener und liebenswürdiger Mensch. Er war sich jedoch seines inneren Wertes vollständig bewußt, und was als übermäßige Bescheidenheit ausgelegt wurde, war in Wirklichkeit nichts als unbändiger Stolz. Er hat es während seiner ganzen Lausbahn, die wohl sehr reich an Dornen war, stets verschmäht, sich irgendeiner Partei anzuschließen, hat es von jeher verabscheut, im Cliquentum zu leben und war jeder persönlichen Reklame derart abhold, daß er alle Ansuchen, die selbstverständlich von vielen Seiten an ihn gerichtet wurden, Daten über sein Leben für Nachschlagewerke zu geben, mit Entrüstung ablehnte.

Goldmark stand immer auf den Standpunkt, daß ein schaffender Künstler in seinen Werken lebe, und daß der Maßstab an diese anzulegen sei. Er war immer der Meinung, daß, wer seine Persönlichkeit lernen wolle, sich eben in seine Werke vertiefen müsse. Trotzdem hat er nie einen Finger gerührt, daß ein Werk von ihm aufgeführt werde. Was nicht spontan von anderer Seite geschah, war eben nicht geschehen. Oft und oft hat sich Goldmark bitter beklagt, daß er vernachlässigt werde, doch um keinen Preis der Welt hätte er persönlich eingegriffen, um seine Wünsche zu verwirklichen, was ihm doch sicher ein leichtes gewesen wäre.

Ich, als sein Verwandter und sein vertrauter Freund, habe ihm oft nahegelegt, weniger spröde zu sein, habe ihm oft gesagt, daß Zeitungsreklame in einer anständigen Form nicht nur für jeden Künstler zulässig, sondern sogar notwendig sei; allein er fertigte mich immer sehr rasch mit zornigen Worten ab. So oft er mir auf seinem Schaffensgebiet irgendeine vertrauliche Mitteilung machte, schickte er die Worte voraus: »Das ist für den Neffen, nicht für den Journalisten bestimmt.« Dabei blickte er mich mit seinen großen Augen scharf an, wie wenn er einen Widerspruch erwartete. Ich kanme ihn aber genau und habe diese seine Wünsche immer respektiert.

Goldmark war ein warmfühlender, allem Schönen zugewandter Mensch. Ein Künstler, der sich alles buchstäblich autodidaktisch angeeignet hat. Er besaß ein unglaublich großes Gehirn. Denn nur so war es möglich, daß er jene Höhe erreichte, zu der er eben emporklomm.

Bis in die letzten Tage seines Lebens interessierte er sich für alles, was in der Welt vorging. Bei feiner unerhörten Gründlichkeit studierte er zum Beispiel jetzt ganz genau alle Landkarten und operierte in Gemeinschaft mit mir wie in einem Operationsbureau des Generalstabes. Er hatte für alles in der Welt das größte Interesse und warf sich auf alle Gegenstände mit einem wahren Feuereifer. Dann ruhte er nicht eher, bis er jede Materie vollkommen erschöpft und durchforscht hatte.

Die Gesellschaft der Musikfreunde, deren Ehrenmitglied und Direktor Karl Goldmark war, hat angeordnet, daß der Leichenzug am Montag vor ihrem Gebäude halten wird. Dort wird ein Teil der Trauerfeier abgehalten werden.
(Neues Wiener Journal vom 3. Jänner 1915)