Goldmark: Neues Wiener Tagblatt vom 3. Jänner 1915

Theater, Kunst und Literatur
Karl Goldmark ✝

Karl Goldmark ist gestern nachmittags 4 Uhr in seiner Wiener Wohnung gestorben. Obwohl hochbetagt, hatte er sich doch noch bis in die letzte Zeit einer ziemlich ungetrübten Gesundheit erfreut. Nach schmerzhafter, aber kurzer Krankheit war dem berühmten Komponisten ein sanfter Tod beschieden.

Karl Goldmark wurde am 18. Mai 1830 zu Keszthely in Ungarn geboren. Den ersten Musikunterricht erhielt er im Oedenburger Musikverein, wo er so rasche Fortschrftte machte, daß er schon als achtjähriger Knabe sein erstes Konzert als Violinspieler veranstalten und dadurch seine Eltern bestimmen konnte, ihn die Musik als Lebensberuf wählen zu lassen. 1847 kam Goldmark nach Wien zur höheren Ausbildung. Nachdem er Unterricht bei L. Jansa und Josef Böhm genommen hatte, trat er 1847 in das Wiener Konservatorium ein, um auch bei Preyer theoretischen Studien zu obliegen. 1848 mußte er diese Studien unterbrechen, weil das Konservatorium der politischen Unruhen wegen geschlossen wurde. Die politischen Ereignisse entrissen ihm auch seinen Bruder Dr. Josef Goldmark, bei dem er bisher gelebt hatte, der aber nun nach Amerika flüchten mußte. Karl Goldmark war jetzt ganz auf sich selbst angewiesen, er erteilte daher, um sein Leben zu fristen, Musikunterricht, und nahm eine Stelle im Orchester des Carltheaters an. Die freie Zeit, die ihm dabei blieb, benützte er zum Selbststudium in der Theorie und zum fleißigm Schaffen von Kompositionen, so daß er 1857 bereits mit einigen Werken vor die Oeffentlichkeit treten konnte. Im Jahre 1853 übersiedelte Goldmark nach Pest, wo er seine Studien in tiefster Zurückgezogenheit wieder aufnahm. Ein Jahr nachher veranstaltete er ein Kompositionskonzert, das ihm schon große Erfolge brachte. 1860 kehrte er nach Wien zurück, daa er nun dauernd nicht mehr verlassen sollte.

Goldmark betätigte sich zunächst als Klavierlehrer, setzte aber auch seine Tätigkeit als Komponist sehr eifrig fort. Drei Klavierwerke, die bei Haslinger in Wien erschienen, stammen aus jener Zeit. Goldmark hatte sie seiner »lieben Schülerin« Karoline Bettelheim, die später eine große Sängerin wurde, gewidmet. Die erste größere Arbeit, mir der Goldmark hervortrat, ist die Ouvertüre »Sakuntala«, die seinen Namen in den weitesten Kreisen bekannt machte. Ihre Premiere fand in einem philharmonischen Konzert in der Saison 1865/66 statt, und das Werk errang ungeteilten Beifall nicht nur beim Publikum, sondern auch bei der Kritik. Goldmarks nächste Kompositionen bewegten sich fast ausschließlich auf dem Gebiete des Gesanges, und zwar des Einzel- und des Chorgesanges. Das Hauptwerk aber, das ihn die nächsten zehn Jahre intensiv beschäftigte, war die große Oper »Die Königin von Saba«. Goldmark hatte unübersehbare Schwierigkeinten zu überwinden, um dieses Wert aufgeführt zu sehen. Nachdem er die Oper dem Wiener Hofoperntheater eingereicht hatte, zögerte Gras Wrbna, welcher in der Verwaltung der Hoftheater sich zur Rücksicht auf die argen Finanzen der Hofoper genötigt sah, sehr lange die Aufführung des Werkes [nicht] zu bewilligen, weil der Verfasser des Textbuches, der Dichter Mosenthal, vorgcschriebcn hatte, daß namentlich der erste Akt »den Anblick der höchsten Pracht biete«. In seiner Not wendete sich Goldmark damals an Eduard Hanslick in einem langen Brief, der von Goldmarks Künstlernatur, in welcher Bescheidenheit und Selbstgefühl harmonisch zusammenstimmen, das schönste Zeugnis gibt, um dessen Intervention bei der Hoftheaterleitung. In diesem Briefe hieß es unter anderm: »Alles in allem glaube ich, ein tüchtiges, lebensfähiges Werk geschrieben zu haben, für dessen Erfolg ich bei genügender Darstellung einstehen möchte. Ich habe Grund zu glauben, dass unsre Direktion durch einige vaterländische Mißerfolge ängstlich und mißtrauisch wurde. Der Staat gibt Pensionen, Aufträge, Stipendien an Künstler, und wenn dieser nun auch sein Wort hält und nach jahrelanger angestrengter und gewissenhafter Arbeit ein würdiges, erfolgversprechendes Werk vorlegt, findet er nur verschlossene Türen! Es fällt mir nicht ein, wenn mein Werk schlecht ist, mich auf den ›vaterländischen‹ zu berufen; aber wenn es, wie hier der Fall, gut ist, sollte mir das billig kein Hindernis sein. Sie sind vom Staate mit dem schönen Ehrenamt betraut, die Kunst und die künstlerischen Interessen zu fördern. Ich appelliere an diese Ihre schöne Mission.«

Die Oper wurde endlich angenommen und in ziemlich schlechter Ausstattung, aber in glänzender Besetzung am 10. März 1875 zum erstenmal im Wiener Hofoperntheater aufgeführt. Von diesem Tage datiert der Ruhm Goldmarks; denn das Werk wurde nicht nur ein Repertoirestück unsrer Hofoper, sondern errang auch großen Beifall auf unzähligen andern Bühnen. Von nun an war das Leben Goldmarks eine Kette rauschender und großer Erfolge. Jedes seiner Werke fand die vollste Anerkennung. Am 27. Jänner 1886 wurde Goldmark zum Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ernannt, am 19. November 1886 wurde seine zweite Oper »Merlin« im Wiener Hofoperntheater zum erstenmal aufgeführt. Als er am 18. Mai 1890 seinen sechzigsten Geburtstag feierte, war er Gegenstand großer Ovationen. In demselben Jahre wurde er vom Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha zum Preisrichter für die Koburger Opernkonkurrenz ernannt. 1897 wurde ihm vom Kaiser von Oesterreich das Ritterkreuz des Leopoldordens verliehen. Am 21. März 1900 fand die erste Aufführung von Goldmarks Oper »Das Heimchen am Herd« statt. Seither folgten die Premieren der Goldmarkschen Opern »Die Kriegsgefangene«, »Der [!] Götz von Berlichingen« und »Ein Wintermärchen«.

Von Goldmarks Werken seien an dieser Stelle nur noch erwähnt seine Ouvertüren zu »Sakuntala«, zu »Penthesilea«, zum »Gefesselten Prometheus«, zu »Sappho« und die Ouvertüre »Im Frühling«, ferner die erste Symphonie Goldmarks, die er »Ländliche Hochzeit« betitelte, seine zweite Symphonie, die von seinen Freunden »Die Gmundener Symphonie« genannt wurde, weil sie dort entstanden ist. Ferner sei auf jene seiner Schöpfungen, die dem Gebiete der Kammermusik angehören, und aus seine Klavierkompositionen verwiesen. Damit ist in Kürze der Werdegang des Künstlers geschildert, der unter den gegenwärtig lebenden Tondichtern unsrer Monarchie den ersten Platz einnahm.

Aus Goldmarks Jugendzeit.

Im intimen Freundeskreise pflegte Goldmark oft aus seiner Lebensgeschichte zu erzählen. Er sprach gerne von seinen Knabenjahren. In Keszthely geboren, übersiedelte Goldmark als Kind schon mit seiner Familie nach Kreuz, wo der Vater das Amt eines Kantors versah. And in seinen jüngsten Jahren gab er schon ein Pröbchen seines Musiktalents. Nach einer Hochzeit war es, als sich der kleine Karl an die Tafel herumschlich, aus der noch die halbgefüllten Gläser umherstanden. Durch die Berührung eines Glases brachte er einen hübschen Ton hervor. Der Knabe ruhte nicht mehr, bis er durch den Gläserklang eine artige Melodie herausbekam. Bald darauf kam ein herumziehender Geiger in das Städtchen, der dem Kinde eine Geige in die Hand drückte. Karl experimentierte so lange auf der Fidel, bis ihm eine leichte Begleitungsweise gelang. Als dann Goldmark mit 14 Jahren ohne Notenkenntnis einen Choral komponiert hatte, der in dem Gotteshause des Heimatstädtchens noch heute gesungen wird, entschied der Vater, daß der Junge den Musikerberuf erwähle. Er wurde nach Oedenburg geschickt, wo er ein Jahr lang bei einer armen Familie Violinunterricht genoß. Dort machte er die erste Bekanntschaft mit einem: – Klavier.

Mit 16 Jahren ist Goldmark mit dem Ränzel auf dem Rücken nach Wien gekommen, um hier zwei Jahre lang im Konservatorium weiter zu studieren. Bei Preyer hat er das Studium der Kompositionslehre begonnen. Da brach das Revolutionsjahr herein, der Unterricht wurde unterbrochen, der Jüngling kehrte in die Heimat zurück. Ein Jahr später treffen wir ihn wieder in unsrer Stadt. Hier nahm er – dieser Umstand ist gleich den vorstehend wiedergegebenen Einzelheiten ans Goldmarks frühester Jugendzeit noch allgemein unbekannt – im Ioscsftädter Theater eine bescheidene Orchesterstellung an und übersiedelte ein halbes Jahr später in gleicher Eigenschaft in das Carltheater, wo er sieben Jahre einen kärglichen Broterwerb fand. Dazwischen übte und studierte er fleißig fort und arbeitete stetig an seiner musikalischen usbildung. Mit 27 Jahren hielt es ihn nicht länger in dieser trostlosen Situation, er verließ das Theater und ging nach Budapest, um ungestört seiner weiteren Ausbildung zu leben uns den Kontrapunkt zu studieren. Dort hat er sich, wie er oft selbst erzählte, von Mendelssohn befreit und war in die reichen Schätze der Musik Beethovens, Bachs und Schumanns eingedrungen. Nach drei Jahren kam er als »Studierter« wieder nach Wien, wo er mit einem Kompositionskonzert berechtigtes Aufsehen erregte. Bald daraus spielte Epstein mit Hellmesberger seinTrio. Bei der Probe machte Goldmark die Bekanntschaft eines vierzehnjährigen Lieblingsschülers Epsteins, Ignaz Brülls. Letzterer schloß sich seit dieser Zeit dem reifenden Manne an und rasch wurde zwischen Beiden ein Freundschaftsbündnis fürs Leben geschlossen. Von da ab lebte Goldmark nur mehr der Komposition. Lange war es eine strittige Frage, ob das Jahr 1830 oder 1832 das Geburtsjahr des heute gefeierten Künstlers sei. Doch bald fand sich im Nachlasse von GoldmarksVater ein Buch vor, in welchem der Vater selbst das Jahr 1830 als dasjenige eingetragen hatte, in welchem sein Sohn Karl das Licht der Welt erblickte.

Die Krankheitsgeschichte.

Dr. Karl Goldmark wohnte seit vielen Jahren in der Josef Gallgasse Nr. 5 im Prater, wo er von seiner Tochter, der Gattin des akademischen Bildhauers Ernst Hegenbarth sorgsamst gepflegt wurde. Am 16. Mai d. J. hätte der Meister sein 85. Lebensjahr vollendet, und somit bedurfte er trotz seiner Rüstigkeit und geradezu robusten Kraft besonderer Hut. Seit fünfzehn Jahren laborierte er an einem Prostataleiden, das er jedoch vermöge seiner sonstigen gesunden Konstitution und seines seelischen Gleichmutes relativ leicht trug. Professor Frisch, der ihn die ganze Zeit behandelte, gab ihm immer Mittel der Erleichterung, und so fühlte sich Goldmark trotz der Beschwerden verhältnismäßig wohl. Er hatte auch bis kurz vor seinem Tod nichts Greisenhaftes an sich, machte täglich ausgedehnte Spaziergänge im Prater und arbeitete mit großer Freude bis zuletzt an einem Klavierquintett, das er im Sommer vollendete und das sich in seinem Nachlaß befindet.

Am ersten Weihnachtsfeiertage wurde Goldmark nach einem etwas reichlicheren Mahle von einer Ohnmacht befallen, von der er sich zwar rasch wieder erholte, aber als Folge traten heftige Blutungen auf, die diesmal nicht mit den gewöhnlichen, von Professor Frisch verordneten Mitteln gestillt werden konnten. Dadurch sanken die Kräfte des Patienten ungewöhnlich rasch, und der Schwächezustand hatte wieder zur Folge, daß der Kranke die Nahrungsaufnahme verweigerte. Man konnte ihn in den letzten Tagen nur mit flüssiger Nahrung halbwegs bei Kräften erhalten. Am Mittwoch wurde der Zustand sehr ernst. Man berief rasch Professor Frisch, doch dieser war selbst erkrankt, und so erschien Professor Zuckerkandl am Krankenlager, der die Hoffnung aussprach, das Leben des Meisters erhalten zu können, wenn es gelingt, die Blutungen zum Stillstand zu bringen und dadurch eine Hebung des Kräftezustandes zu erzielen. Dies gelang jedoch nicht, und in den letzten Tagen mußten vom Assistenten des Professors Frisch, Dr. Zinner, zwar leichte, aber ständige chirurgische Eingriffe vorgenommen werden, die dem Kranken zwar Erleichterung, aber keine Besserung bringen konnten. Der Kräfteverfall wurde immer stärker, bis schließlich auch das Herz angegriffen wurde und Karl Goldmark entschlief.

An dem Sterbelager weilten außer den behandelnden Aerzten die Tochter und der Schwiegersohn des nunmehr Verblichenen sowie sein Neffe Ludwig Karpath«.

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Dr. Karl Goldmark war Ritter des Leopoldordens und hatte anläßlich seines achtzigsten Geburtstages vom Kaiser das Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft verliehen erhalten. Er war Ehrendoktor der königlichen Universität in Budapest, ferner Ehrenmitglied der k. k. Gesellschaft für Musikfreunde, Direktionsmitglied dieser Gesellschaft, Ehrenmitglied der k. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst, der Santa Cecilia in Rom und zahlloser Musikgesellschaften des Auslandes.

Sein letztes Opernwerk »Wintermärchen« wurde am 2. Jänner 1908 in der Wiener Hofoper zum erstenmal aufgcführt. Seither komponierte Goldmark mehrere große Konzertstücke, die in den Konzertsälen des In- und Anslandes aufgeführt wurden.

Das Leichenbegängnis des berühmten Komponisten findet morgen Montag, 11 Uhr vormittags, vom Trauerhause, 2. Bezirk, Josef Gallgasse Nr. 5, aus statt.

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Die Gesellschaft der Musikfreunde, deren Ehrenmitglied und Direktor Karl Goldmark war, hat angeordnet, daß der Leichenzug am Montag vor ihrem Gebäude halten wird. Dort wird ein Teil der Trauerfeier abgehalten werden.

(Neues Wiener Tagblatt vom 3. Jänner 1915)