Goldmark: Neue Freie Presse vom 3. Jänner 1915

Carl Goldmark.
Wien, 2. Januar.
Erschüttert umstehen wir, umsteht das musikalische Wien, die ganze musikalische Welt die Totenbahre des großen Komponisten und Oesterreichsrs Carl Goldmark. Viele unserer Guten und Besten müssen jetzt auf dem Schlachtfelde für das Vaterland sterben. Goldmark hat für sein Vaterland gelebt, hat, indem er vom Ewigkeitshauch berührte Kunstwerke schuf, auf seine Weise der Ehre des Vaterlandes gedient und den Kulturbesitz der Menschheit erheblich gemehrt. In Ungarn geboren, starb er in Wien, wo er siebzig volle Jahre wirkte. Den kleinen Mann mit dem scharfen, stets suchenden Blick und den ehrwürdigen weißen Locken hat hier jeder gekannt. Und jeder wußte auch, daß dieser Mann einer von den ganz Großen war. Wenn trotzdem andere lauter gepriesen wurden, lärmendere Anhänger und Gemeinden fanden, so erklärt sich Goldmarks stillerer Ruhm zunächst aus der übergroßen Bescheidenheit seines Wesens. Und sein dem Wirbel fanatischen Tagesstreites längst entrücktes Werk war nur mehr als köstlicher und sicherer Besitz zu hüten. So wandelte, in den letzten Jahren fast unbemerkt, schaffend und Schaffende fördernd, ein leibhaftiges Genie in unserer Mitte. Aus seinem Auge strahlte die Seele, in seinem Herzen brannte die allumfassende Liebe des von der Gottheit geadelten Menschen. Zum Schluß machte ihn sein patriarchalisches Alter ehrwürdig. Aber ehrwürdig war auch die Kraft, mit der er, der zwei Generationen kommen und gehen sah, die Straße suchte und fand, die von unserer Erde weg zur Unsterblichkeit führt. Nun hat Carl Goldmark den Tag des glorreich erkämpften Sieges nicht mehr schauen dürfen. Vom Alter besiegt, stand sein müdes Herz still, während in Ost und West um das Schicksal der alten Welt gerungen wird.

Goldmarks Weltruhm datiert von der ersten Ausführung seiner »Königin von Saba«. Mit den magischen Klängen dieses Werkes erklomm er den höchsten ihm erreichbaren Gipfel der Kunst. An jenem 10. März des Jahres 1875 ist er, der von Keszthely, seinem ungarischen Geburtsort, als armseliger Scholar auszog, ein Mächtiger im Reiche der Tonkunst geworden. Am 18. Mai 1830 als achtzehntes von einundzwanzig Kindern wenig bemittelter Eltern geboren, erhielt er den ersten Musikunterricht im Oedenburger Musikverein. Als er, acht Jahre alt, mit Erfolg öffentlich geigte, beschlossen die Eltern, ihren Carl Musiker werden zu lassen. So kam Goldmark 1844 zur höheren Ausbildung nach Wien, wo er zunächst bei dem berühmten Quartettspieler Leopold Jansa, dann bei Professor Josef Böhm, dem Lehrer von Joachim und Ernst, studierte. 1847 trat er in das Wiener Konservatorium ein und wurde Theorieschüler des Direktors Gottfried Preyer. Die Anstalt wurde ober schon im folgenden Jahre wegen der politischen Zustände geschlossen und damit hatte der geregelte Studiengang Goldmarks ein plötzliches Ende erreicht. Sein Bruder Doktor Josef Gokdmark mußte nach Amerika, wo er auch gestorben ist, flüchten und der junge Musiker war nun ganz auf sich selbst angewiesen. Um den nötigsten Lebensunterhalt zu verdienen, nahm er eine Stelle im Orchester des Carl-Theaters an und quälte sich in seiner freien Zeit mit Musikunterricht. Als Pianist Autodidakt, gab er dennoch Klavierstunden. Seine berühmteste Klavierschülerin Kammersängerin Karoline v. Gomperz-Bettelheim hat erst in unserer letzten Weihnachtsnummer ein sehr anschauliches Bild von Goldmarks damaliger Art und Tätigkeit entworfen. Wir fühlen mit dem Musiker, der im Sturm und Drang unbezähmbaren Kompositionsbedürfnisses Abend für Abend im Orchester sitzen und Hanswurstiaden und Couplets begleiten muß. Im März 1857 debütierte er als Komponist mit der öffentlichen Vorführung einer Ouvertüre, eines Klavierquartetts, zweier Lieder und eines Psalms.

Im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde befindet sich ein vom 27. Dezember 18S6 datierter Brief Goldmarks, der die Schwierigkeiten ahnen läßt, mit denen der ehrgeizige Komponist zu kämpfen hatte. Er lautet: »Ergebenstgefertigter, ehemaliger Zögling des Conservatoriums der Musik in Wien beabsichtigte nach gereiftem mehrjährigem Studium, sich dem Publikum als Komponist vorzustellen. Da jedoch die beschränkten Mittel des Gefertigten nicht erlaubten, sich einen ganzen und großen Körper zu hon[o]rieren, so versuchte er es mit einem teils honorierten teils aus Freunden gebildeten. Orchester, welcher Versuch jedoch gänzlich mißlang. Da der Gefertigte es nun mit dem Aufgebothe aller ihm zu Gebothe stehenden Mittel versuchen muß, das Conzert trotz der hochwachsenden Kosten abzuhalten, so ersucht der Ergebensgefertigte [!] höflichst um den Nachlaß der bereits einmal entrichteten Lokalkosten. Vertrauend auf die Menschenfreundlichkeit und edle Gesinnung des löbl. Vereins der Musikfreunde zeichnet hochachtungsvoll Carl Goldmark.« Eine nach diesem Konzert erschienene kühle Kritik der »Wiener Zeitung« schloß mit den Worten: »Die Hauptsache bleibt immer, sich vor allem äußerlichen Wollen möglichst zu hüten und davor sei auch Herr Goldmark freundlich gewarnt. Sonst trauen wir ihm gern zu, daß ihm in guter Stunde noch manches gelingen mag.« Dieser »Erfolg« gab Goldmark gewiß zu denken, und als er aus Gründen privater Natur für kurze Zeit nach Budapest übersiedeln mußte, setzte er seine theoretischen Studien mit allem Ernst fort. 1860 kehrte er nach Wien zurück und nahm auch den Klavierunterricht bei Karoline Bettelheim wieder auf. Diese Künstlerin führte 1864 das Klaviertrio, 1865 die »Suite« öffentlich vor und errang sich und ihrem Meister damit die ersten schönen Erfolge. Stand er bis dahin unter dem Einfluß Mendelssohns, so brachte nun Richard Wagner die Revolution. Wofür op. 5, »Sturm und Drang« betitelt, ein Beispiel ist. 1861 erregte das Streichquartett in B-dur Aufsehen und mit der berühmten Triole der »Sakuntala«-Ouvertüre kündigt sich bereits das Hauptwerk »Die Königin von Saba« an. Die Ouvertüre wurde am 26. Dezember 1865 in einem philharmonischen Konzert unter Otto Dessoffs Leitung gespielt und fand, trotzdem ihr »Dissonanzenreichtum« die Zuhörer ein wenig irritierte, sehr freundliche Aufnahme.

An der »Königin von Saba« hat Goldmark volle zehn Jahre (nach einer anderen Version »bloß« sieben Jahre) gearbeitet. Immer wieder begann er zu feilen, abzuändern. Dieses ewige Retuschieren an fertigen Arbeiten ist charakteristisch für Goldmarks ferneres Schaffen geblieben. Erst im vorigen Jahre änderte Goldmark einiges an der Instrumentation des »Heimchen am Herd«, fügte Celesta-Akkorde und ein neues Duett hinzu. Dessoffs schrieb einmal an Professor Anton Door: »Sagen Sie, unter uns! Ist Goldmarks Oper wirklich fertig? Ganz fertig? Hat er nicht wenigstens noch ein Stück Ballett oder dergleichen nachzuliefern? Oder den Schlußakkord neu zu instrumentieren? Und wieviele b sind in der Ouvertüre vorgezeichnet? Ich habe vor einigen Wochen die ›Saba‹ neu einstudiert; da sind mir alte Erinnerungen wach geworden, aber auch die Furcht, daß in der neuen Oper nur Tonarien, wie – acht b – und manch sanfter Taktwechsel vorkommen dürften. Noch einmal beim Buchstaben XXbb, meine Herren! Die erste Note in den Trompeten heißt nicht Doppel-c, sondern Doppel-h! Muß also auf Des-Trompeten klingen: Ja, wie?« … Als die »Saba« endlich fertig war, begann die Schwierigkeit, sie zur Aufführung zu bringen. Trotzdem die Kapellmeister Herbeck und Dessoff sich für Goldmark einsetzten, scheute man in der Hofoper vor den erheblichen Aufführungskosten zurück. In anderen Städten mögen wohl die technischen Schwierigkeiten der Partitur zahlreicheren Aufführungen im Wege gestanden sein. In seiner Not wandte sich der Komponist an Hanslick. In dem betreffenden Brief, der ein ewiges Dokument fast allgemeinen Komponistenelends ist, heißt es: »Mir ist das große Unglück geschehen, eine Oper zu. komponieren. Wer nie sein Brot mit Tränen aß, wer nie eine Oper komponierte, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte! Die ganze Tiefe eines solchen Unglücks kann nur der ermessen, der eine solche Oper aufzuführen beabsichtigt. Und ich bin in diesem traurigen Falle; darum rufe ich zu Ihnen.« Hanslick setzte in der Tat die Aufführung durch. Das Werk wurde in ausgezeichneter Besetzung gegeben. Frau Wilt gab die Sulamith, Frau Materna die Königin, Fräulein Siegstädt die Astarot, Walter den Assad, Rokitansky den Oberpriester und Beck den Salomon. Die Premiere fand am 16. März 1875, also in dem bedeutsamen Theaterjahre, in welchem auch die »Widerspenstige« von Götz und »Carmen« in Wien herauskamen, statt.

Zwischen der »Königin von Saba« und Goldmarks nächstem Bühnenwerk »Merlin« liegt ein Zeitraum von elf Jahren, in welchen bloß die erste Aufführung der «Penthesilea«-Ouvertüre in einem Philharmonischen Konzert unter Hans Richter fällt. Der »Merlin«-Stoff war der Artussage entnommen, den Text hatte der feinsinnige Dichter und Philosoph Siegfried Lipiner geliefert. Direktor Jahn dirigierte. In den Hauptrollen waren die Damen Materna, Kaulich und Abel, die Herren Sommer, Winkelmann, Schrödter, Hablawetz, Mayerhofer und Reichenberg beschäftigt. Der Erfolg war groß, wenn er an auch nicht annähernd den der »Königin von Saba« erreichte. Goldmarks Bedeutung wurde aber bereits ohne Widerspruch anerkannt. Die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ernannte ihn zum Ehrenmitgliede und sein sechzigster Geburtstag wurde überaus feierlich begangen. Damals stand er im Zenit seines Ruhms und seines Könnens, wenn auch seine Produktivität mit zunehmendem Alter eher gewachsen ist. Im Laufe der Jahre waren entstanden: die Orchesterouvertüren »Sappho«, »Der gefesselte Prometheus«, »Im Frühling«, »Zriny«, an symphonischen Werken »Ländliche Hochzeit«, die durch ihr reizendes Scherzo berühmt gewordene Es-Dur (»Gmundener«) Symphonie und »In Italien«; das Violinkonzert, das in Philharmonischen Konzerten von Rosé und Rosa Hochmann gespielt wurde, an Kammermusikwerken außer dem bereits erwähnten Klaviertrio ein Streichquartett in B-Dur, das A-Moll-Quintett, die Violin-Klavier-Suite in E und die Violinsonate in D. Ferner zwei Orchesterscherzi in e-Moll und A-Dur. Aus den zahlreichen Liedern Goldmarks, die beliebt gewordenen herausgreifend, nennen wir: »Die Quelle«, »Sommerlied«, »Fata Morgana«, »Die Nachtigall«, »Ein Nest«, »Weinet um sie« und »Herzeleid«. Was auch den kleinsten Werken Goldmarks Bedeutung gibt, ist neben der stets blühenden Erfindung das starke Hervortreten der originalen Persönlichkeit, die sich hauptsächlich in aparter Harmonik und Rhythmik ausspricht. Die »persönliche Note« Goldmarks, wie sie schon in der »Sakuntala«-Ouvertüre von den Posaunen wie ein Kampfruf in die Welt geschmettert wurde, tritt noch in seinen spätesten Werken bedeutsam hervor.

Einen neuen, von dem dramatischen Stil der vorherigen Bühnenwerke wesentlich abweichenden Weg hat Goldmark in seinem »Heimchen am Herd« eingeschlagen. Sich von Wagners heroischem Pathos abwendend, suchte er in liebenswürdiger Ungebundenheit, in volkstümlicher Melodik seinem Genius einen neuen Kreis. Die prächtige Aufführung unter Jahn mit den Damen Renard und Abendroth, den Herren Ritter, Schrödter und Reichenberg verhalf auch diesem Werk in Wien zu echtem Goldmark-Erfolg. Es folgten noch in sich sacht herabsenkende Abenddämmerung getaucht, aber noch in jedem Takt zu höchster Abgeklärtheit gereifte Meisterschaft verratend, »Die Kriegsgefangene«, »Götz von Berlichingen«, »Wintermärchen«. Als Mahler den »Götz für die Hofoper nicht annehmen wollte, entstand in dem freundschaftlichen Verhältnis der beiden Künstler zueinander eine kleine, aber schnell vorübergehende Trübung. Mahler nahm denn auch das »Wintermärchen« sofort an, das Werk wurde in den letzten Monaten seiner Direktionstätigkeit einstudiert und als erste Novität in der Aera Weingartner gegeben. Weingartner, der Liebenswürdige, erfüllte später einen Geburtstagswunsch des greisen Meisters, indem er den »Götz« mit Lucy Weidt und Friedrich Weidemann zur Aufführung brachte.

Goldmark hat eine große Wiener Musikepoche miterlebt, mit großen Musikern viel verkehrt. Mit Brahms und Robert Volkmann traf er regelmäßig im Café Deuerlein in der Wollzeile zusammen. Brahms’ Bedeutung hatte er ebenso schnell wie die Wagners erkannt und er trat nun für die beiden »Neuen« mit dem ganzen Feuer seines Temperaments ein. Als Tribüne bot sich ihm die »Konstitutionelle österreichische Vorstadtzeitung«, für die er Anfang der sechziger Jahre durch vier Jahre als Musikreferent tätig war. Er war auch ständiger Teilnehmer an den Ausflügen nach Rodaun, Baden und Klosterneuburg, die Brahms, Door, Epstein, Heuberger, Mandyczewski, Robert Fuchs, Gänsbacher, Stocker und Rottenberg zu ungebundener Fröhlichkeit vereinigten. Man sprach damals von dem »ambulanten Tonkünstlerverein«. Mit Richard Wagner ist Goldmark nur einmal – zufällig – auf einem Spaziergang in Penzing zusammengetroffen.

Goldmark ist zum begeisterten Wiener geworden. Die Sommermonate pflegte er in einem weinlaubgeschmückten stillen Häuschen in Gmunden zu verbringen. Dort arbeitete er in den letzten Jahren an einem Memoiren-Werk, das erst nach seinem Tode der Oeffentlichkeit übergeben werden wird. Daß der Meister auch die Feder trefflich zu handhaben wußte, davon konnten sich die Leser der Neuen Freien Presse durch gelegentliche Beiträge, mit denen Gokmark Festnummern unseres Blattes schmückte, überzeugen.

»Georginen« nennt Goldmark einen Zyklus von sechs Klavierstücken, die gleich den Blumen, deren Namen sie tragen, erst entstanden sind, als schon der Spätsommer zur Neige ging. Ueber das letzte der Stücke hat der Komponist statt eines Titels ein Fragezeichen gesetzt, das so unergründlich ist wie die letzten Dinge des Herzens, an die diese Tondichtung rührt. Zuvor hatten die Philharmoniker zu des Meisters achtzigstem Geburtstage sein neuestes Orchesterwerk »Aus Jugendtagen« aufgeführt. Welchen Weg ermaß das rückblickende Auge von diesem letzten Werk bis zu Goldmarks Jugendtagen! Welchen Weg der Leiden und Freuden, welchen Weg der Entwicklung! Der achtzigste Geburtstag wurde in der musikalischen Welt festlich begangen. Damals konnte Goldmark sehen, wie lieb wir ihn hatten, wie stolz wir auf ihn waren. Der Kaiser, der ihn schon 1897 zum Ritter des Leopolds-Ordens ernannt hatte, verlieh ihm 1910 das Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft, die Budapester Universität das Ehrendoktorat. Und erst vor kurzem wurde er Ehrenmitglied der »Santa Cecilia« zu Rom und der Wiener k. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst, die ihm zu Ehren eine Schülerausführung des »Heimchen am Herd« veranstaltete. Damals sahen wir ihn noch pünktlich im Saale erscheinen, wie so oft, wenn das Programm eines seiner Werke oder irgendein wichtiges musikalisches Ereignis ankündigte. Aber schon seit fünfzehn Jahren litt er an einer Krankheit, die zu gelegentlichen Blutungen führte. Am ersten Weihnachtstage wurde er nun von so heftigen Blutungen befallen, daß sogleich jede Hilfe vergeblich schien. Trotzdem leisteten die behandelnden Aerzte das menschenmöglichste, und ihrer Kunst gelang es, das kostbare Leben des Patienten um einige Tage zu verlängern. An seinem Sterbebett weilten seine Tochter, die Gemahlin des akademischem Bildhauers Hegenbarth, und sein Neffe, der bekannte Musikschriftsteller Ludwig Karpath.

In Goldmarks Nachlaß wird man außer einigen Liedern ein im Laufe des letzten Jahres vollendetes Klavierquintett und Bruchstücke einer neuen Oper finden, mit deren Komposition der Meister im Sommer begonnen hat. Was die Welt von diesem Werke zu erwarten hat, wissen wir nicht. Aber wir wissen, daß viele seiner Werke aus eigener Kraft noch lange leben werden. Der heute starb und dessen Totenbahre wir erschüttert umstehen, war ein großer Komponist, ein großer Oesterreicher.

Die letzten Stunden Karl Goldmarks.

Heute nachmittags um 4 Uhr ist Karl Goldmark sanft verschieden. Der 2. Januar hat im Leben des Meisters eine gewisse Rolle gespielt. An diesem Tage ist vor nunmehr sieben Jahren sein »Wintermärchen«, das Mahler bereits für die Hofbühne angenommen hatte, als erste Novität der Aera Weingartner an der Hofoper aufgeführt worden. Karl Goldmark hat sich beinahe bis zum letzten Tage seines langen Lebens volle geistige und körperliche Frische gewahrt. Allerdings litt er bereits seit 15 Jahren an einem Blasenleiden; aber dasselbe machte ihm keine allzu großen Beschwerden, und unser hervorragender Urologe Professor v. Frisch, der den berühmten Musiker behandelte, pflegte Goldmark scherzweise sein ».Meisterstück« zu nennen. Am ersten Weihnachtstage trat starkes Unwohlsein bei Goldmark ein, er erlitt einen Ohnmachtsanfall und die Kunst der rasch herbeigerufenen Aerzte Professor Dr. Otto Zuckerkandl, Dr. Alfred Czinner, Dr. Adolf Horowitz und Dr. Julius Fürth mußte sich darauf beschränken, dem Patienten, der starke Schmerzen hatte, das physische Leiden zu lindern. Goldmark war beinahe bis zum letzten Augenblick bei vollem Bewußtsein. Heute um halb 4 Uhr nachmittags trat die Agonie ein und um 4 Uhr entschlummerte der Greis. Ueber seinem Sterbebette hing ein alter Stich, der Goldmarks Abgott, Beethoven, darstellt. Der letzte Blick des brechenden Auges galt dem Beethoven-Bild.

Goldmark war erst vor vier Wochen von seinem Sommersitze in Gmunden heimgekehrt. Dort hatte er im Herbst ein Klavierquintett vollendet und einige wenige Skizzen zu einer neuen Oper, die ihm vorschwebte, entworfen, gelegentlich auch an seinen Memoiren geschrieben. Karl Goldmark hinterläßt eine Tochter, die an den Bildhauer Professor Ernst Hegenbarth vermählt ist. Ein letzter Schmerz, der den Meister traf, war der Heldentod eines Sohnes des Professors Hegenbarth auf dem Schlachtfelde.

Das Leichenbegängnis Goldmarks findet am Montag um 11 Uhr vormittags vom Trauerhause, Josef Gall-Gasse 6 (einer Quergasse der Schüttelstraße), statt.

Die Gesellschaft der Musikfreunde, deren Ehrenmitglied und Direktor Karl Goldmark war, hat angeordnet, daß der Leichenzug am Montag vor ihrem Gebäude halten wird. Dort wird ein Teil der Trauerfeier abgehalten werden.

Meinem Freunde Karl Goldmark
Von Professor Anton Door.

Mehr als vierzig Jahre sind vergangen, seit wir gemeinsam in der Ferdinandsstraße wohnten, wo der erste und der zweite Akt der »Königin von Saba« entstanden sind. Goldmark hatte damals seine Stellung als Bratschist am Carl-Theater aufgegeben, um sich ganz der Tondichtung widmen zu können, und trachtete, den Entfall von sage fünfundzwanzig Gulden Gehalt, den er monatlich am Carl-Theater hatte, durch Klavierstunden hereinzubringen. Die meiste Zeit aber brachte er beim Klavier zu, Melodien suchend und gestaltend. Um ihn in dieser heiligen Arbeit nicht zu stören, blieb ich oft und oft unserer gemeinsamen Behausung ferne und wenn ich abends gegen 10 Uhr heimkehrte, saß er noch immer, in Tönen und musikalischen Gedanken wühlend, bei schöpferischer Arbeit. Er hatte sich damals bereits mit der »Sakuntala« einen Namen gemacht und trachtete rastlos, weiterzukomnren. Trotzdem ging es ihm damals durchaus nicht glänzend. Mit seinen Klavierstunden konnte er sich nur schlecht und recht weiterbringen. Um so freudiger war es, sein Emporsteigen miterleben zu können, und wenn auch in der späteren Zeit, nachdem er sich mehr in den Kreis seiner Familie zurückzog, in dem regen Verkehre, in dem wir gestanden waren, eine Lockerung eintrat, so blieben unsere Beziehungen dennoch die freundschaftlichsten. So sehr er seine Familie liebte, so überschätzte er an seinen Lieben ihr Können nicht und verzieh es seiner Tochter, der Gemahlin des Bildhauers Hegenbarth, die ich eine Zeitlang im Klavierspiel unterrichtete, gern, daß sie es in dieser Kunst nicht zur Vollendung brachte.

Er selbst zeichnete sich durch beständiges Festhalten an dem Wege aus, den er sich vorgezeichnet hatte. Mit rastlosem Fleiße studierte er aus geliehenen Büchern Kontrapunkt, Instrumentation, dichtete und komponiere und gab daneben schlecht bezahlte Musikstunden. Die Vollendung der »Königin von Saba« machte unter diesen Umständen nur langsame Fortschritte, und eine Ehrengabe, die ihm von der kunstsinnigen Großfürstin Helene Pawlowna für die Widmung der vor der »Sakuntala« entstandenen Klavier-Violin-Suite zuteil wurde, nachdem ich ihr diese mit Ferdinand Laub in Karlsbad an drei Abenden vorgespielt hatte, kam ihm sehr gelegen.

Mit der »Königin von Saba« war endlich Goldmarks Stellung gefestigt. Und nun entstanden seine für Kammermusik gedachten Werke, an deren Wiedergabe beteiligt gewesen zu sein mich mit Stolz und Befriedigung erfüllt. Es kann nicht meine Ausgabe sein, hier die Werke Goldmarks zu besprechen und zu würdigen, das tut die Musikgeschichte auch ohne mich. Er gehörte aber zu den wenigen, die noch bei Lebzeiten die volle Würdigung ihres Lebenswerkes erfahren haben, und mit Freude denke ich an die schöne Feier, die zu seinen Ehren im Mai 1910 aus Anlaß seines 80. Geburtstages, veranstaltet wurde, an die Festaufführung in der Hofoper, nach welcher Goldmark ungezählte Male von einer begeisterten Zuhörermenge hervorgejubelt wurde und in scharmanter Weise in seiner Dankrede das Publikum zur Feier seines 90. Geburtstages einlud, und das Festessen im Hotel Imperial, wo Felix v. Weingartner in einer herzlichen und beredten Ansprache sich an den Jubilar wandte.

In den letzten Jahren sahen wir uns wenig. Wir kannten uns fast sechzig Jahre und waren auch ohne ständigen persönlichen Verkehr miteinander in geistiger Fühlung. Noch immer versuchte er, musikalische Ideen festzuhalten, und erst im vorigen Jahre ist eine neue Klavierkomposition von ihm erschienen, die sehr gut gefallen hat. Fürwahr! Man hätte glauben können, daß wir noch seinen neunzigsten Geburtstag feiern werden. Und nun ist, für seine Freunde noch immer zu früh, Goldmark dahingegangen. In seinen Werken lebt er aber uns und der Musikgemeinde weiter, namentlich aber uns, die wir seinen Werdegang mit gemacht und mit ihm gedacht und gelebt haben.

Ein Gedenkblatt für Karl Goldmark.
Von der Kammersängerin Amalia Friedrich-Materna.

Tieferschüttert über die Trauerbotschaft von dem unvermuteten Ableben Goldmarks, den ich als Tondichter wie als Menschen und Freund gleich hoch geschätzt habe, bin ich im Augenblicke, da ich diese Nachricht empfange, nicht imstande, ihn in seiner großen Künstlerschaft und in seinem so vornehmen Charakter voll zu würdigen und kann nur in einigen kurzen Sätzen einiges aus meiner Erinnerung an ihn erzählen. Meine persönlichen Beziehungen zu ihm stammen aus der Zeit, da sein Meisterwerk entstanden war, seine »Königin von Saba«. In gewissem Sinne darf ich mir wohl auch ein bescheidenes Verdienst daran zuschreiben, daß dieser gewaltigen musikdramatischen Schöpfung Goldmarks die Pforten der Wiener Hofoper eröffnet wurden.

Ich hörte davon, daß es in dieser Oper eine prächtige Partie für mich gab, und es hieß damals allgemein, Herbeck sei noch nicht entschlossen, ob er das Werk bringen werde.

Man riet mir freundschaftlich, in dieser Sache an den Ersten Obersthofmeister Fürsten Hohenlohe heranzutreten und mich für Goldmarks Oper einzusetzen, was ich natürlich sowohl als Verehrung für den damals schon nach seinen Orchesterwerken allgemein anerkannten Meister, als auch wegen der mir verheißenen Titelpartie gern tat. Der Fürst hörte mich freundlich an, nahm es ad notam, und wenige Tage danach vernahm ich überrascht, daß die Oper aufgeführt werde.

Der Erfolg war bekanntlich groß und machte Goldmark sehr glücklich. Er war so gütig, mir an dem Gelingen des Werkes einen Hauptanteil zuzuschreiben, und meine Kreierung der Titelpartie, einer Partie, die stimmlich wie darstellerisch hohe Anforderungen an die Sängerin stellt, als bedeutungsvoll für das erste und das weitere Schicksal seiner »Königin von Saba« zu erklären. Beck sang damals den König Salomo und die übrigen Hauptpartien hatten die Wilt und Gustav Walter.

Später durfte ich auch die Viviane bei der Uraufführung seines »Merlin« auf die Bühne bringen. und mit mir traten damals Mayerhofer, Hablawetz, Schrödter und Frau Kaulich auf. Das interessante und bedeutende Bild, das Goldmark als Musiker zeigte, bot auch neue Züge bei den Proben zu seinen Werken.

Innerlich gewiß voll erregter Anteilnahme an der Durchführung seiner künstlerischen Intentionen, war er in seinem äußeren Benehmen die Ruhe und Vornehmheit in Person. Zart im Ton, wußte er alle seine häufigen Einwände und Ausstellungen gemessen und deutlich vorzubringen und verstand es, bei großen Schwierigkeiten mit einem hübschen, höflichen Wort zu bemängeln, bis er auf solche Weise die ihm vorschwebende, höchstmögliche Vollkommenheit der Interpretation erreichte.

Karl Goldmark war mir persönlich eng befreundet. Wir verlebten schöne Tage miteinander, besonders in Fusch. Da hatten wir eine ansehnliche Künstlergesellschaft. die gleich uns Natur- und Kunstgenuß, die Berge und die Musik, liebte.

Ich denke an Gericke und die Tagliana, an Udel und Bachrich. Nun ist auch dieser große Künstler und treue Freund ihnen gefolgt.

(Neue Freie Presse vom 3. Jänner 1915)